unserer Tour.
Wenn du sie bekommst, werde ich sicher schon zu Hause und bei dir sein! Wir werden miteinander gesprochen haben – und anderes.
Ich schreibe noch unordentlicher als sonst, da ich im Bett liege – wieder mit vollem Bauch und leicht betrunken.
Durch Polen, das waren vielleicht die schönsten Kilometer.
Vieles ging mir sehr zum Herzen. Einige Male kamen mir die Tränen… auch von daher war vieles sehr anstrengend.
Also dann, gute Nacht – bis du wieder bei mir einschläfst.
Ich liebe dich!
Malte
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Am 08. Mai des Traditionsjahres 1985 waren wir wieder beisammen, Anne und ich. Nachfolgend hatte ich noch viel zu tun, die erlebnisreiche Reportagereise war auszuwerten. Das Fotomaterial musste aufbereitet werden. Ich hatte sehr viel fotografiert. Dann musste ich noch meine Reportagen für „S + T“12 und „konkret“13 schreiben.
Zugleich ging es mit Kopfsprung wieder hinein in die journalistisch-redaktionelle Herausgebertätigkeit. Vieles war für das Arbeiten und Leben in der DDR noch komplizierter geworden. Durch meine vierwöchige „Reise-Pause“ und Abwesenheit spürte ich das noch deutlicher. Die Stimmung im Lande hatte sich weiter verändert, alles und alle waren unruhiger geworden. Alles, wirklich alles war in Frage gestellt. Die Unzufriedenheit der Menschen hatte deutlich zugenommen, sicht- und hörbar. Anne und ich, auch wir hatten uns damit auseinanderzusetzen. In unseren Familien und vor allem in der täglichen Berufsarbeit. Sie in einem Parteiverlag für Anschauungsmittel als Chefsekretärin und ich als Leiter der Verlagsgruppe der Gesellschaft für Sport und Technik14. Dort war ich verantwortlich für die Herausgabe von sechs Zeitschriften und anderen Publikationen. Stand auch in Verantwortung für Journalisten, für redaktionelle Mitarbeiter, Sekretärinnen. Diese „Truppe“, dieses Kollektiv, dieses Team, wie man es auch immer nennen will, war journalistisch außerordentlich leistungsfähig.
Doch auch hier wurden die Fragen zunehmend drängender. Auch in unserer Arbeit wurden die Widersprüche der gesamtgesellschaftlichen Schieflage immer spürbarer. Auch hier blieben grundlegende Antworten aus. In den Redaktionen wuchs die Unzufriedenheit. Das Spannungsfeld, in dem ich handeln musste, wurde unübersichtlicher, diffuser, immer einschränkender. Da half mir auch nicht die Black-Box-Theorie, mit der ich mich während der Arbeit an meiner Dissertation so intensiv beschäftigt hatte. Mein großes Thema von Anfang des 70er Jahre war auf einmal lebendig geworden. Mit der Effizienz politischer Systeme in der sozialistischen Gesellschaft aus kybernetischer Sicht hatte ich mich beschäftigt.
Für Anne und mich wuchsen die Widersprüche und Sorgen in unseren Familien. Diese standen durchaus auch im Zusammenhang mit der Zukunft des Landes und damit ebenfalls mit unserer Zukunft. Der Älteste von Anne hatte einen Ausreiseantrag gestellt. Mein Ältester aus erster Ehe wurde immer unsicherer. Er war Student und nachfolgend in der Aspirantur an der Theaterhochschule in Leipzig. Für unser künftiges Zusammenleben war noch Grundlegendes zu klären und zu entscheiden. Was wird mit dem Land? Was wird mit uns? So spitzte sich auch für Anne und mich Mitte der achtziger Jahre und nachfolgend die Situation zu.
Trotz aller Probleme wollten wir 1986 wieder wandern! Gemeinsam! Das war uns sehr wichtig! Eine Langstrecken-wanderung stand auf dem Programm. Wir wollten uns erstmals mit den Fahrrädern auf die längere Strecke machen. Also starteten wir im Frühsommer mit Zelt und Schlafsäcken im Wandergepäck. Eine romantische Grenzfahrt sollte es werden und wurde es nicht ganz so, wie wir uns das vorgestellt hatten.
Die Strecke:
Berlin – Hartau/Zittauer Gebirge/Neiße – Neiße-
Radwanderweg – Oder-Radwanderweg – Ostseeküste:
Ahlbeck, Stralsund, Wismar – Berlin.
Ein respektabler Kanten, ohne großartige Höhenmeterzahl, aber mit viel Gegen- und Seitenwind! Anne sammelte ihre ersten Erfahrungen für diese Art des Wanderns. Sie hielt sich gut und guter Laune. Trotz einer ziemlich heftigen Schnittverletzung. Glasscherbe am Strand!
Aber wir schleppten während der Radwanderung zu viel zusätzliches Gedankengepäck mit. Die Lage im Lande außerhalb der Hauptstadt und vor Ort … Wanderfreude wollte uns nicht so richtig aufkommen. Überall war auch unterwegs zu spüren, dass in der DDR etwas ins Rutschen gekommen war.
Wir radelten die letzten Etappen von Wismar aus doch ziemlich bedrückt zurück nach Berlin. Nicht frohgestimmt wie im Finale anderer Wandertouren.
Wieder zu Hause: Sturz in den Alltag und in die Sorgen. In die großen Landessorgen, in die großen Arbeitssorgen und in die großen Sorgen mit unseren Familien. Diese betrafen die Probleme mit Annes vier Kindern an der Grenze zum Erwachsenenalter, mit meinem Sohn Jan aus erster Ehe und mit meinem Vater. Dieser ein schwerer Pflegefall – ich allein „vor Ort“ und verantwortlich!
Die Zeiten und die meisten Umstände waren uns, Anne und mir, nicht freundlich. Damit waren wir in unserer kleinen deutschen Republik wahrlich nicht allein!
Briefe – Liebesleid und Liebesfreud´
Anfang 1987 war ich dann fast am Ende meiner psychischen Kräfte. Auch körperlich ging es mir nicht mehr gut, obwohl ich nach wie vor hart trainierte. Rannte und rannte, rannte Kilometer um Kilometer. Rannte neben oder weg von allen Sorgen? Zuviel? Die „Körner“ waren offensichtlich und deutlich „aufgebraucht“. Mein mich betreuender Arzt, der mir freundschaftlich verbunden war, zog einen energischen Schlussstrich! Er ließ sich auf meine Ausflüchte in Bezug auf Behandlungen und Erholungsmaßnahmen nicht mehr ein. Ließ irgendwelche Beziehungen spielen …
So landete ich Ende Mai in Warmbad/Wolkenstein15 im Erzgebirge. In einem Bergarbeitersanatorium für Wismut-Kumpel16! Ein reiner Zufall? Weiß ich bis heute nicht. Kann ich mir aber heute erklären. Damals war mir das nicht wichtig. Ich kam also nach einem recht traurigen Abschied von Anne ziemlich bedrückt in dem kleinen Kurort an. Die kräftigen urwüchsigen Kumpel, also meine Mit-Kur-Patienten, „begutachteten“ zwei/drei Tage den für ihre Maßstäbe etwas schmalen und schmächtigen Journalisten. Doktor der Philosophie obendrein! Doch fanden schnell unkompliziert zusammen. Dazu trug wesentlich bei, dass ich gut in eine Kumpel-Volleyballmannschaft hineinpasste. Flink im „Ausputzen“ der hinteren Spielfeldhälfte und Genauigkeit im „Stellen“ der Bälle für die Angriffsspieler. Das waren meine Stärken. Ich hatte ja auch über Jahre recht aktiv Volleyball gespielt. War aber für den schlagkräftigen Angriff und die gute Abwehr am Netz zu klein. Folglich spielte ich in der Regel in der zweiten Reihe auf der Position 3 – eben als „Ausputzer“.
Während langer Gespräche zwischen meinen Kurfreunden und mir kam ich zu manch neuer Einsicht über die große Lage in der DDR und über die Lage der kleinen Leute im Lande. Die Gespräche übrigens nicht nur während der Bier-runden. Diese immer mit Lachen und Spaß verknüpft und mit anerkennendem Klopfen auf die Tischplatte, wenn ein guter Witz erzählt oder ein kluger Gedanke in die Diskussion geworfen worden war.
Neben der Kurerei mit vollem Programm schrieb ich und schrieb ich Tag für Tag. Saß in meinem Einzelzimmer Nr. 6 im Pawlow-Haus17. Schrieb mir die Seele aus der Brust und den Kopf frei. Dachte nach und schrieb auf, was mir auf meinen bisherigen Lebensweg gelungen und nicht gelungen war, wie meine Bilanz mit fünfzig Lebensjahren aussah, was mit mir und meinem Land DDR vor sich ging, welche Rolle ich da spielte, wie ich mit meiner neuen Liebe und Lebens-gefährtin unser künftiges Leben gestalten könnte … Ich hielt auch fest, was ich im kleinen „Kurleben“ so beobachtete und erlebte. Nicht zuletzt schrieb ich meine Wanderberichte, streifte ich doch bei jeder Gelegenheit durch die ernst-heitere erzgebirgische Landschaft um die Zschopau. Es entstand ein fast druckreifes Manuskript. Sogar ein Titel für