Laut sagte sie: »Was haben Sie Schönes für mich?« Die junge Frau zeigte ihr einen Plastiksack.
»Diesen Schlüsselbund mit der langen roten Schnur haben wir im Abfalleimer vor dem Turnsaal gefunden. Sehen Sie? Drei größere und ein kleiner Schlüssel. Der kleine könnte zu einem Briefkasten passen. Ich habe sie ausprobiert. Der große mit dem roten Punkt drauf passt in das Schloss vom Turnsaal. Fingerabdrücke habe ich schon genommen. Ich lasse es Sie schnellstmöglich wissen, wenn sie zum Toten passen.«
Belu bedankte sich. »Geht’s vielleicht heute noch?«
Die Assistentin verzog die Mundwinkel. »Dr. Schimmelfuß hat mir schon gesagt, dass sie am liebsten immer alles gestern hätten.«
»Dafür dürfen Sie auch in meine Gummibärentüte greifen.« Belu hielt ihr die geöffnete Tüte hin. »Bedienen Sie sich ruhig großzügig.«
»Wie nett, dass Sie an mein Hüftgold denken!«
»Die sind kalorienarm«, zwinkerte Belu. Und zu Klaus gewandt, sagte sie: »Wunderbar, somit gibt es also doch mehr als einen Schlüssel für die Turnhalle. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Meier sich den Schlüssel hat nachmachen lassen. Der wollte vom Hausmeister unabhängig sein und nicht jedes Mal bitten müssen, wenn er die Turnhalle betreten wollte. Nun, wir werden es wissen, sobald die Fingerabdrücke verglichen sind. Was sagen die Schüler, Klaus?« Belu deutete mit dem Kopf zur Türschwelle. Sichtlich schüchtern standen die beiden Jungs dort. Sie wirkten etwas verloren, vermieden es krampfhaft, im Turnsaal herumzuschauen.
»Das sind die Klassensprecher der zehnten Klasse. Nüsslein hat sie dabehalten, wohl als Ansprechpartner. Die anderen Schüler sind in ihren Klassenräumen. Beide haben übereinstimmend gesagt, dass Meier etwas speziell war.«
»Speziell?«
»Nun ja, keiner der Schüler konnte ihn leiden. Er war einfach zu autoritär. In seinem Unterrichtsfach Religion war er gerade noch so auszuhalten. In Mathe hat er die Arbeitsgruppe geleitet und sich um die Genies gekümmert, aber ganz extrem muss es im Sportunterricht zugegangen sein. Da hat er sich wohl auch selbst nicht geschont, was seine sportlichen Aktivitäten anbelangte. Jedenfalls ist den Schülern aufgefallen, dass er doch immer mal blaue Flecken hatte.«
»Ein reizendes Kerlchen«, warf Belu dazwischen. »Ich nehme an, dass die Schüler sich vor ihm fürchteten?«
»Sein Lieblingsausspruch war: Du hättest die Suppe der Weisheit nicht mit der Gabel essen sollen! Sagt alles, oder?«
»Oh, witzig war er auch noch. Ich kann mir gut vorstellen, dass das ganz schön verletzend auf einige Schüler wirkte. Die befragen wir später noch genauer. Jetzt werden wir erst mal dem Herrn Direktor einen Besuch abstatten.«
Mit einem letzten Blick auf die Mitarbeiter, die die Leiche in eine Zinkwanne legten, ging Belu federnden Schrittes durch den Turnsaal. Sie stutzte kurz, als sie die beiden Klassensprecher sah.
»Die sind ja immer noch da. Ihr könnt jetzt in eure Klasse gehen«, damit entließ sie die Jungs. Klaus war ihr nachgeeilt. Nachdem er Belu mit zwei großen Schritten überholt hatte, hielt er ihr mit einer kleinen Verbeugung die Tür auf.
»Heute sind wir aber wieder charmant. Willst du was?«
»Wenn du mich so direkt fragst. Am Samstag spielt der Club, und ich habe Karten …«
»Klausi, wir stecken mitten in einer Mordermittlung!«
»Zwei Stündchen?«
Belu seufzte tief.
»Sag mal, Klaus, gibt’s ne Ehefrau zu unserem Toten?«
»Das werden wir sicher gleich vom Direktor erfahren.«
Klaus räusperte sich betont deutlich.
»Was ist, Klausi?« Der Kollege deutete auf Belus Überschuhe, sagte nichts. Mit einem Ruck riss sie sich die blauen Dinger von den Füßen und drückte sie Klaus in die Hand. Er steckte die Plastiküberschuhe ineinander, sah sich suchend um. Auf den Punkt genau traf er den Papierkorb, grinste und eilte hinter Belu her.
In der geräumigen Aula der Schule hing ein Wegweiser mit den Namen der Lehrer, ihrer Berufsbezeichnung, den entsprechenden Klassen, und in welchen Klassenzimmern sie sich finden ließen. Auch das Direktorat und das Sekretariat waren ausgewiesen. Neben der Tür hing ein Schild: Vorzimmer Fräulein Margarete Kleinert. Belu klopfte forsch, wartete eine Antwort gar nicht erst ab, öffnete die Tür und stand unmittelbar vor einem breiten Tresen, auf dem sich nur ein angeketteter Kugelschreiber befand. Eine Frau mittleren Alters mit hochgesteckten Haaren blickte fragend von ihren Papieren hoch. Die runden Brillengläser saßen auf ihrer Nasenspitze und verliehen ihr ein altjüngferliches Aussehen.
»Sie wünschen?« Die tiefe Stimme passte nicht so ganz zu dem Erscheinungsbild, das die Dame abgab.
»Hauptkommissarin Nürnberger, das ist mein Kollege Oberkommissar Hofmockel.« Beide Beamte zückten ihre Dienstausweise. »Wir würden gerne mit Herrn Direktor Dressler sprechen, Fräulein Kleinert, nehme ich an.«
Sie nickte. »Natürlich, Sie werden schon erwartet. Folgen Sie mir!«
Steif deutete die Sekretärin den beiden Kommissaren an, um den Tresen herumzukommen. Dann klopfte sie, wartete das Herein ab, öffnete die Tür, murmelte etwas und zog sich zurück.
Ein Herr mit einem dünnen Haarkranz fuhr mit seinem Schreibtischstuhl nach hinten und stand zackig auf. Der Scheitel war am linken Ohr gezogen und eine graue Strähne lag wie aufgeklebt quer über der lichten Stelle. Zum beigen Anzug trug er eine rote Krawatte. Die Hände vor der Brust verschränkt, kam er auf die beiden Kommissare zu.
Aha, der übt Distanz, kam es Belu in den Sinn. Der will uns keine Hand geben. Mit einem Blick erfasste sie die Person, die da vor ihr stand. Akademiker, im Schuldienst grau geworden. Die Einrichtung des Zimmers passte zu ihm. Wuchtiger Schreibtisch, weiße Wände, Bild des Bundespräsidenten, Anrichte mit Leitzordnern, rundes Tischchen, Besucherstühle. Alles funktionell, schmucklos.
»Dressler«, sagte der Herr in Belus Gedanken hinein, »ich bin Direktor dieser Schule – noch«, fügte er an. »Das ist mein letztes Schuljahr, dann gehe ich in Pension. Herr Meier hat sich beworben, wäre vielleicht mein Nachfolger geworden.« Er seufzte tief und wischte sich mit einem gestärkten Stofftaschentuch über die Stirn. »Tragisch, wirklich tragisch. Können Sie mir nähere Auskünfte geben? Herr Nüsslein, unser Hausmeister, sagte mir nur, dass er Herrn Meier tot in einer Blutlache liegend im Turnsaal gefunden habe.«
Direktor Dressler wies zur Besucherecke, er selbst zog sich wieder hinter seinen Schreibtisch zurück.
Der macht das schon geschickt, dachte Belu, zeigt gleich die Grenzen auf. Er ist der Boss und wir die armen Sünderlein.
»Meier ist erschlagen worden, Herr Dressler«, sagte Belu. Der Stuhl war äußerst unbequem. Wahrscheinlich saßen hier öfter Schüler und die sollten es sicher nicht behaglich haben. Am liebsten wäre Belu aufgestanden und im Zimmer auf und ab gegangen.
»Die näheren Umstände sind noch nicht bekannt. Sagen Sie, war Herr Meier verheiratet? Oder gibt es Angehörige, die wir benachrichtigen müssen?«, erkundigte sich Belu.
»Ja, seine Ehefrau.« Dressler drückte auf eine Taste am Telefon und gab seiner Sekretärin Anweisung, die Adresse von Meier herauszusuchen.
»Sie sagten, Meier wäre vielleicht Ihr Nachfolger geworden. Gab es noch weitere Bewerber?« Klaus zückte seinen Notizblock.
»Studiendirektor Johannes Petermann, Geschichte, Geografie. Er hatte sich ebenfalls für den Posten des Direktors beworben. Beide Kollegen wären bestens für die Stelle geeignet gewesen. Beide hatten die erforderlichen Vorbereitungsseminare und entsprechenden Module besucht. Beide haben mit sehr gut bestanden und abgeschlossen.«
»Und wen haben Sie präferiert?«, hakte Belu nach.
»Nun«, druckste Direktor Dressler herum, »ehrlich gesagt, war mir Petermann geeigneter erschienen. Wissen Sie, wie soll ich