Alfred Bekker

Ein Kommissar läuft Amok: Ein Kubinke Krimi


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      „Das hier ist besser”, war sie überzeugt. „Übrigens ist die Zeitung vorhin gekommen. Es steht was drin, was dich interessieren wird.”

      „So?”

      „Über den irren Polizisten. Der, der in dem Einkaufszentrum herumgeballert hat.”

      „Marenberg ...”, murmelte Rustow.

      „Ist das nicht der Typ, der dir immer im Nacken gesessen hat?”, fragte Bella, die sich jetzt inzwischen erhoben und auf dem Boden verstreute Kleidungsstücke aufzusammeln begann. „Im Moment wird ja überall davon berichtet. Aber der Name kam mir irgendwie bekannt vor.”

      „Du hast recht, das ist der Typ, der mir was anhängen wollte”, gab Jörg Rustow zu. „Scheiße, wer hätte gedacht, dass er auf diese Weise aus dem Spiel genommen wurde ...”

      Die Zeitung lag auf einem Ledersofa, das zu einer anderen Sitzecke in dem weitläufigen Wohnzimmer gehörte, die um einen riesenhaften Flachbildschirm gruppiert war. Auf dem Flachbildschirm war im Moment der Blick auf ein virtuelles Aquarium mit großen, exotischen Fische zu sehen. Aber Fernsehen konnte man dort natürlich auch. Und abgesehen davon war Jörg Rustow ein Fan von Western-Filmen, die er sich dort ansah. Mit Dolby Surround Sound hörte man dann die Kugeln fliegen.

      Die Zeitung war auseinandergefleddert. Das gehörte zu den Dingen, die er an Bella hasste. Sie zerfledderte die Zeitung, ehe er sie gelesen hatte.

      Der Artikel über den Amoklauf des örtlichen Kripo-Chefs war allerdings schnell zu finden. Die Überschrift war groß genug. Jeden Tag stand jetzt etwas darüber drin.

      ‘Was machte Kripo-Chef Marenberg verrückt?’, lautete diesmal die Überschrift.

      Die wissen nichts, diese Lohnschreiber!, dachte Rustow.

      Inzwischen hatte Bella sich halbwegs angezogen. Und vor allem schien sie ihre Gedanken wieder beieinander zu haben.

      „Hast du eigentlich irgendwas damit zu tun, Jörg?”

      „Womit?”

      „Na, damit, dass dieser Bulle plötzlich durchdreht.”

      Rustow drehte sich zu ihr um.

      „Red nicht so einen Scheiß!”, sagte er.

      „Ist doch schon komisch”, meinte sie und kringelte eine Strähne ihres langen Haares um den Finger. Sie spielte damit herum. „Ausgerechnet der Bulle, der sich wie ein Terrier in deine Waden verbissen hatte, macht einen so spektakulären Abgang.”

      „Hör zu! Wenn du weiter regelmäßig deinen Schnee haben willst und außerdem noch etwas Geld, um dir diese bekloppten Schuhe zu kaufen, von denen du schon mehr als genug hast und in denen du sowieso nicht laufen kannst, wenn du vollgedröhnt bist, dann fragst du mich so was nie wieder, klar?”

      „Ich meine ja nur ... Wenn ich auf diesen Gedanken komme, dann kommt doch vielleicht auch jemand anderes darauf. Hast du darüber mal nachgedacht, Jörg?”

      „Überlass mir das Denken! Bei dir kommt da ohnehin nur Mist raus!”

      Sie lachte. Ein überdrehtes, hysterisches Lachen, das vielleicht daher kam, dass sie nicht nur Kokain genommen, sondern vorher auch noch etwas zu viel von dem Whiskey getrunken hatte, den Jörg Rustow immer in großzügigen Mengen vorrätig hatte. „Du redest immer noch wie ein Lastwagenfahrer”, sagte sie. „Kann ja sein, dass du dich hier oben wie der Herr von Essen fühlst, und es kann auch sein, dass du nur schnipp machen musst und irgendein Typ kommt mit einer Maschinenpistole und räumt ein paar Leute für dich aus dem Weg, nur weil ihre Nasen dir nicht passen ...”

      „Hör auf! Es ist ekelig, wenn du betrunken bist!”

      „Ja, es ist dir peinlich, dass ich weiß, wer du früher warst. Aber soll ich dir mal was sagen? Immer wenn du den Mund aufmachst, hört man das. Mit jedem Wort. Mit jedem Satz, der über deine Lippen kommt und jedes Mal wenn du Wörter wie Scheiße und Schlampe in einem Satz sagst.”

      Der Schlag kam schnell, ansatzlos und hart. Bella taumelte zurück. Blut rann ihr am Kinn entlang. Mit einer Ohrfeige hatte sie durchaus gerechnet. So was kam bei Rustow öfter vor. Er war eben etwas grob. Aber einen Faustschlag hatte sie nicht erwartet.

      Wie ein Hammerschlag hatte dieser Hieb sie getroffen. Ihr war plötzlich schwindelig. Alles drehte sich vor ihren Augen, und sie taumelte zu Boden.

      „Wird anscheinend Zeit, dass dir mal wieder jemand deine Grenzen zeigt”, meinte er.

      Sie kauerte am Boden und sah zu ihm auf. Dann wischte sie sich das Blut vom Kinn.

      In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Jörg Rustow ging an den Apparat.

      „Was gibt es?”, fragte er etwas unwirsch und hörbar schlecht gelaunt.

      Aber seine Stimmung schien sich schon im nächsten Moment sehr aufzuhellen.

      Am anderen Ende der Leitung war Mark Reifer, sein Anwalt. Reifer hatte ihn schon aus unzähligen kritischen Situationen erfolgreich herausgehauen. Jörg Rustow hatte sich immer darauf verlassen können, dass Reifer irgendeine Unregelmäßigkeit im Verfahren oder irgendeinen anderen juristischen Dreh fand, um seinem Mandanten den Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

      „Ich habe es geschafft, Jörg”, sagte Reifer. „Die letzten Verfahren, die gegen Sie noch anhängig waren, sind jetzt offiziell eingestellt worden.”

      „Großartig”, stieß Rustow hervor. „Ich hoffe, Sie habe nicht allzu viel an Bestechungsgeldern ausgeben müssen.”

      „Ganz im Gegenteil”, meinte Reifer. „Ich glaube, dieser Marenberg ist genau zum richtigen Zeitpunkt durchgedreht.”

      „Ach, ja?”

      „Niemand ist im Moment daran interessiert, dass dessen alte Fälle noch einmal genauer unter die Lupe genommen werden. Das könnte der Justiz, dem BKA und und dem LKA erheblichen Ärger einbringen. Und ich glaube im Schatten dieser Entwicklung war man dann gerne geneigt, den Aktendeckel einfach zuzumachen und nicht mehr so genau hinzusehen.”

      „Hoffen wir, dass der verdammte Aktendeckel auch für immer geschlossen bleibt”, meinte Rustow.

      „Das liegt an Ihnen.”

      „Wieso an mir?”

      „Treten Sie einfach ein bisschen kürzer! Und vor allen Dingen vermeiden Sie in nächster Zeit am besten jeden Ärger. Leben Sie zur Abwechslung mal etwas unauffällig! Gewissermaßen unterhalb des Radars gewisser einflussreicher Leute in unserer schönen Stadt. Dann würde es die Sache mit Sicherheit etwas leichter machen.”

      Jörg Rustow verzog das Gesicht zu einem breiten Grinsen.

      „Wissen Sie was? Machen Sie Ihren Job, Herr Reifer! Und ich mache meinen. Was sagen Sie zu dieser Aufteilung? Ist für uns alle am besten, würde ich sagen.”

      Auf der anderen Seite der Verbindung herrschte jetzt für einen Moment nichts als Schweigen.

      „Wir sehen uns, Jörg”, sagte Mark Reifer schließlich. „Ich muss jetzt weiter. Schließlich habe ich noch andere Termine.”

      „Sicher. Freut mich, dass Sie etwas erreichen konnten.”

      Das Gespräch wurde beendet. Auf Jörg Rustows Gesicht furchten sich jetzt die harten Linien eines breiten Grinsen hinein.

      Vergiss nicht, dass du ohne mich gar nichts wärst, kleiner Anwalt!, ging es ihm durch den Kopf.