und doch fanden gerade ihre Bilder immer wieder ihre Käufer. Anscheinend besaß Margo ein geschicktes Händchen für den Verkauf.
Als Klara vor Jahren von Köln wieder in ihre Heimatstadt Stuttgart zurückkehrte, um dort ihre erste Galerie zu eröffnen, schlug sie Margo vor, sie zu begleiten und mit ihr in der Galerie zu arbeiten. Zu zweit würde sich eine Galerie sicher einfacher aufbauen und führen lassen. Margo war froh über das Angebot, denn nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes war sie mit ihrer kleinen Tochter in einem viel zu großen Haus in Köln allein zurückgeblieben. Sie besaß dort zwar viele Freunde und Bekannte, doch ein Neuanfang in Stuttgart mit einer neuen Aufgabe reizte sie, zumal auch ihre Mutter und weitere Familienmitglieder in der näheren Umgebung leben. Nach kurzer Überlegungszeit nahm sie Klaras Angebot an und zog mit ihrer kleinen Tochter nach Stuttgart. Sie hat bis heute diesen Schritt nicht bereut. Ihre Tochter hatte sich überraschend schnell mit der neuen Situation abgefunden und viele Freundinnen gefunden. Margo stürzte sich zusammen mit Klara in den Aufbau der Galerie. Ihre Freundschaft vertiefte sich und auch beruflich wuchsen sie zu einem guten Team zusammen.
Margos Arbeitsbereich umfasst das Geschäftliche, wie das Festsetzen der Ausstellungstermine, Kataloge und Zeitungsartikel in Auftrag geben, mit Käufern zu verhandeln und Galeriebesucher durch die jeweiligen Ausstellungen zu führen. Sie liebt es, die Besucher durch die großen, eleganten Räume zu führen, die mit jeder neuen Ausstellung ihr Gesicht und ihre Ausstrahlung verändern. Die Galerie sei für sie ein leerer, weißer Raum, der darauf warte, mit Leben erfüllt zu werden, erklärte sie einmal begeistert, als sie nach ihrer Arbeit als Galeristin gefragt wurde. Ihre Aufgabe sei es, dafür zu sorgen, dass die Kunstwerke, durch die richtige Hängung und die optimale Beleuchtung, ihre Farben und ihre Leuchtkraft ideal zur Geltung bringen können. Erst dann würden die Bilder ihre Geschichten erzählen und ihre Botschaften vermitteln. Schlussendlich seien es natürlich die Besucher, die den Raum mit Leben erfüllten, wenn sie mit den Kunstwerken in Verbindung treten würden. Sie erlebe die Zeit von der Aufhängung der Bilder bis zur Vernissage und anschließender Ausstellungszeit stets als eine Bereicherung ihres eigenen Lebens.
Für Klara bedeutet die Galerie ebenfalls Bewegung und Veränderung, aber nur im Außen. Fremde Städte und Länder zu bereisen, die Künstler in ihren Ateliers zu besuchen und neue Bilder für eine Ausstellung zusammenzustellen, das ist ihre Welt. Im Außen zusammenzutragen, was im Inneren zur Entfaltung kommt, dafür ist Klara zuständig und da sie ein gutes Händchen für das Entdecken von neuen Künstlern hat, eröffnete sie vor zwei Jahren eine zweite Galerie in München, die ebenfalls mit großem Erfolg läuft. Sie haben sich mittlerweile in den Kunstkreisen einen guten Namen gemacht, der weit über die Landesgrenze hinaus bekannt ist. Zurzeit zählen sie Japaner, Russen und vor allem Schweizer zu ihren Hauptkunden. Während sich Klara fertig anzieht, sind ihre Gedanken bereits in der Galerie und bei Margo. Ein warmes Gefühl breitet sich in ihr aus. Vertrauen, Verlässlichkeit, sich angenommen fühlen, das alles findet sie bei Margo. Sie ist wie ein Hauptgewinn im Lotto für mich, denkt sie. Immer kann ich mich auf sie verlassen. Wenn sie sich nur nicht ständig so viele Sorgen um mich machen würde! Sie scheint Tentakeln zu besitzen, mit denen sie genau spürt, wie es mir gerade geht. Klara muss bei ihrem Vergleich lachen. Bin ich wirklich so dünn und blass, wie sie immer meint? Zur Sicherheit betrachtet sie sich noch kurz im Flurspiegel. Sie hat schon Recht, ich habe ziemlich an Gewicht verloren. Im Gegensatz zu ihr sehe ich aus wie eine Bohnenstange. Was ich an Kilos zu wenig habe, hat Margo stets zu viel. Ständig findet sie in irgendwelchen Frauenmagazinen neue Diätvorschläge, durch die sie, scheinbar jedes Mal mit hundertprozentiger Sicherheit, ihre Traumfigur erreichen kann. Dabei ist sie so eine hübsche Frau mit ihren strahlenden, blauen Augen und ihrem blonden Lockenkopf. Die Rundungen gehören einfach zu ihr, betonen das Mütterliche und Gemütliche, findet Klara. Sie schüttelt den Kopf und wendet sich wieder ihrem Spiegelbild zu. Die dunklen Schatten, die sich unter meinen Augen angesiedelt haben, wird sie sicher wieder als erstes bemerken! Ich sollte ein wenig braunen Gesichtspuder und einen Tupfer Rouge auflegen. Mit einem dunklen Lidstrich und schwarzer Wimperntusche untermalt sie ihre grünen Augen, die durch das dunkle Brillengestell in ihrer Ausdrucksfähigkeit betont werden. Sie betrachtet sich noch einmal im Spiegel. Ja, jetzt sehe ich ganz gut aus, findet sie und bindet ihre langen, roten Haare zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammen. Auf jeden Fall kann ich mich jetzt sehen lassen und meine fast achtundvierzig Jahre bleiben, zurzeit wenigstens noch, mein Geheimnis.
Sie wirft ihrem Spiegelbild noch ein schiefes Lächeln zu, begibt sich auf die Suche nach ihrem Autoschlüssel, der zum Glück sehr schnell in ihrer geräumigen, schwarzen Ledertasche auftaucht, und verlässt das Haus.
Sie fährt zuerst in die Galerie, die sich in der Innenstadt befindet. Da sie zwei Parkplätze direkt vor dem Haus besitzen und ihre Öffnungszeiten sich nicht mit dem Berufsverkehr überschneiden, der sich jeden Tag wie eine träge, vollgefressene Schlange seinen Weg in die Innenstadt bahnt, erreicht sie bereits nach kurzer Zeit ohne Stress und Parkplatzsuche ihr Geschäft.
Momentan stellen sie sehr interessante, zeitkritische Schwarz-Weiß-Fotografien eines Londoner Fotografen aus. Klara hatte seine Bilder in einem unscheinbaren Londoner Café entdeckt und ihm eine Ausstellung in ihrer Galerie angeboten. Der Fotograf konnte sein Glück kaum fassen. Klara hatte mit ihrer Entdeckung Recht behalten. Die Vernissage war sehr gut besucht gewesen, einige Bilder sind bereits verkauft.
»Guten Morgen Margo«, ruft Klara in den Ausstellungsraum.
Diese streckt den Kopf aus dem Büroraum, den Telefonhörer am Ohr und winkt ihr zu. Wie sich Klara schon gedacht hat, steht ein komplettes Frühstück auf ihrem Schreibtisch.
»Danke«, flüstert sie ihr zu und versucht ihrem kritischen Blick auszuweichen. Sie lacht und gibt sich betont locker und fröhlich, obwohl das nicht ganz der Realität entspricht. Sie fühlt sich müde und ausgelaugt. Die schlaflosen Nächte, in denen sie ihren kreisenden Gedanken und den sich stets wiederholenden Träumen ausgesetzt ist, rauben ihr immer mehr Kraft und Energie. Mit wenig Appetit fängt sie an, das Müesli zu essen. Seit ihrer Kindheit erlebt sie die nächtlichen Begegnungen mit dem kleinen Mädchen. Mit dem Beginn der Pubertät wurden sie seltener. Komisch, dass sie in letzter Zeit wieder vermehrt auftauchen. Eigentlich seit Mutters Tod! Jedes Mal dieselbe Situation. Ich möchte zu dem Kind gelangen und schaffe es nicht. Warum nicht? Was bedeutet das und wer ist das Kind? Seit Jahren stellt sich Klara immer wieder diese Fragen. Und nun kommt auch noch der schwarze Vogel mit der Feder dazu. Unbewusst streicht sich Klara über die Wange.
Margo beendet ihr Telefongespräch und holt Klara aus ihrer Grübelei.
»Ein neuer Interessent für die Fotografien. Er kommt morgen vorbei. Na, und du Schätzchen, wie geht es Dir?« Sie sieht Klara forschend an. »Du siehst müde aus, wieder dieser Traum?«
Klara nickt und versucht das Thema auf etwas Anderes zu lenken, aber Margo lässt sich nicht so einfach ablenken.
»Ich finde, du müsstest dringend Urlaub machen, dir eine Auszeit gönnen. Fahr doch irgendwo hin, wo du eine Weile für dich sein kannst. Du hast die Trauer um deine Mutter und den Schock noch gar nicht richtig verarbeiten können. Wann war denn dein letzter Urlaub?«
Klara muss nachdenken. Auf die Schnelle fällt es ihr nicht ein. Nach dem Unfall ihrer Mutter hatte sie sich eine Woche frei genommen, um die Beerdigung zu organisieren und alles andere zu erledigen. Danach hatte sie sich sofort wieder in die Arbeit gestürzt.
»Ich brauche keinen Urlaub! Mir macht meine Arbeit Spaß. Wie du weißt, bin ich ein kleiner Workaholic.« Sie grinst sie beschwichtigend an, aber Margo lässt sich nicht erweichen.
»Eben und das tut dir nicht gut. Du solltest auch mal wieder etwas für dein Privatleben tun. Du bist in deiner freien Zeit viel zu viel allein. Das tut dir auf die Dauer nicht gut. Glücklich und ausgeglichen wirkst du auf mich jedenfalls nicht! Ich kann mir übrigens gut vorstellen, dass dir die Träume etwas mitteilen möchten.« Margo seufzt. Sie weiß genau, dass ihre Ermahnungen bei Klara nichts fruchten. Sie ist sehr gut im Verdrängen, denkt sie. Ungutes, Belastendes oder wie jetzt die Trauer um die Mutter schiebt sie beiseite, möchte sich damit nicht auseinandersetzen. Schade, dass sie sich von mir nicht helfen lassen möchte. Ich bin gespannt, wie lange das gutgeht!
»Komm Margo, lass uns von etwas Erfreulicherem