beißen.«
»Moped! Selten so eine schamlose Untertreibung gehört. Höllenmaschine passt wohl eher.« Marcos Stimme war die Erleichterung anzuhören.
Sie musste lachen. »So was kann nur ein Weichei sagen. Sorry, nichts für ungut, aber – Weichei! Lass dich doch in die Gartenredaktion versetzen, oder hast du etwa vor Harken Angst? Die sind vorne ebenfalls aus Metall.«
»Nein, danke, ich bleibe bei meinen weichen Themen«, parierte Marco. »Solchen wie dieser ultrarechte Parteifunktionär, der gestern gegen eine Mauer gerast ist, weil sein Wagen die komplette Bremsflüssigkeit verloren hatte. Der ist jetzt butterweich, das kannst du mir glauben.«
Olivia lachte entzückt. »Oho, Marco! Willst du etwa doch noch auf Mann umschulen?«
Er lachte mit, gutmütig, wie er war. »Schönen Dank auch! Und treib’s nachher nicht zu doll, nicht, dass mir Klagen kommen.«
»Wenn ich es irgendwo treibe, kommen nie Klagen.« Sie alberten noch ein bisschen herum, während Olivia sich in ihre Lederjacke zwängte. Die Lederhose trug sie bereits, die war einfach schick, wenn auch etwas warm im Sommer. Aber was tat man nicht alles für ein paar bewundernde Blicke.
Sie beendete das Gespräch und trat aus der Tür. Hinaus in die grüne Hölle. Ihr kleines Siedlerhäuschen in Drielake hatte über 1.000 Quadratmeter Garten, viel zu viel für ihren Geschmack. Wenn sie mit Mähen und Schnippeln an einem Ende fertig war, konnte sie am anderen direkt wieder anfangen. Meistens tat sie das nicht, was die Sache nicht einfacher machte. Zum Glück hatte sie tolerante Nachbarn. Das Kifferpärchen rechts lobte sie sogar für ihren »Naturgarten«, während deren eigener an eine Müllkippe erinnerte. Und der alte Schulte links, der schon ewig dort wohnte und dessen Garten immer aussah wie geleckt, stutzte sogar die kleine Trennhecke auf ihrer Seite mit. Als Nachbar war der Mann ein Glücksfall, weil er nicht nur von Pflanzen, sondern auch von Motoren etwas verstand. Auf dem Weg zu ihrem Carport sah sie ihn drüben werkeln und winkte ihm zu.
Im Carport stand ihr roter Alfa Romeo Spider, klein und niedrig und so weit wie möglich hinten rechts in die Ecke gedrängt, als fürchte er sich vor dem anderen Fahrzeug, mit dem er sich den Unterstand teilen musste. Einem Klotz aus schwarzem Metall, der das Auto deutlich überragte, mit obszön unverkleideter Maschine und blanken Luftansaugstutzen, die wie Kanonenrohre aussahen. Die Yamaha V-Max, seinerzeit das erste Serienmotorrad auf dem deutschen Markt mit mehr als 100 Pferdestärken. Sogar mehr als 100 Kilowatt! Inzwischen war das keine Seltenheit mehr, aber dieses Monstrum mit seinen 262 Kilo Gewicht hatte einst den Bann gebrochen.
Sie stülpte den knallroten Helm über ihre Mähne und glitt in den Sattel. Dröhnend und fauchend erwachte der Motor zum Leben. Sanft gab sie Gas, ließ die Maschine niedertourig über den Hemmelsbäker Kanalweg rollen, um keinen Nachbarn vom Sofa zu scheuchen; hier am Stadtrand hielt man sich noch an die Mittagsruhe bis 15 Uhr. Erst hinter dem Bahnübergang gab sie kurz mehr Gas – und steckte sofort im dichten Stadtverkehr fest. Mit einem wirklichen Moped hätte sie sich jetzt zwischen den Autos hindurchgeschlängelt. Mit dem Monster tat sie das lieber nicht. Nicht hier, wo man sie kannte.
Statt sich durch die Innenstadt zu quälen, schlug sie den Weg zur Autobahn ein, nahm die Auffahrt Oldenburg-Ost, fuhr bis Eversten/Bloherfelde und nahm dann die B401, die in Hundsmühlen auf den Küstenkanal traf. Ab hier ging es mehr oder weniger geradeaus bis zur Abzweigung nach Papenburg. Trotz der Geschwindigkeitsbeschränkungen, an die sie sich weitgehend hielt, fuhr Olivia diese Strecke gern. Vor allem wegen des Kanals, dessen Wasser linker Hand immer wieder durch Baumreihen blitzte. Hin und wieder kam ein Motorboot in Sicht, dann reckte sie den Hals. Meist aber waren es behäbige Rentnerpötte, hoch und breit und mit allem Komfort. Olivia liebte es auch auf dem Wasser deutlich rasanter. Ihr eigenes Boot im Oldenburger Jachthafen legte Zeugnis davon ab.
Kurz vor der Abzweigung des Elisabethfehnkanals kam ihr ein niederländisches Binnenschiff entgegen, so groß, wie es gerade noch durch die Schleusen passte, hoch beladen mit Containern, einige davon knallbunt, die meisten matt und rostig. Wie hatten diese Blechbüchsen die Seefahrt verändert, weltweit, auf den Ozeanen wie auf den Flüssen und Kanälen! Albert Schulte, ihr netter alter Nachbar, schwärmte oft von den Zeiten, als Stückgut noch Stückgut war und mit Kran und Karre gelöscht wurde, als die Schiffsbesatzungen zahlreich und die Hafenarbeiter noch weit zahlreicher waren. Aus, vorbei, komplett umgekrempelt. Containerhäfen glichen heute Geisterstädten, arbeiteten dafür rund um die Uhr, und die Liegezeiten der Schiffe waren so kurz, dass es sich für die wenigen verbliebenen Seeleute kaum lohnte, einen Fuß an Land zu setzen.
Ihr Vater war einer von diesen Seeleuten gewesen. Na ja, was man so Vater nannte. Nennen musste, das hatte Mutter ihr eingebläut. Von wegen Mutter! Dass sie bloß ein Pflegekind war, eine Einnahmequelle, hatte die Frau ihr nach einem furchtbaren Streit ins Teenagergesicht gebrüllt. Sie hatte im Schock eine Blumenvase zerschlagen, und ihr sogenannter Vater, der zufällig mal zu Hause war, hatte sie vertrimmt, routiniert und gründlich. Danach hatte sie sich geschworen, sich vom Acker zu machen, sobald und so schnell es ging. Das hatte sie auch gemacht, an ihrem 18. Geburtstag. Seitdem konnte es ihr nie schnell genug gehen, bei allem, was sie tat.
Vor ihr bog ein Passat auf die Bundesstraße ein, nahm ihr die Vorfahrt. Hielt der Fahrer sie etwa für ein Mofa? Statt zu bremsen, gab sie Gas, huschte an der Familienkutsche vorbei und fädelte sich vor dem entgegenkommenden Lkw wieder ein, ehe der entsetzt glotzende Fahrer seine Lichthupe gefunden hatte. Dann noch schön den Mittelfinger! Ja, so machte es Spaß. Damit trieb sie sich trübe Gedanken wirkungsvoll aus Kopf und Gekröse.
Papenburg zerrte an den Nerven. Wie konnte eine Stadt nur so lang gestreckt sein! Ein abgewickelter Bindfaden war nichts dagegen. Klar, Fehnsiedlungen waren zur Zeit der Moorkolonisten entlang von Kanälen entstanden, weil es richtige Straßen nicht gab, schon gar nicht im Winter, wenn alles nass und der Untergrund aufgeweicht war. Ließ sich logisch erklären. Aber machten Erklärungen irgendetwas besser? Für Marco vielleicht, diesen Kopfgesteuerten, dachte Olivia. Aber nicht für sie. Papenburg fühlte sich blöd an, also war es blöd.
Im ostfriesischen Dorf Völlen angekommen, fuhr sie zunächst an dem Gedenkstein vorbei. Am Tatort, genau genommen. Sie hatte gedacht, die Gedenkstätte läge direkt an der Straße, Polizei und Spurensicherung wären im Einsatz und müssten sich dabei aufdringlicher Gafferhorden erwehren. Nichts davon traf zu. Das beschmierte Steintafel-Triptychon lag ein paar Meter zurückgesetzt und durch Büsche abgeschirmt zwischen Straße und Kirche und war mit Flatterband umsäumt; der Polizeieinsatz war bereits beendet, und wenn es einen Auflauf Neugieriger gegeben hatte, dann hatte sich der inzwischen verlaufen. Vermutlich hatte die Tat nachts stattgefunden, überlegte Olivia, während sie ihre V-Max in der nächsten Seitenstraße abstellte, dann war klar, warum hier niemand mehr herumstand. Blöde nur, dass die Rundschau so spät davon erfahren hatte! Schaulustige hätten sich auf dem Foto gut gemacht. Die Verankerung ihrer Zeitung im südlichen Ostfriesland musste noch sehr viel besser werden.
Das mit Backsteinen ummauerte Denkmal hatte drei Flügel aus Sandstein; zwei kleinere rahmten den mittleren, deutlich größeren ein. Links und rechts waren die Völlener Toten des Ersten Weltkriegs aufgelistet, von 1914 bis 1918 nach Jahrgängen sortiert. Die große Tafel in der Mitte zeigte die Namen der im Zweiten Weltkrieg gefallenen Völlener, weitaus mehr, alphabetisch und im Fließtext. Über diese Namen hatte jemand mit roter Farbe das Wort »Mörder!« gesprayt, in zwei Zeilen und mit Trennungsstrich. Dahinter ein Ausrufezeichen. Und noch ein Strich darunter, wie um das Ganze … na, eben zu unterstreichen.
Olivia zückte ihr Smartphone. Sie mochte keine Bilder nur von Steinen, ohne Menschen, in der Zeitung. Aber hier waren immerhin genügend Namen drauf, und die Schändung des Mahnmals sprach für sich. Sie knipste aus verschiedenen Perspektiven.
Na ja, Mahnmal … Dass es eigentlich als Kriegerdenkmal gedacht war, sah man auf den ersten Blick, auch wenn die Überschrift »Unseren gefallenen Helden« inzwischen durch »Nie wieder!« ersetzt worden war. Die beiden steinernen Schwerter links und rechts des Mittelblocks aber hatte man belassen. Fadenscheinig, fand Olivia. Sie hatte nichts gegen archaische Waffen, hatte sogar schon überlegt, ob Fechten nichts für sie wäre. Aber weder im Ersten noch im Zweiten Weltkrieg wurde mit Schwertern gekämpft, da wurde Menschen durch alle erdenklichen Körperteile