Hast du schon die Nachtordnung gelesen?
Na, warte mal ab!Maltchen!
Anne, bin gegen 21:30 Uhr vom Volkshochschulkurs zu Hause. Falls ich nicht noch mit der Dozentin einen Drink trinken gehe! Ernster: Morgen müssen wir um 06:00 h Uhr losfahren. Die Trauerfeier in Dresden findet schon um 09:00 Uhr statt.
Bis dann!
Ach, Annchen
Anne-Mausichen!
Ich bin ins Krankenhaus zu Vater!
Habe die Haarschneidemaschine nicht
gefunden, wollte ihm doch die Haare
schneiden.
Kram bitte nicht so sehr in meiner Wäsche!
Ackere nicht so viel herum!
Ruh´ dich aus – kleine Maus.
Malte-Kater
Annchen,
ich bin zum Literaturzirkel.
Hab zwar keine Lust, aber zu manchen Dingen
muss man sich zwingen!
(Kennst du ja!)
Wir sehen uns wieder um: …….?
Diesmal wird´s nicht so spät
bei mir und mit mir!
Sollten sich die genialen Poeten wieder so
verplappern wie beim zurückliegenden Mal –
gehe ich. Punktum!
Einverstanden?
Maltileinichen
Fünf-Minuten-Abschiedsgedicht
für die Liebste
Mein Herz so klein,
mein Herz nun rein,
es floss ganz in das Deinige ein.
Mein Herz jetzt groß,
mein Herz ganz bloß,
es ganz das deinige umschloss.
Dein Herz für mich,
mein Herz für dich,
ein Herz sind wir für ewiglich!
Malte
Schmerzensbuch
Tagebuch Anne
Anne führte während ihrer Krankheit einige Jahre ein Tagebuch. Die Therapeutin hatte das wie üblich empfohlen. Den ersten Eintrag datierte Anne mit dem 21. November 2014. Den letzten Satz trug sie am 1. Februar 2018 ein. Dreieinhalb Jahre schrieb sie also vieles von dem auf, was sie erlebte und was sie bewegte, in schwierigen Zeiten für sie.
Es handelt sich bei ihrem Tagebuch nicht um ein typisches Tagebuch-Buch. Eines mit festem Umschlag, hochweißen Seiten, wertvoller Einbindung, einem zierlichen Verschluss und einem farbigen Band als Orientierungshilfe. Nein, ihre Notizen trug sie in vier Oktavheftchen und zwei kleinen Notizbüchern ein.
„Schreiben Sie doch ein Tagebuch! Das wird Ihnen helfen!“ lautete also der Rat der Psychotherapeutin. Anne war mit einer Verordnung in deren Betreuung aufgenommen worden. Sie hatte zu dieser Zeit zunehmend Schwierigkeiten mit ihrem Gedächtnis bekommen, auch andere psychische Probleme bedrückten sie. Bedrückten sie im wahrsten Sinne des Wortes immer mehr. Also, wie es in solchen Therapien oft üblich: Her mit dem Tagebuch!
Folgsam begann Anne damit, in den kleinen Büchern einiges von dem festzuhalten, was sie erlebte und fühlte. Mehr oder weniger regelmäßig. Ich bestärkte sie darin, drängte sie aber niemals kontrollierend dazu. Ich bat sie auch nicht, mir daraus vorzulesen. Wahrscheinlich hielt mich eine Tatsache aus unserer Vorgeschichte davor zurück. Anne und ich, wir hatten uns in dem Arbeitsverhältnis „Chef – Chefsekretärin“ kennengelernt. Jahrelang arbeiteten wir äußerst konstruktiv zusammen. Sie beherrschte ihr „Handwerk“. Die gemeinsame „Schreibarbeit“ nahm in unserer Zusammenarbeit naturgemäß einen großen Raum ein. Da ging es oft darum: Wer hat was, wie und warum so formuliert, und wie sollte oder könnte das Formulierte verstanden werden?
Anne wurde für mich zur perfekten, fast unersetzlichen Chefsekretärin. Im Zusammenhang mit ihrer beginnenden Krankheit und ihren so persönlichen Tagebuchbuchnotizen behagte es mir instinktiv nicht, mit ihr wieder in eine Art Chef-Sekretärinnen-Atmosphäre hineinzukommen. Also spielte das Tagebuch in unserem täglichen Zusammenleben nur eine untergeordnete Rolle. Irgendeine Scheu hielt mich auch davor zurück, jemals in ihren kleinen Tagebüchern zu blättern und zu lesen. Auch nicht, nachdem wir uns endgültig voneinander verabschieden mussten.
Wie sich doch manches Detail im Gedächtnis festhakt: Ein halbes Jahr nachdem die Lebensliebste für immer gegangen war, in der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 2020, lag ich wieder einmal wach, konnte nicht mehr einschlafen. Wieder einmal schwirrten mir im Denken an sie Nachtgedanken durch den Kopf. Mir fielen ihre Tagebücher ein. Die kleinen Hefte lagen wie eh und je über meiner „Koje“ auf dem schmalen Bord an der Wand. Unberührt nach wie vor, so wie sie Anne aus der Hand gelegt hatte. Mir kam in den Sinn: Nun, da du am Buch über unsere Liebe schreibst, da müsstest du doch eigentlich, da müsstet du doch endlich, da könntest du eigentlich, auch wenn es …
Am folgenden frühen Sonntagmorgen, noch vor dem Frühstück, saß ich in meinem Opa-Korbsessel mit dem strahlend roten Aufleger und blätterte vorsichtig in den kleinen Tagebüchern von Anne, begann diese und jene Notiz zu lesen. Las, wie sie unserem unerwünschten Lebensbegleiter begegnete und wie sie ihn erlebte.
Anne
Tagebuch 2014 – 2018
Zufällig ausgewählte Auszüge*
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21.11.2014
Frau Dr. M. (Gespräch) = Ich habe keine Demenz!
Besser geworden als vor 2 Jahren!
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24.11.2014
Vier große grüne Blechdosen geputzt – Mittag: Senfsoße, je 2 gekochte Eier + Kartoffeln! – Ich lese das
Buch „Der Sommer des Jahrhunderts. 1913.“ von
Florian Klier = sehr spannend + gut geschrieben!
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19.12.2014
Gestern zum Singen; kleine Chorgruppe, etwas ach Frauen und zwei Männer. Diesmal Weihnachtslieder.
Ich hatte meine Noten und Texte vergessen = war blöd!
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22.12.2015
Einkauf! Weihnachten!
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24.12.2015
Weihnachten. Sehr ruhig …
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25.12.2015
Rouladen!
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26.12.2015
Essen beim Griechen! War gut!
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27.12. 2015
Zu Hause
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1.1.2015
Kino „Babylon“. Film war gut, sehr gut!
Film war von Änne …
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