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Inklusion und Qualifikation


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Ende der 1960er Jahre zurück. Für die Umsetzung seines Projekts Aktion Sonnenschein beruft er sich auf Montessori. Die Idee der gemeinsamen Bildung und Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderung von Anfang an beruht in dieser Zeit insbesondere auf dem sogenannten Sozialisationsansatz (vgl. Hössl 1999; Speck 1991) und der Annahme, dass aus gesellschaftlichen Zuschreibungen resultierende Vorurteile und Einstellungen den Lebensbereich des Vorschulkindes zum größten Teil noch nicht tangieren. Entsprechend wurde vorausgesetzt, dass Kinder über eine größere Unbefangenheit verfügen, mit der sie ihre eigenen Erfahrungen machen. Auch wenn solche Gedanken in der Vorschulreform der 1970er Jahre noch nahezu ausgeblendet blieben, wurden sie doch durch die Empfehlungen des Deutschen Bundesrats von 1973 unterstützt (vgl. Dichans 1990). Die Entwicklungen im Elementarbereich gingen in der Folge weit über den Modellcharakter einzelner Projekteinrichtungen hinaus, etablierten sich flächendeckend und führten Mitte der 1980er Jahren zu einem Ausbau sogenannter integrativer Einrichtungen. Seit den 2000er Jahren nimmt die internationale Bildungspolitik (UNESCO 1997) auf Grundlage der Erklärung von Jomtien über Education for All (Inter-Agency Commission 1990) verstärkt Einfluss auf den Elementarbereich und verleiht einer inklusiven Bildung Dringlichkeit, auch durch das Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK 2006) im Jahr 2009.

      »Inklusion wird gegenwärtig zunehmend verwendet, um sich von Verfallsformen integrativer Praxis, die mit internen Separationen innerhalb von Regeleinrichtungen einhergehen, zu distanzieren und um – über die Differenzlinie behindert/nichtbehindert hinausgehend – die Einbeziehung von pluralen Dimensionen der Heterogenität zu betonen« (Prengel 2014, S. 17).

      Die Anzahl von Kindern mit Eingliederungshilfe, d. h. einer (drohenden) Behinderung in Angeboten der Kindertagesbetreuung, ist seither kontinuierlich gestiegen. 2019 besuchte fast die Hälfte der Kinder Angebote, in denen der Anteil der Kinder mit Eingliederungshilfe unter 20 % lag. Inklusive Ansätze im Elementarbereich stützen sich auf eine Diversity Education und verfolgen ein breites Inklusionsverständnis, das nicht nur Kinder mit Behinderung, sondern sämtliche Heterogenitätsdimensionen der Gesellschaft berücksichtigt, wie u. a. Migration, Sprache, Kultur, Armut oder Geschlecht (vgl. Heimlich 2013a). Inklusive Ansätze stehen daher auch in Bezug zur sogenannten interkulturellen Erziehung, die die Arbeit in Kindertageseinrichtungen seit den 1970er Jahren beeinflusst (vgl. Zimmer 2013). Dennoch bleibt zu konstatieren, dass Kinder mit Behinderungen und Kinder mit Migrationshintergrund Kindertageseinrichtungen in der Regel seltener und später besuchen (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018). Diese Differenz ist auch darauf zurückzuführen, dass Kindertageseinrichtungen nicht universell aufgebaut sind, sondern sich am Bedarf der Eltern orientieren. Darüber hinaus finanzieren sich die Einrichtungen u. a. über Elternbeiträge.

      Die Anerkennung des Elementarbereichs als Bildungsort ist in Deutschland nur halbherzig umgesetzt (vgl. König 2020b), das kommt u. a. auch im Neunten Sozialgesetzbuch (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen) zum Ausdruck. Hier werden im § 75 die Leistungen zur Teilhabe an Bildung an die Schulpflicht gekoppelt. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass der Elementarbereich international in ein inklusives Bildungssystem eingeschlossen wird (vgl. Heimlich 2013a). Die Einrichtungen sind im Vergleich zur Schule kleinräumige Organisationseinheiten. Die sozioökonomischen Verhältnisse des sozialen Umfelds spiegeln sich in der Kindertageseinrichtung unmittelbar (vgl. König 2020b), die Heterogenität der Lebensverhältnisse hingegen nur eingeschränkt (vgl. Weiß 2020). Nicht nur für junge Kinder in Armutslagen fehlt es in der öffentlichen Erziehung und Bildung (vgl. ebd.) größtenteils an Sensibilität, auch stehen Ablehnungen und Verletzungen prinzipiell noch zu selten im Fokus frühpädagogischer Auseinandersetzungen.

      Der Beitrag umreißt zunächst das Inklusionsverständnis einer Frühpädagogik der Vielfalt (vgl. König & Heimlich 2020). Daran anschließend wird auf die Qualifikation und das Ausbildungssystem eingegangen. Schließlich werden anhand von Gruppeninterviews Dissonanzen bei der Umsetzung inklusiver Bildung und Erziehung in der Praxis offengelegt. Die Entwicklungslinien und die Studienergebnisse werden kritisch diskutiert. Das Fazit hebt die Implikationen für Ausbildung und Qualifizierung hervor.

      1.1 Eine Frühpädagogik der Vielfalt

      Pädagogik der Vielfalt zeichnet sich dadurch aus, dass sie niemanden ausschließt (vgl. Prengel 2020). Das verbindet sie mit der Inklusiven Pädagogik bzw. international auch Diversity oder Inclusive Education. Diese Ausgangsbedingungen schließt auch die Frühpädagogik ein (vgl. Prengel 2019). Gemeinsam ist ihnen die Forderung: Bildung für alle vor dem Hintergrund der Menschenrechte. Die Anerkennungstheorie von Honneth ist dafür ein substantielles Element (vgl. ebd.). Sie steht in Bezug zum Konstrukt der egalitären Differenz. Danach werden Gleichheit und Differenz als sich wechselseitig bedingende Kategorien verstanden. Prengel schreibt dazu:

      »Keine der beiden Dimensionen ist in diesem Zusammenhang verzichtbar, denn Gleichheit ohne Differenz würde undemokratische Gleichschaltung und Differenz ohne Gleichheit undemokratische Hierarchie hervorbringen« (Prengel 2001, S. 93).

      Eine Frühpädagogik der Vielfalt hebt darauf ab, dass Teilhabe und Partizipation sich an den Aneignungsprozessen der jungen Kinder orientieren muss. Frühpädagogik agiert nicht jenseits von gesellschaftlichen Strukturen, auch hier spiegeln sich Ambivalenzen und Widersprüche einer pluralen Gesellschaft (vgl. Prengel 2014). Durch die Orientierung an inklusiven Theorien kann es gelingen, diese Ambiguitäten bewusst aufzugreifen, zu durchdringen und einzuordnen. Von Pauschalisierungen ist abzusehen, denn Heterogenität ist nicht generell eine Chance. Erfahrungen mit Leiden, Krankheit, Unterlegenheit, Beeinträchtigung darf nicht ignoriert werden (vgl. ebd.). Vorstellungen, Erzählungen, Werte und Haltungen, die die Fachkräfte teilen, sind ein wesentliches Fundament, um Bildungsteilhabe und Partizipation umzusetzen (vgl. Prengel 2016).

      Mit der Expertise »Bildungsteilhabe und Partizipation in Kindertageseinrichtungen« leistet Prengel einen wichtigen Beitrag, um an die frühen Kommunikationsformen der Kinder anzuknüpfen. Hier wird herausgestellt, dass Sorge ein integrales Element von Generationenbeziehungen ist (vgl. Baader, Eßer & Schröer 2014). Die Einflüsse der Entwicklungspsychologie und der evolutionären Anthropologie stärken dieses Verständnis. Darüber hinaus wird deutlich, dass Kinder sich der Welt von Anfang an ordnend und verstehend nähern. Auch in der frühen Kindheit gilt daher, dass Entwicklung nicht einem genuinen Bauplan folgt, sondern dass sich Kinder hoch sensitiv ihrer sozialen Umwelt zuwenden. Das Verlangen nach Mitwirkung und Kooperation zeigt sich von Anfang an. Sowohl einseitige auf Fürsorge und Schutz ausgerichtete Bedingungen in den Einrichtungen als auch romantische Erziehungsvorstellungen – die in Kindern die kompetenten Akteurinnen und Akteure sehen, welche sich von selbst bilden (vgl. Baader 2004) – vernachlässigen die Bedeutung von Bildungsteilhabe und Partizipation. Denn erst diese führen dazu, dass Kinder nicht mehr nur an eine bestimmte soziale Gruppe (Familie u. a.) gebunden sind, sondern die Grenzen der sozialen Herkunft überschreiten können (vgl. Oelkers 2009). Dewey hat bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts danach gefragt, welche Bedingungen die Erziehung in einer pluralen Gesellschaft erfüllen muss (vgl. ebd.). Wesentlich dafür schien ihm in einer demokratischen Gesellschaft die Offenheit für den sozialen Wandel. Nicht festgelegte Konzeptionen, sondern Erfahrungen und Impulse, die über Bestehendes hinausgehen, sieht er als wesentliche Triebfedern für Entwicklung. Bildung und Demokratie hängen für ihn daher zusammen. In Bildungsinstitutionen muss die Grundidee der Demokratie erfahrbar sein. Sie ist für ihn in erster Linie eine Lebensform, die auf Beziehung und Interaktion basiert, um unterschiedliche Interessen, aber auch gemeinsame Ziele auszuhandeln (vgl. ebd.). Als genuiner Ort dafür gilt das Spiel mit den Peers (vgl. Heimlich 2015, 2017). Die Offenheit für die frühen Kommunikationsangebote der jungen Kinder sind grundlegende Erfahrungsräume für Resonanz und Einflussnahme auf die soziale Welt und damit für Bildungsteilhabe und Partizipation (vgl. König 2020b). Diese Handlungsmöglichkeiten junger Kinder vor dem Hintergrund einer Pädagogik der Vielfalt zu reflektieren, ist Voraussetzung für die Umsetzung von inklusiven Bildungsangeboten in Kindertageseinrichtungen.

      1.2 Qualifizierung für Inklusion

      Die Qualifikation des pädagogischen Personals hat eine Schlüsselfunktion, um eine sensible und responsive Bildung und Erziehung umzusetzen, denn Bildung ist gekoppelt an die Bedingtheit der sozialen