Heike Wolpert

Mörderisches Taubertal


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und Nahrungsergänzungsmittel.

      Tim kam sich vor wie ihr Laufbursche und in letzter Zeit behandelte sie ihn auch immer öfter so. Am liebsten hätte Tim das Filmchen, das er von der schlafenden Patricia – laut schnarchend mit offenem Mund und einem Sabberfaden auf der Wange – mit seinem Handy aufgenommen hatte, ins Netz gestellt. Dann wäre er sie sicher schnell losgeworden, aber mit ihr genauso seinen Wohlstand. War sie sonst nach seiner Meinung »dümmer als ihre Schmerztabletten«, bei denen sie sich immer »wunderte«, dass sie stets »wussten, wo es ihr wehtat«, hatte sie bei der Anfertigung ihres Ehevertrages offenbar einen lichten Moment gehabt. Oder einen guten Anwalt. Jedenfalls würde Tim im Falle einer Scheidung leer ausgehen. Die Marke »Chaos-Wunder« gehörte ausschließlich Patricia.

      Er musste sich also etwas einfallen lassen, und spätestens seit Patricia den Dreh einer Folge »Promis jagen Modeschnäppchen« geschmissen hatte, weil sie ihre Vi­taminpillen mit einem Abführmittel verwechselt hatte, reifte in ihm eine Idee …

      *

      »Tiiiiimi!«

      »Ich komme, Schatz!« Tim Mühle seufzte. Manche Dinge änderten sich nie.

      »Rufst du den Zimmerservice!« Das war keine Frage, sondern ein Befehl. »Ich will Toast und ein Fünf-Minuten-Ei. Und russischen Kaviar!« Langsam wurde sie größenwahnsinnig. »Und Champagner, aber Dom Perinonne!« Sie sprach es tatsächlich so aus, obwohl sie die korrekte Artikulation sicher schon 1.000 Mal gehört hatte. Ob sie dies in gespielt naiver Absicht oder aus purer Dummheit tat, war Tim unklar, doch er unterstellte ihr das Zweite.

      Er griff zum Hörer und bestellte.

      »Wo bleibt meine Brille?«, rief sie aus dem Schlafzimmer ihrer Suite, »du weißt doch, dass ich ohne sie hilflos bin wie ein Baby.«

      »Aber lange nicht mehr so niedlich«, murmelte er.

      »Hast du was gesagt?«

      »Ich habe nur mit dem Zimmerservice gesprochen«, erwiderte er und reichte ihr das Etui.

      »Hoffentlich beeilen die sich«, maulte Patricia, »ich habe keine Zeit. Immerhin ist man nicht jeden Tag Stargast bei einer Filmpremiere.«

      Tim verdrehte die Augen. Patricia war mitnichten Stargast der heutigen Filmpremiere, die sich am Abend auf der Burgruine zu Wertheim ereignen sollte. Star dieser Veranstaltung war kein Geringerer als Carlo Castens. Der international bekannte Regisseur war in Wertheim ob der Tauber geboren. Deshalb war die Premiere seines neuesten Werks, einer Liebeskomödie mit dem Titel »Sommerwind«, auch in dieser idyllischen Kleinstadt, der nördlichsten Baden-Württembergs, geplant. Und zwar standesgemäß im wunderschönen Ambiente der Burgruine zu Wertheim, im Rahmen und als Highlight der dort stattfindenden diesjährigen Filmfestspiele. Patricia, die in seinem Streifen lediglich eine unbedeutende Nebenrolle spielte, war nur deshalb dazu eingeladen, weil die beiden Hauptdarsteller miteinander zerstritten waren und beide abgesagt hatten, vermuteten sie doch, die oder der jeweils andere würde am Ort des Geschehens auftauchen. Außerdem, so nahm Tim an, war Patricia billiger gewesen. Und zwar in mehrfacher Hinsicht, wie er in Gedanken gehässig hinzufügte.

      *

      »Wo ist der Kaviar?«, nörgelte Patricia.

      »Wahrscheinlich bei den Fischen im Schwarzen Meer, wo er hingehört«, erlaubte Tim sich einen Scherz, der aber ungehört verhallte.

      »Hast du keinen Kaviar bestellt?«, beschwerte sich seine Frau.

      »Du magst doch gar keine ›Fischeier‹.«

      »Das ist egal, Kaviar ist teuer und ich habe etwas zu feiern.« Sie nahm einen Schluck Champagner. »Immerhin ist man nicht jeden Tag Stargast bei einer Filmpremiere«, intonierte sie dann erneut – er sprach leise mit.

      Dann schenkte sie sich ein weiteres Glas Champagner ein und bedachte ihn mit einem koketten Aufschlag aus den noch ungeschminkten blauen Augen. »Trink doch auch ein Schlückchen.«

      Früher hatte er diesem Blick, ihrem Schlafzimmerblick, nicht widerstehen können, heute fand er ihr laszives Getue einfach nur lächerlich. Da konnte auch die sündhaft teure Nachtwäsche von »Victoria’s Secret« nichts ausrichten.

      »Du bist in letzter Zeit ein bisschen unentspannt«, flüsterte sie ihm mit heiserer Stimme ins Ohr. »Vielleicht sollten wir etwas dagegen tun.« Sie strich mit ihrem Zeigefinger über die Knopfleiste seines Hemdes.

      Er verdrehte die Augen. »Später, Liebling«, vertröstete er sie. »Spar dir deine Energie für deinen Auftritt. Immerhin ist man nicht jeden Tag Stargast bei einer Filmpremiere.«

      Gegen Ironie war Patricia immun. »Wenn du meinst«, ließ sie sich widerwillig von seinem Argument überzeugen. »Vielleicht heute Nacht?« Zu Tims Entsetzen förderte sie ein Döschen mit blauen Pillen zutage und zwinkerte ihm verschwörerisch zu.

      »Bist du verrückt? So ein Zeug brauche ich nicht!« Er schnappte nach den Tabletten, die sie schnell hinter ihrem Rücken verschwinden ließ.

      »Hol sie dir doch«, lockte sie mit einer Unschuldsmiene, die so falsch war wie ihre künstlichen Wimpern.

      »Sei nicht albern. Ich sagte doch: später. Nach der Premierenfeier. Jetzt mach dich schön und halt den Mund.«

      Patricia zog einen Schmollmund. »Ich bin überhaupt nicht albern und den Mund lass ich mir von dir schon gar nicht verbieten.« Sie klapperte mit dem Tablettendöschen und drückte ihm demonstrativ ihre Brüste entgegen. »Diese blauen Dinger vollbringen angeblich Wunder.«

      Wut kochte in ihm hoch. Wie konnte sie ihm unterstellen, er, Tim Mühle, würde es im Bett nicht mehr bringen? Mühsam beherrscht, wechselte er das Thema: »Ich muss noch dein Köfferchen packen.« Damit erhob er sich und fügte leise hinzu: »Aber heute Nacht, da wirst du dein blaues Wunder erleben, Patricia Wunder!«

      *

      »Die Burg Wertheim ist eine der größten Burgruinen Süddeutschlands«, erklärte der Fahrer, der sie am frühen Abend zur Premierenfeier brachte. »Sie wurde im 12. Jahrhundert errichtet und in den darauffolgenden Jahrhunderten weiter ausgebaut, im Dreißigjährigen Krieg allerdings weitgehend zerstört. In den 80er-Jahren wurde die Ruine mit Unterstützung des Landes Baden-Württemberg saniert. Seit 1995 ist sie im Besitz der Stadt Wertheim.« Offenbar hatte der junge Mann den Reiseführer auswendig gelernt und ausnahmsweise hielt Pa­tricia seinen Ausführungen nichts entgegen. Stattdessen bestaunte sie mit offenem Mund die festlich beleuchtete Burg. »Der Zugang erfolgt über das Neue Archiv mit seinen prachtvoll stuckierten Festsälen. Das Neue Archiv diente in früherer Zeit als Torhaus und erinnert noch heute an ein solches«, referierte ihr Chauffeur weiter, während sie erwähntes Portal mit seinen beiden beeindruckenden Rundtürmen erreichten.

      Carlo Castens stand hier bereits und hielt Hof. Seine Leibwächter sorgten dafür, dass ihm der »Hofstaat« in Form zahlreicher Bewunderer nicht zu nahe kam. Das Kamerateam eines Privatsenders hielt das Ganze für die Nachwelt fest.

      »Halten Sie an!«, befahl Patricia.

      Der Fahrer tat, wie ihm geheißen. Patricia öffnete noch im Ausrollen die Tür und streckte ihr seidenbestrumpftes Bein hinaus. Ein Großteil der Fans wandte sich daraufhin ihr zu. Hastig stieg Tim aus. Auch wenn sich sein Beschützerinstinkt ihr gegenüber längst im Tiefschlaf befand, so war er doch immer noch ihr Manager. Er drängte ein paar der für seinen Geschmack allzu vorwitzigen Bewunderer zurück und half Patricia aus dem Wagen. Der Blick, den Carlo Castens ihnen über die Menge hinweg zuwarf, war alles andere als liebevoll.

      Schon während der Dreharbeiten an seinem Film hatte er keinen Zweifel daran gelassen, was er von dem »Chaos-Wunder« hielt. »Ein talentfreies Sternchen«, so hatte er sie einmal genannt. Aber das Sternchen hatte eben seine Verehrer und ohne die hätte sein Film nicht nur deutlich weniger Aufmerksamkeit während der Produktion bekommen, sondern würde längst nicht die Anzahl an Zuschauern erreichen, die man derzeit prognostizierte.

      Patricia posierte für diverse Selfies und auch Tim lichtete sie noch schnell vor der beeindruckenden Kulisse der Burgruine ab, um das Foto ins Netz zu stellen. Kurz darauf