freier Parkplatz. Schnell steigt sie aus und eilt durch den Garten. Sunny scheint sie schon gehört zu haben, denn ihr freudiges Gebell dringt nach draußen. Bevor Klara klingeln kann, öffnet Margo schon die Tür.
»Klara schön, dass du da bist. Du wirst schon sehnsüchtig erwartet.«
Doch das hätte sie nicht extra betonen müssen, denn Sunny drängelt sich bereits an ihr vorbei und springt voller Begeisterung an Klara hoch. Diese beugt sich kurz zu dem Hund nieder, um ihm, jedoch ohne allzu große Freude, über den Kopf zu streicheln. Irritiert blickt Sunny zu Klara. Auch Margo schaut sie erstaunt an. Was ist los mit ihr?
»Möchtest du zum Abendbrot bleiben?«
Klara schüttelt den Kopf.
»Ich bin müde und möchte heim. Gibst du mir bitte die Hundeleine.«
Margo geht ins Haus und kehrt mit der Leine zurück.
»Danke fürs Hüten. Bis morgen. Komm Sunny.«
Margo begleitet beide bis zum Gartentor und schaut dem Auto nach, bis es außer Sichtweite ist. Klara hat ihr gar nicht gefallen. Ihr war der unstete Blick aufgefallen, mit dem Klara sie angesehen hatte. Margo macht sich Sorgen um sie. Sie hatte so abwesend und verkrampft gewirkt. Hoffentlich ist es wirklich nur die Müdigkeit, denkt sie. Seufzend geht sie zurück ins Haus. Sie kann ihr nicht helfen!
Klara ist froh, Margos fragenden Blicken endlich nicht mehr ausgeliefert zu sein. Sie spürt, wie ein dumpfer Schmerz sich seinen Weg vom Hinterkopf zu ihrer Stirn und zu ihren Schläfen bahnt. Wahrscheinlich bekomme ich eine Migräne. Sie war noch nie so froh, in ihre Straße einzubiegen, wie jetzt gerade. Als sie kurz darauf ihr Auto in der Tiefgarage abstellt, fällt ihr ein, dass sie vergessen hat, frische Lebensmittel einzukaufen, doch sie hat jetzt keine Lust mehr, in den Supermarkt zu gehen. Ich werde mir eine Pizza bestellen, dazu ein Glas Rotwein trinken und bald ins Bett gehen, nimmt sie sich vor. Erschöpft fährt sie mit dem Aufzug in den sechsten Stock. Sie ist froh, in die Geborgenheit ihrer Wohnung zu kommen. Sunny trottet ohne großen Elan hinter ihr her und zieht sich bereits nach kurzer Zeit in ihr Körbchen zurück.
Klara wird vom Klingeln der Türglocke und von Sunnys erwartungsvollem Bellen geweckt. Verwundert schaut sie auf die Uhr. Es ist gerade 8.30 Uhr. Wer kann das denn sein? Sie erwartet niemanden. Schnell zieht sie ihre Jeans an, streift einen Pulli über und geht zur Türe. Vielleicht ist es Andreas. Sie weiß, dass das nicht sein kann, aber es wäre so schön! Doch es ist Margo mit einem Korb in der Hand, aus dem eine Bäckertüte herausschaut.
»Guten Morgen, meine Liebe, ich wollte mal nach dir sehen und da dachte ich, so ein gemeinsames Sonntagsfrühstück ist eine gute Idee.«
»Margo, ich freu mich, aber ich komme gerade aus dem Bett, habe noch nicht geduscht und mit dem Hund war ich auch noch nicht draußen.« Klara, die immer noch mit ihrer Schlafträgheit kämpft, versucht sie loszuwerden. »Vielleicht ein anderes Mal.«
»Das stört mich gar nicht! Während du dich fertigmachst, gehe ich mit Sunny raus. Außerdem habe ich unser Frühstück mitgebracht. Du musst nur noch den Kaffee kochen.« Sie schwenkt fröhlich den mitgebrachten Korb, in dem außer den Brötchen auch noch Erdbeermarmelade, Honig und Butter sichtbar werden. Margo scheint heute keine Ausflüchte zu akzeptieren. »Komm Sunny, gehen wir. Bis in einer halben Stunde.« Später sitzen sie am gedeckten Tisch. Die frischen Brötchen duften in ihrem Korb und der Kaffee verbreitet sein kräftiges Aroma. Margos Blick fällt auf die Wand gegenüber.
»Hast du ein neues Bild?«
»Ja«, antwortet Klara, »wie findest du es?«
Margo betrachtet das Gemälde eingehender.
»Es ist sehr gut gemalt, aber ich würde es mir nicht unbedingt daheim aufhängen. Hast du es von dem Konstanzer Maler?«
Klara nickt und schaut liebevoll auf die Muschel suchenden Kinder.
»Immer, wenn ich es anschaue, fühle ich tief in mir eine schmerzhafte Sehnsucht, die ich mir nicht erklären kann. Komisch, aber es ist so.«
»Wie meinst du das?« Margo kann das Gesagte nicht ganz nachvollziehen.
»Die starke Verbundenheit der beiden Mädchen berührt mich. Sie strahlen eine Einheit aus, nach der ich mich immer gesehnt habe und die ich bis jetzt in meinem Leben nicht gefunden habe. Zu meiner Mutter nicht, denn sie ließ zu mir keine Nähe zu und Andreas lebt in seiner eigenen Welt, an der er mich nicht teilhaben lässt.« Klara kämpft mit den aufsteigenden Tränen.
»Momentan ist mir alles ein bisschen zu viel. Erst der Tod meiner Mutter, dann die Sorgen um Andreas.« Klara sitzt zusammengesunken auf ihrem Stuhl und starrt in ihre Kaffeetasse.
»Hast du von Andreas etwas Neues erfahren?« Margo nimmt ein Brötchen aus dem Korb und bestreicht es dick mit Butter und Honig.
»Ja, er hat mir eine kurze SMS geschickt. Er meint, dass er großes Glück gehabt habe. Es sei nur ein Streifschuss am Bein. Aber er müsse noch im Militärlazarett in Kundus bleiben und würde von dort aus heimfliegen. Er melde sich, sobald er wieder daheim ist.« Klara seufzt tief. »Die Wohnung von meiner Mutter müssen wir auch noch leeren, damit wir sie bald verkaufen können.«
Margo wundert sich über den Gedankensprung.
»Jetzt erhole dich erst einmal richtig. Das hat doch wirklich noch Zeit mit der Wohnung! Was hat denn eigentlich der Arzt gesagt?«
»Er meinte, das vor kurzem sei eine große Panikattacke gewesen.«
»Ja und von was kommt so etwas und dann so plötzlich?« »Der Arzt hat gesagt, dass solche Attacken immer ganz unvermittelt, eben wie bei mir, mitten in der Nacht oder auch am Tag auftreten können. Dass ich das Gefühl gehabt habe zu sterben, gehört wohl zu den Symptomen. Es ist ein Entgleisen von Seele und Körper und das kann einen totalen Kontrollverlust auslösen, wie bei mir. Es war furchtbar.« Klara schenkt sich mit zitternden Händen noch einmal eine Tasse Tee ein. »Er hat mich für die nächsten zwei Wochen krankgeschrieben. Er meint, dass mein vegetatives Nervensystem gerade sehr angegriffen sei.«
»Und von was kommt das?« Obwohl sich Margo in letzter Zeit oft Sorgen um sie gemacht hatte, ist sie doch schockiert über das Ausmaß. Dass es Klara so schlecht geht, hatte sie nicht gedacht. »Hast du denn Sorgen oder belastet dich etwas sehr stark?«
»Der Arzt meinte, dass der plötzliche Todesfall meiner Mutter, die Sorgen und die Angst um Andreas eine Belastungsstörung bei mir ausgelöst haben. Dass ausgerechnet mir so etwas passieren würde, hätte ich nie gedacht!«
»Wieso betonst du das so?«
»Was?«
»Na, ausgerechnet mir«, fragt Margo sie verwundert.
»Ich habe mich bisher eigentlich immer sehr gut im Griff gehabt und ich bin kein so emotionaler Mensch, der seinen Gefühlen extrem stark ausgesetzt ist. Ich kann mich sehr gut beherrschen.«
Vielleicht zu sehr, denkt Margo bei sich.
»Und was unternimmst du jetzt dagegen?«
»Ich habe Tropfen bekommen, die die Angst nehmen und die Stimmung anheben. Ich kann besser schlafen und habe momentan keine belastenden Träume mehr.«
Klara denkt mit Schrecken an den Abend zurück, als sie von Konstanz gekommen war. Müde hatte sie die bestellte Pizza gegessen, als letzte Aktion das neue Bild an die Wand gehängt und war danach bald ins Bett gegangen. Die Angst um Andreas hatte sie begleitet. Sunny lag dicht neben ihr auf der Decke. Ihr leichter Atem und ihre wärmende Gegenwart hatten ihr etwas von dem Druck auf der Brust genommen, so dass sie recht schnell eingeschlafen war. Doch mitten in der Nacht war sie aus dem Tiefschlaf aufgeschreckt. Ihr Herz raste, sie war schweißnass und bekam kaum noch Luft. Sie fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Dazu kam eine riesige Angst, die sie fest umklammerte. Da sie sich allein nicht mehr zu helfen wusste, hatte sie den Notarzt angerufen. Im Krankenhaus konnten sie jedoch keine organische Krankheit feststellen, deshalb hatten sie ihr eine Konsultation bei einem Neurologen oder Psychiater empfohlen.
Seitdem waren nun vier Tage vergangen.