nicht aufhören zu zittern, ähnlich wie Heuschrecken, die ihre Flügel schwangen. Ich wollte dazu etwas sagen, nahm es mir aber nicht heraus, denn aus Furcht, das hinter mir jemand zuhörte, hielt ich meine Zunge im Zaum. Bergfluss richtete ihren Kopf nach oben und blickte absichtlich gegen den Himmel. Ihr Hintern wackelte wie eine Schaukel. So ging sie in großen Schritten vorbei, als kenne sie meinen Vater nicht.
Onkel Zhao fürchtete, daß sich die beiden nicht aushalten könnten und fand schnell für Bergfluss einen ein Meter achtzig großen Lokomotivführer als Partner. Mit dem Tempo, in dem man das Neue China aufbaute, arrangierte er für sie die Hochzeit. Eines Sonntags hielt ein LKW, geschmückt mit vielen bunten Fahnen, vor unserem Lagerhaus. Einige uniformierte Eisenbahner, unter ihnen der dicke „Klumpen“ namens Dong, sprangen aus dem Wagen, luden Bergfluss und fünf Munitionskasten auf und fuhren weg. Die farbigen Fahnen flatterten lebhaft im Wind und aus dem Lautsprecher am Wagenkopf schallte heraus: „Die Kulturrevolution ist wirklich gut! Ist wirklich gut, wirklich gut, wirklich gut!“ Alle standen vor dem Hauseingang, bis auf meinen Vater und Tausendjahr, und schauten dem sich entfernenden Fahrzeug nach. Der Wagen bog in die Straße ab und verschwand unter dem Gesang von Revolutionsliedern. Wir standen noch lange da, unter dem Eindruck der vom Lautsprecher zurückgelassen Lieder.
Später erzählte mir mein Vater offen, daß er sich zur gleichen Zeit an der nächsten Straßenkreuzung befunden hätte, als der bunte Wagen vor seinen Augen vorbeiraste. Bergfluss stand am vordersten Platz, sich mit beiden Händen an der Lehne festhaltend. Ihre Haare waren vom Wind zerzaust, wie ein zerrissener Lumpen. In ihrem Gesicht war keine Traurigkeit, kein Bedauern zu sehen, und es war unvorstellbar, sogar mit etwas Fröhlichkeit. Ihr war keinesfalls aufgefallen, daß mein Vater zum Abschied dort stand. Er verfolgte den Wagen, lief an dem großen Warenhaus, dem SonnenAufgang-Hotel vorbei, bis er nicht mehr mithalten konnte. Er blieb stehen und weinte. Er sagte mir hinterher, er habe den ganzen Nachmittag geweint.
Ich glaubte im Prinzip seinen Worten, weil er an jenem Nachmittag erst sehr spät nach Hause kam und gerötete Augen hatte. Man konnte Blutfaden in seinen Augen sehen. Er starrte am Esstisch eine Weile ins Leere und ergriff erst dann die von meiner Mutter zurückgelassene Reisschüssel. Er nahm einen Mundvoll, machte Pause, erst lange danach wieder einen Mundvoll.
Jedes Mal erreichte mindestens die Hälfte der Reiskörner nicht den richtigen Platz, sie landeten auf dem Tisch. Er schien anfangs den Teller fetten Fleisches als zusätzliches Essen auf dem Tisch nicht zu sehen, griff mit den Stäbchen wiederholt daneben. Immer wieder konnte er dann das Fleisch nicht festhalten. Er bemerkte nicht, daß die Reisschüssel von meiner Mutter vollgestopft worden und schwerer als sonst war. Das Fleisch schien seine Zunge heute nicht besonders zu reizen und es machte ihm keinen Unterschied zum Moschuskürbis als alltägliche Mahlzeit. Er speiste für eine gute Stunde und schaffte nur eine kleine Hälfte. Die meiste Zeit machte er Pausen. Die Zubereitung der Speisen durch meine Mutter mit größter Sorgfalt übersah er, so wie ihn Bergfluss übersehen hatte.
Es war zum ersten Mal so mäuschenstill in unserer Wohnung, wie auch im gesamten Lagerhaus. Nachts wälzte sich Vater im Bett hin und her und schlief erst ein, als es am Fenster hell wurde. Es gab seitdem auch kein Schnarchen mehr. Stattdessen knirschte er leise mit den Zähnen. Unversehens umarmte er mich im Schlaf und stieß hervor: „Bergfluss, Bergfluss“. Vor Schreck war ich wie gelähmt. Er schien seine Verwirrung eingesehen zu haben und ließ seine Hand los, die nun schlaff auf meine Seite fiel. Meine Mutter hustete ein paar Mal laut und stand von ihrem Bett auf. Die in der letzten Nacht verstummten Geräusche kehrten morgens ins Lager zurück. Da war das Pinkeln von Tante Fang und das Spucken von Onkel Zhao. Wir richteten uns auf Grund dieser vertrauten Geräusche im Bett auf, wuschen uns das Gesicht und verschwanden. Mein Vater faulenzte allein im Bett weiter.
Wenn dieses nächtliche Vorkommnis nur das eine Mal gewesen wäre, hätte meine Mutter das möglicherweise entschuldigen können. Auch ich hätte das entschuldigt. Aber mein Vater war unbeherrscht, umarmte mich in den folgenden Nächten immer wieder und schrie dabei „Bergfluss, Bergfluss“. Bevor ich meine alte Gänsehaut los war, überzog mich schon wieder eine neue. Ich konnte nicht umhin, auf einem zusammengestellten Bettchen zu schlafen. In den folgenden Nächten umarmte mein Vater sein Kopfkissen und rief nach wie vor den Namen jener Frau. Meiner Mutter riss schließlich der Geduldsfaden, sie schrie plötzlich auf, griff nach einem Wasserglas, das sie in Richtung meines Vaters Bett zum Kopfende hin schmiss und donnerte ihn aus vollem Hals an: „Du, Schurke! Raus mit dir!“
Mein Vater stieg verdrießlich aus dem Bett, zog sich eine Jacke an und trollte sich wirklich. Er rollte wie ein Eisenring immer vorwärts, rollte über die Eisen-Pferd-Straße, die Drei-Bindungen-Straße und hielt an der Einfahrt zur Eisenbahn. Du weißt, daß damals in der Nacht die ganze Stadt ruhte, nur die Züge auf den Schienen schliefen nicht. Sie fuhren hin und her, manchmal ein ganzer Zug voll von Lichtern, manchmal mit Waren zu Bergen aufgeladen. Mein Vater saß am Rand der Bahngleise und beobachtete die Züge. Warum wollte er die Züge beobachten? Er hatte heimlich die Waffenfabrik aufgesucht und durch andere erfahren, daß Bergfluss dort nicht mehr zur Arbeit erschienen war. Sie war in den Zug vom Lokführer Dong versetzt worden. Sie würde mit Sicherheit eines Tages das ganze China bereisen.
Eines Tages nach unserer Heimkehr sahen wir einen Zettel auf dem Tisch liegen. Es waren die Handschriften des Vaters: „Ich habe in Peking zu tun und werde in fünf Tagen wieder zu Hause sein.“ Meine Mutter hielt den Zettel, ihre Hand zitterte leicht. „Weißt du, warum Papa nach Peking gefahren ist?“ fragte Blümchen. „Besucht er den Vorsitzenden Mao?“
„Diese große Ehre hat er nicht, er besucht Bergfluss im Zug.“ Meine Mutter zerriss den Zettel, warf ihn zu Boden und versetzte ihm einen kräftigen Tritt. „Ein großer Gauner ist dein Vater,“ platzte sie ihren Jammer heraus, „ich kann mit ihm nicht weiterleben. Hätte ich nicht euch beide Geschwister, hätte ich mich schon tausendmal wollen scheiden lassen. Er muss überlegen, welcher unmögliche Typ Bergfluss ist. In welcher Hinsicht ist sie besser als deine Mutter? Kann sie Kaligrafie? Kann sie Instrumente spielen? Kann sie sticken? Das alles kann sie nicht. Sie kann nur mit dem Hintern wackeln. Wenn die beiden nebeneinander auf einer Bank sitzen, verhalten sie sich wie zwei Schurken!“
Nach dem Abendessen fing meine Mutter an, zu packen. Sie legte die Kleidungen von ihr und Blümchen ordentlich in den alten Lederkoffer und auch die halbe Flasche Parfüm. Ich fragte: „Mutter, was ist mit meinen Sachen?
„Wir können nicht alle wegfahren. Du musst hierbleiben, um für deine Mutter auf das Haus aufzupassen.“
An jedem Feierabend packte meine Mutter den Koffer neu. Manchmal erinnerte sie sich an ein Buch, manchmal plötzlich an ein Album oder an einen Kamm. Alles, was sie finden konnte, steckte sie in den Koffer. Schließlich konnte der Koffer wirklich nichts mehr aufnehmen. Sie nutzte zusätzlich ein Tragenetz, in das bald auch nichts mehr ging. Sie begann dann die Sachen aus dem Koffer und dem Netz heraus zu nehmen und änderte ständig die Strukturen, mal heraus und wieder hinein, mal hinein und wieder heraus. Das wiederholte sie mehrere Tage.
Eines Abends, als mein Vater niedergeschlagen wieder zu Hause ankam, packte meine Mutter den Koffer: „Wir haben zusammen zwei Kinder. Jeder sorgt für eines.“ Mein Vater fragte: „Wo willst du hin?“ „Zusammen mit Tieren im Zoo zu leben, ist besser als mit dir.
Wenn dir das klar geworden ist, komme ich zurück. Dann lassen wir uns scheiden.“
Mein Vater hockte auf dem Boden, griff mit beiden Händen an seinen Kopf. Meine Mutter nahm noch das Netz in die Hand und ging mit Blümchen aus dem Haus. Ich versetzte einen Fußtritt gegen den Hocker und schimpfte: „Verdammt Scheiße!“
Mein Vater hob den Kopf: „Zu wem sagst du Scheiße?“
„Das weißt du nicht?! Ich hätte das nicht geglaubt, du bist unverbesserlich.“
Mein Vater stand augenblicklich auf: „Das ist Liebe! Kapierst du?“ „Liebe ist, die eigene Frau zu lieben. Die Frau eines anderen zu lieben ist ein Schurkenstück!“
Mein Vater sprang auf und ab: „Wie kann ich dir das erklären? Ich umschreibe das einfach so. Nachdem du zum Beispiel zehn Jahre keinen Tropfen Öl genossen hast und dir plötzlich