A. F. Morland

Killer sind auch nur Mörder: 7 Strand Krimis


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erinnerte Roberto den Penthousebesitzer. „Es war Ihre Idee, den Dachgarten zu betreten. Ich sah den Burschen mit dem Gewehr sofort, er stand neben dem Wasserreservoir auf dem gegenüberliegenden Haus. Hätte ich warten sollen, bis er Ihnen ein Loch zwischen die Augen pustet?“

      Archie Wingates Gesicht war in Bewegung geraten und spiegelte die inneren Kämpfe, die er mit sich ausfocht, wider. Einerseits traute er dem Besucher nicht über den Weg, andererseits musste er einräumen, dass dessen Worte Hand und Fuß hatten.

      Archie Wingate kam auf die Beine, wagte es jedoch nicht, sich voll aufzurichten. Gebückt hastete er im Schutz der Mauer zurück in das Wohnzimmer, dort holte er eine Flasche Whisky aus dem Schrank. Er füllte sich ein Glas. „Nehmen Sie auch einen?“, fragte er mürrisch.

      Roberto war Wingate in den Raum gefolgt und schüttelte den Kopf. Er sah zu, wie Wingate trank und sein Glas nachfüllte.

      Wingates Blick ging ins Leere. Sein Mund bildete einen verkniffenen Strich.

      „Sie haben Feinde“, stellte Roberto fest.

      Wingate schwieg.

      Roberto durchquerte den Raum. „Nehmen Sie sich in Acht“, sagte Wingate.

      Roberto blieb an der Tür stehen. Er lächelte. „Aber ja“, sagte er. „Ich weiß schließlich, mit wem ich es zu tun habe.“

      „Dann richten Sie sich danach“, empfahl Wingate.

      10

      Roberto hatte in der Gunderson Street ein kleines, möbliertes Apartment bezogen. Es war ihm von Colonel Myer besorgt worden. Die Tür der Wohnung trug noch das Namensschild des Vorbesitzers, Richard Allington. Das Apartment befand sich in der dritten Etage eines siebzehnstöckigen Wohnsilos und bot den Schutz der Anonymität, ohne die ein Mann wie Roberto nicht arbeiten konnte.

      Colonel Myer war Robertos Vorgesetzter und Kontaktmann in einem.

      Der Colonel betätigte sich als Auftraggeber, logistischer Berater, Geldüberbringer und Wohnungsbeschaffer gleichzeitig. Roberto hatte keine Ahnung, wie groß die Anzahl der COUNTER CRIME Mitarbeiter war, die der Colonel betreute, aber er musste zugeben, dass der zuweilen sehr spröde und konservativ auftretende Myer (den er nur selten zu Gesicht bekam) nahezu fehlerfrei arbeitete und immer dann zur Stelle war, wenn eine Situation brandheiß wurde und von einem Einzelgänger wie Roberto nicht allein gelöst werden konnte.

      Colonel Myer hatte seinen Auftrag wie immer mündlich erteilt.

      Der Auftrag lautete, herauszufinden, welche Rolle Archie Wingate in Chicago spielte und wie es um seine Aussichten stand, innerhalb der Mafia eine Spitzenposition zu erringen.

      COUNTER CRIME verfolgte den unaufhaltsamen Aufstieg des dynamischen Wingate seit Langem mit großer Aufmerksamkeit. Er gehörte zur Generation der harten, unnachsichtigen Dollarhaie, die eine Profitmaximierung mit allen Mitteln betrieben und dabei auch nicht vor Methoden und Einfällen zurückschreckten, die der älteren Mafiaklasse zu riskant gewesen wären.

      Endziel von Robertos Bemühungen war es, Archie Wingate auszuschalten. Roberto hatte eine gründliche Kenntnis von Wingates Lebensgewohnheiten erhalten, er besaß auch eine Liste von Wingates Freunden und Freundinnen – daraus hatte sich sein Kontakt zu Cindy Bell entwickelt. Der Besuch bei Wingate war, wie Roberto wusste, ein kalkuliertes Risiko und diente vor allem dem Zweck, die Persönlichkeit seines Gegners kennenzulernen. Es gab Dinge, die kein Bericht klarstellen und die man nur durch eigene Kontaktaufnahme beurteilen konnte.

      Roberto hatte nicht viel mit Wingate gesprochen und nicht mehr erfahren, als er erwartet hatte, aber er wusste jetzt sehr viel besser, wie sein Gegner beschaffen war und welche Vorsicht sich beim Umgang mit ihm empfahl.

      Wer hatte auf Archie geschossen?

      Roberto ging nicht das fassungslose Erstaunen aus dem Sinn, mit dem Archie Wingate auf die Attacke reagiert hatte. Hatte der Schütze Wingate töten oder nur eine Warnung erteilen wollen?

      Es war fraglos eine Erfahrung für Archie Wingate gewesen, die nicht in das Bild seiner Gegenwartsbeurteilung passte. Er hatte gemeint, als Don Brunos Schwiegersohn so gut wie immun zu sein. Diese Ansicht musste er auf schmerzhafte Weise korrigieren.

      Hing der Angriff mit dem Tod von Cindy Bell zusammen? Wenn ja, stellte sich sofort die Frage, wer ihn verübt hatte. Herb Greene kam dafür mit Sicherheit nicht in Betracht.

      Roberto war an konspiratives Handeln gewöhnt und hatte sich bei seiner Rückkehr aus Wingates Penthouse davon überzeugt, dass ihm niemand gefolgt war. Roberto setzte sich ans Telefon und wählte die Nummer von Rufus Maretti.

      „Maretti“, tönte es ihm entgegen.

      Roberto schwieg.

      „He, wer spricht da?“, fragte der Mann am anderen Leitungsende.

      Roberto legte nachdenklich auf.

      Das Bild des Killers hatte sich ihm deutlich eingeprägt. Er hatte Maretti zwar nur über eine gewisse Distanz hinweg im Licht der Straßenlampen gesehen, aber dieser Eindruck hatte ausgereicht, um ein gewisses Bild von Wesen und Stimme des Mörders entstehen zu lassen. Die Stimme am Telefon widersprach diesem Erwartungsbild. Sie verunsicherte ihn und setzte seine Fantasie in Bewegung.

      Roberto erhob sich.

      15:30 Uhr.

      Er zog sein Jackett aus und schnallte sich das lederne Schulterholster um, eine vom COUNTER CRIME gelieferte Maßanfertigung. Roberto besaß für seinen Smith & Wesson einen gefälschten Waffenschein, der mit den übrigen Papieren übereinstimmte, aber es widerstrebte ihm jedes Mal, mit der Kanone loszuziehen. Er tat es nur dann, wenn ihm schwante, dass sein Leben bedroht war.

      Roberto verließ das Haus durch die Tiefgarage mit dem roten 3.8 Liter Monza, den er sich für die Dauer seines Aufenthaltes in Chicago geliehen hätte. Er fuhr geradewegs zur 107ten Straße, lenkte den Wagen auf den Baustellenparkplatz und brachte ihn neben Marettis Bonneville zum Halten.

      Roberto hatte es mit dem Aussteigen nicht eilig. Die schräg einfallende Nachmittagssonne sorgte dafür, dass niemand aus dem gegenüberliegenden Haus sehen konnte, wer oder was sich hinter den spiegelnden Windschutzscheiben der parkenden Fahrzeuge verbarg. Roberto schob sich einen Kaugummi zwischen die Zähne und wartete, ohne recht zu wissen, worauf. Er behielt die Fenster von Rufus Marettis Wohnung im Auge, aber dort zeigte sich niemand. Auch hinter den Gardinen war keine Bewegung zu erkennen.

      Ein Taxi stoppte vor dem Haus. Roberto spitzte die Lippen, als er sah, wer den Wagen verließ.

      Es war das rotblonde, hochattraktive Mädchen, das ihn bei seinem Besuch in Archie Wingates Wohnung fast in die Arme gelaufen wäre.

      Linda Dorsey trug ein Kostüm aus schwarzem Panamastoff, das ihre langbeinige Figur kühl und wirkungsvoll modellierte. Den Kragen ihrer weißen Seidenbluse hatte sie über den des Kostüms geschlagen. Sie blickte an der Hausfassade empor, leicht irritiert, wie Roberto es schien, dann betrat sie das Gebäude und verschwand aus dem Blickfeld.

      Roberto wartete.

      Nach knapp vierzig Minuten tauchte das Mädchen wieder auf. Sie schaute sich nach einem Taxi um und setzte sich, als sie keines bemerkte, mit erhobenem Kinn zur nächsten Kreuzung in Bewegung.

      Roberto kaute