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Integrative Medizin und Gesundheit


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bzw. Krankheiten). Rechte Säule: Salutogenetische Perspektive (Fokus auf Schutzfaktoren/Widerstandsressourcen bzw. Gesundheit) (Esch 2017)

      Das Modell der Salutogenese von Antonovsky geht von der Annahme aus, dass Gesundheit und Krankheit zwei Pole eines Kontinuums sind, auf dem sich der Mensch befindet, so, dass folglich Krankheit eine normale Erscheinung des menschlichen Lebens ist. Aus der Sicht der Salutogenese gelingt das Verständnis des Krankheitsprozesses und somit eine optimale Therapie bzw. eine Gesundheitskorrektur nur durch ein möglichst breites Wissen über den Menschen, insbesondere auch über die Möglichkeit, krankmachende Stressoren und Belastungen zu meiden sowie gesundmachende Faktoren und Prozesse zu stärken (Gesundheitsschutzfaktoren). Ein wichtiger Bereich, der einen konstruktiven Umgang mit Stressoren ermöglicht, sind hier auch die „generalisierten Widerstandsressourcen“. Diese ergeben sich einerseits aus gesellschaftlichen Widerstandsressourcen – den Bedingungen, in denen der Mensch lebt – und andererseits aus den individuellen Widerstandsressourcen – z.B. den kognitiven, physiologischen, psychischen und materiell-ökonomischen Ressourcen. Entscheidende Bedeutung misst Antonovsky dem sogenannten Kohärenzgefühl (engl. Sense of Coherence, SOC) bei, das eine Hauptdeterminante dafür ist, welche Position der Mensch auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum hat, als auch die Richtung mitbestimmt, in welche der Mensch sich auf einen der Pole zubewegt (Antonovsky 1997). Das Kohärenzgefühl ist definiert als „eine globale Orientierung“, die ausdrückt, in welchem Ausmaß der Mensch ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass 1. die Stimuli, die sich im Verlauf des Lebens aus der inneren und äußeren Umgebung ergeben, strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind, 2. einem die Ressourcen zur Verfügung stehen, um den Anforderungen, die diese Stimuli stellen, zu begegnen und 3. die Anforderungen Herausforderungen sind, die Anstrengungen und Engagement lohnen (Antonovsky 1997). Antonovsky identifiziert dazu drei Teilkomponenten Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit, die zum Kohärenzgefühl entscheidend beitragen sollen. Verstehbarkeit ist dabei das Ausmaß, in dem interne und externe Stimuli kognitiv erfasst werden. Handhabbarkeit ist das Ausmaß, in dem der Mensch über Ressourcen verfügt, um auf die Stimuli reagieren zu können, und Bedeutsamkeit ist das Ausmaß, in dem dem eigenen Leben ein Sinn, eine Bedeutung zugeschriebenen wird (Franke 2012). In der aktuellen Forschung auch zu Resilienzmodellen und Persönlichkeits-Gesundheits-Kontexten – jenseits der Integrativen Medizin – spielt das Kohärenzgefühl weiterhin eine große Rolle, wobei nach Faktorenanalysen heute die Validität einer Auftrennung in die drei beschriebenen Teilkomponenten hinterfragt wird.

      Im Modell von Antonovsky stehen die Reaktionen des Körpers auf Stressoren im Vordergrund, andere wichtige Faktoren wie Vertrauen, Liebe, Fantasie und Gemeinschaft spielen eher eine geringe Rolle. Neben dem Modell der Salutogenese hat sich u.a. auch das Resilienz-Modell etabliert, das die körperliche, v.a. aber psychische und seelische Widerstandsfähigkeit des Menschen bezeichnet, auf schwere Lebensereignisse – wie z.B. eine Krebserkrankung – zu reagieren und sich somit krankmachenden Prozessen entgegen zu stellen (Ludolph, Kunzler et al. 2019). Die Resilienzforschung sucht Faktoren, die dazu führen, dass der Mensch sich auf dem Gesundheit-Krankheitskontinuum eher auf der Seite der Gesundheit befindet.

      Das salutogenetische Modell führt zu einem dringlich notwendigen Paradigmenwechsel in der Medizin bzw. Gesundheitswissenschaften. Der die konventionelle Medizin aktuell noch primär tragende pathogenetische Ansatz wird fruchtbar ergänzt durch den salutogenetischen Ansatz, der insbesondere dem präventivmedizinischen und dem naturheilkundlichen bzw. ressourcenorientierten Denken entspricht und an zentraler Stelle das Selbsthilfe- und Selbstheilungspotenzial des Patienten adressiert (Esch 2018).

      1.3 Konzepte der Naturheilkunde und anderer traditioneller Medizinsysteme

      Die Naturheilkunde (NHK) und traditionelle Medizinsysteme basieren mitunter auf durchaus unterschiedlichen Konzepten von Gesundheit und Krankheit, die zum Teil, wie etwa bei der Chinesischen Medizin (CM– Anmerkung: Da es keine kontinuierliche und einheitliche „traditionelle“ Chinesische Medizin gibt, wird in diesem Buch dieser Begriff verwendet), auf naturphilosophischen Ansätzen basieren, zum Teil solche Ansätze verlassen und sich naturwissenschaftlichen Gesetzen unterordnen. Die NHK als primär regulationsmedizinischer Ansatz basiert beispielsweise vor allem auf der Selbstregulation bzw. der Adaptation des Körpers an Umwelteinflüsse und den gestaltenden Kräften zur Bewahrung oder Verbesserung der Gesundheit. Trotz dieser wichtigen Unterschiede haben die beschriebenen Medizinsysteme neben der kulturellen Verankerung aber auch viele Gemeinsamkeiten: Bei vielen dieser Systeme herrscht die Idee der „Homöostase“ vor, was den Gleichgewichtszustand eines offenen biologischen Systems beschreibt – als grundlegendes Prinzip des Lebens. Genauer sprechen wir heute auch von der „Allostase“, was präziser zum Ausdruck bringt, dass die angestrebte gesunde Balance niemals stabil, sondern immer dynamisch ist (Esch 2002).

      Für den Begriff der Integrativen Medizin jedoch mindestens so bedeutsam ist die in vielen traditionellen Medizinsystemen enthaltene Aufforderung zur aktiven individuellen Beeinflussung der Gesundheit unter anderem durch Einleitung oder Begleitung günstiger Veränderungen des Lebensstils, sowohl im Sinne einer Gesundheitsförderung als auch im Sinne präventiver Maßnahmen. In der Naturheilkunde wurde hierfür zentral der Begriff der „Ordnungstherapie“ konzipiert, eine Bezeichnung für die Anregungen und Hilfen zu einem geordneten Leben und Lebensstil aus den Erfahrungen der klassischen Naturheilverfahren (Pschyrembel 1999); im Engl. wird hier der Begriff der „Lifestyle Medicine“ oder immer häufiger der Begriff der „Mind Body Medicine“ eingesetzt (Dobos, Altner et al. 2006). In der Naturheilkunde und in der traditionellen Medizin spielen darüber hinaus die Selbstmedikation, z.B. die Einnahme von Hausmitteln oder die in Inanspruchnahme von natürlichen Ressourcen zur Unterstützung der Gesundheit, eine zentrale Rolle. Therapeutisch setzt die Naturheilkunde, so wie die meisten traditionellen Heilsysteme, auf multimodale Ansätze, d.h. dem Kombinieren unterschiedlicher therapeutischer und präventiver Verfahren, um die Gesundheit zu fördern bzw. Krankheiten zu therapieren. Bei vielen traditionellen Medizinsystemen kommt neben der Ordnungstherapie (Lifestyle Medicine, Mind-Body-Medizin – s.o.) der Ernährungs-, Bewegungs- und Entspannungstherapie eine besondere Bedeutung zu, die nicht selten durch den unterstützenden Einsatz von einer oder mehrerer Heilpflanzen ergänzt wird. Weitere Therapieverfahren von traditionellen Medizinsystemen – wie z.B. die Hydrotherapie in der NHK oder die Akupunktur in der CM – stellen oftmals Alleinstellungsmerkmale dar. Zentraler Bestandteil nahezu aller traditionellen Therapiesysteme ist jedoch die Aufforderung, ein gesundes Leben zu führen und krankmachende Faktoren zu meiden. Insofern passt die Naturheilkunde (etwa am Beispiel der Ordnungstherapie sehr konkret, aber auch paradigmatisch insgesamt) ideal in das (neue) Paradigma einer modernen Integrativen Medizin.

      1.4 Integrative Medizin – Ansätze zu Definitionen

      Der Begriff „Integrative Medizin“ wird im anglo-amerikanischen Sprachraum bereits in den späten 1940er-Jahren verwendet (s. Kap. II.1) und wird ab dem Jahr 1990 zunehmend häufig auch im deutschen Sprachraum verwandt. Dennoch ist der Begriff auch heute noch vielen Ärzten und auch Patienten nicht oder nur unzureichend bekannt.

      Eine frühe Definition stammt vom ehemaligen National Center for Complementary and Alternative Medicine (NCCAM), dem heutigen National Center for Complementary and Integrative Health (NCCIH) (s. Tab. 1).

Author/Institution Year Definition of Integrative Medicine (and Health)
National Center of Complementary and Alternative Medicine at the National Institute of Health