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GegenStandpunkt 3-16


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      Im Positiven wie im Negativen hat sich die Nation dieses Kriterium seitdem zu eigen gemacht: Alle Befürworter der Republik sind stolz auf die neue Weltoffenheit des Landes und goutieren die Bemühungen darum, die willkommen geheißenen Flüchtlinge zu verstauen: „Wir schaffen das!“ Alle Kritik an Merkels Linie dreht sich um die Frage, ob dieses Projekt nicht unsere Arbeits- und Wohnungsmärkte überstrapaziere, die Integrationskraft von Land und Bevölkerung überfordere oder gar der Punkt sei, an dem sich der Verrat am Volk durch die „Gutmenschen“ in Politik und Öffentlichkeit offenbare. In einem sind sich alle einig: Ausgerechnet an der peripheren Frage der Verdauung des Flüchtlingsstroms soll sich entscheiden, was von dieser Republik zu halten sei. Das soll das Charakteristische an diesem Land sein?

      Die Meinung der Herrschenden ist zwar die herrschende Meinung, deswegen aber – obwohl Demokratie herrscht – noch lange nicht wahr; ihr Beurteilungskriterium ist im Gegenteil an Unsachlichkeit nicht zu überbieten. Es empfiehlt sich ein nüchterner Blick auf die deutsche Klassengesellschaft, die die Kanzlerin als „ihr Land“ schätzt und die ihr Volk als Heimat so gut findet, dass die eine Hälfte den Flüchtlingen wünscht und die andere ihnen nicht gönnt, in sie integriert zu werden.

      Der Umstand, dass das Arbeitsleben im reichsten Land Europas reich an Härten ist, dass nämlich das verdiente Geld mit allerhand Unannehmlichkeiten, „Stress“ und Überstunden erkauft zu werden hat, die den Anforderungen des Arbeitgebers geschuldet sind, bleibt niemandem verborgen – erst recht nicht denen, die das am eigenen Leib erfahren und die Anforderungen von ihren Vorgesetzten vorbuchstabiert kriegen. Auch die Notwendigkeit, auf die diese Härten zurückgehen, ist keinem ein Geheimnis: Notwendig ist rentable Arbeit für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und des Wirtschaftsstandorts Deutschland insgesamt, von dessen Erfolg die Nation und ihre Insassen nun mal abhängen und für den deswegen Anstrengungen erbracht werden müssen. Auch von den Herausforderungen und Leistungen, Rückschlägen und Erfolgsmeldungen der Nation im Verhältnis nach innen und außen wird den deutschen Bürgern nichts vorenthalten. Sie werden ausgiebig davon in Kenntnis gesetzt, dass die politischen Macher mit der Performance ihrer Nation und mit sich als deren Gestalter derzeit sehr zufrieden sind: Sie bilanzieren ein Wirtschaftswachstum, während weltweit Krise ist, einen ausgeglichenen Haushalt, während anderswo der Staatsbankrott droht, usw.

      Daran ist bemerkenswert, dass bei allem Erfolg der Nation die Härten des Alltagslebens ihrer arbeitenden Mitglieder überhaupt nicht abnehmen und die Sorgen beim Zurechtkommen keineswegs gegenstandslos werden. Politiker warnen gar, angesichts des Erfolgs dürften die, die sich für ihn ins Zeug legen, nicht leichtfertig die Grundlagen des zukünftigen Erfolgs aufs Spiel setzen, indem sie seine Früchte genießen. Umgekehrt wachsen mit den Erfolgen die Erfolgsmaßstäbe, die die Politiker ihrer Nation setzen, und damit die Ansprüche an diejenigen, die ihn zu erarbeiten haben.

      Welche das sind, ist ja kein Geheimnis:

      Ganz grundlegend gilt der Stolz auf die Ökonomie des Landes der Tatsache, dass die ganze Welt mit qualitativ hochwertigen Waren aus Deutschland beliefert wird. Was immer die Kunden an denen jeweils begeistern mag – in den Augen der verantwortlichen Politiker zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie alle dasselbe sind: Verkaufsschlager made in Germany, die konkurrierende Anbieter vergleichbarer Gebrauchsartikel erfreulich alt aussehen lassen; ganz selbstverständlich hat die Qualität deutscher Produkte ihr Maß in eroberten Weltmarktanteilen.

      Dass die Produkte sich so gut verkaufen, liegt bekanntlich an der wettbewerbsfähigen Industrie, die sie hervorbringt. Dieses Attribut gilt den Liebhabern des Industriestandorts als dessen wichtigstes Qualitätsmerkmal: Die nationalen Anstrengungen zur Hervorbringung des gegenständlichen Reichtums, von dem die Menschheit materiell lebt, haben die Potenz zum erfolgreichen Bestehen eines Konkurrenzkampfs mit ihresgleichen. Erfolgreiche auswärtige Produktionsanstrengungen derselben Art, die ihren Teil zur Versorgung der Menschheit mit nützlichen Gütern leisten, werden da grundsätzlich gar nicht anders in Betracht gezogen denn als gegnerische, die durch ein im Preis-Leistungs-Vergleich überlegenes Warenangebot auf „den Märkten“ gewinnbringend zu schlagen, d.h. ex post ihrer ökonomischen Sinnlosigkeit zu überführen sind.

      Dabei lobt sich Deutschland dafür, seine erstklassige „Wettbewerbsfähigkeit“ gerade im Gegensatz zu gewissen fernöstlichen Konkurrenten um den Titel des Exportweltmeisters nicht vorrangig auf dem Wege des Dumpings und miserabler Arbeitsbedingungen – offenbar auch ein verführerisch naheliegendes Konkurrenzmittel – zu erzielen, sondern seinen „Vorsprung durch Technik“ erwirtschaftet zu haben. Wie das geht, mit technisch immer aufwändigeren, immer teureren hochautomatisierten Produktionsstätten Produkte hervorbringen zu lassen, die so preisgünstig sind, dass sie gewinnbringend auf Kosten vergleichbarer Produkte Weltmarktanteile erobern, ist nicht nur kein Geheimnis, sondern der ganze Stolz der Standortverwalter: Dank überlegener Technik wirtschaftet die deutsche Industrie mit weltrekordmäßig niedrigen Lohn-Stückkosten. Aufs Stück gerechnet den Anteil am erarbeiteten geldwerten Reichtum, der in den Händen der Belegschaft landet, auf immer neue Minima zu senken, ist offenkundig der geschätzte Sinn und Zweck des technischen Fortschritts. Der Berufsstand, dem nichts zu schwör ist, schafft es permanent, den progressiven Ausschluss der Arbeiterschaft vom geschaffenen Reichtum in immer mehr Branchen auf Niveaus zu treiben, auf denen die meisten Nationen der Welt – wenn sie die Produktion entsprechender Waren überhaupt hinkriegen – trotz größter Anstrengung in Sachen Lohndrückerei und miesester Beschäftigungsbedingungen einfach nicht mehr mithalten können.

      Das Herzstück der deutschen Technologieführerschaft bildet die Abteilung Maschinenbau und Fertigungstechnik mit ihren zahlreichen mittelständischen „hidden champions“, die zum Stolz der Standortverwalter in ihrem jeweiligen Segment Weltmarktführer sind. Die Tatsache, dass sie dauerhaft einen verlässlichen Beitrag zum Exporterfolg leisten, zeigt, wie gut sie sich auf alles Mögliche verstehen, was industrielle Kunden weltweit an Gerätschaften benötigen, um ihre Leistungsangebote auf das stets neueste Niveau von „Konkurrenzfähigkeit“ bringen zu können: Hochtechnologie made in Germany hilft ihren Anwendern die Relation von Umsatzentwicklung und Kosten, die für den Lebensunterhalt ihrer Arbeitskräfte bezahlt werden müssen, ständig zu verbessern, befähigt sie zur Gefährdung von Arbeitsplätzen bei ihren unterlegenen Konkurrenten – und verhilft den deutschen Produzenten von führender Produktionstechnologie zu einer gewinnträchtigen Schlüsselrolle auf den Weltmärkten, weil sie ihnen in Premiumqualität die heißbegehrten Mittel zur Überflüssigmachung von Arbeit – sprich: von deren Bezahlung – liefern.

      Neben viel Anerkennung für ihren Erfolg bei der relativen Emanzipation des Geschäftserfolgs von zu bezahlender Arbeit erhalten die Unternehmen der deutschen, insbesondere der mittelständischen Industrie Lob dafür, auch in Krisenzeiten absolut die Zahl ihrer Arbeitsplätze erhalten und sogar neue geschaffen zu haben. Gut ist also, dass der arbeitssparende Fortschritt der arbeitenden Bevölkerung hierzulande von der Last der Arbeit überhaupt nichts erspart. Das ist deshalb positiv, weil an den Lebensunterhalt derjenigen gedacht wird, die einen solchen nur beziehen, solange sie aus ihrem Dienstverhältnis am Unternehmenserfolg nicht entlassen werden; was Liebhabern der Marktwirtschaft beweist, wie verantwortungsbewusst sich die „Arbeitgeber“ um die menschlichen Anhängsel ihres Erfolgs kümmern, wenn sie sie für diesen in Dienst nehmen. Zweitens aber loben die Politiker den vergleichsweise konstant hohen Anteil gerade der industriellen Beschäftigten als Indiz für die ausgezeichnete Qualität des Wirtschaftsstandorts; sie entnehmen ihm, worauf es ihnen ankommt: dass nämlich das nationale Wachstum in der Industrie, die andere Länder so schon gar nicht mehr haben, eine zuverlässige Gewinnquelle und damit eine sichere Stütze hat. Das Allgemeinwohl, um das sie sich von Berufs wegen sorgen, sehen sie von den Unternehmern ihres Produktionsstandorts bestens bewirtschaftet, wenn die die Weltmärkte derart für sich zum Mittel zu machen verstehen, dass sie alle Rationalisierungswellen führend mitgestalten und dabei einen so durchschlagenden Erfolg haben, dass sie trotz des gewachsenen Produktivitätsniveaus