Susanne Zeitz

Leas Steine


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bin gespannt auf seine Bilder. Seine Landschaftsbilder sind eher konservativ, aber er arbeitet viel mit Licht und das gefällt mir. Ich habe ein gutes Gefühl. Wir treffen uns direkt in seinem Atelier.«

      Sie schaut auf die Uhr.

      »Ich muss auch gleich los. Gibt es bei dir noch was Wichtiges?«

      »Nein«, meint Margo.

      »Heute Mittag kommen einige japanische Geschäftsleute vorbei. Sie haben sich gestern telefonisch angemeldet und wünschen eine separate Führung durch die Galerie. Ich werde den Laden schließen, so dass ich mich ganz ihnen widmen kann. Es könnte lukrativ werden. Mehr steht für heute nicht auf dem Programm.«

      »Kann ich Sunny wieder bei dir lassen? Ich hole sie dann bei dir daheim ab. Ich denke nicht, dass es bei mir sehr spät werden wird. Ich habe Fressen für sie dabei.«

      Klara reicht Margo das Tütchen.

      »Mache ich gerne, ich gehe mit ihr heute Mittag in den Park. Wir machen es uns schön, nicht wahr Sunny?« Margo streichelt den Hund, der freudig an ihr hochspringt.

      »Gut, dann starte ich. Vielen Dank fürs Frühstück.«

      »Du hast ja kaum etwas gegessen! Kein Wunder, dass du so dünn bist!« Margo schüttelt den Kopf.

      Doch bevor sie weiter insistieren kann, nimmt Klara sie kurz in den Arm und drückt sie fest. Was täte ich nur ohne sie und ihre Fürsorge! Mein Leben wäre um so vieles ärmer. Noch ärmer? Meine Güte, was habe ich heute nur für Gedanken! Das Treffen mit dem Maler wird mir sicher guttun und mich ablenken. Klara schnappt ihre Tasche und ihren Autoschlüssel, streichelt Sunny kurz über den Kopf, winkt Margo noch einmal zu und macht sich auf den Weg.

      Wenn der Verkehr nicht zu dicht ist, könnte sie bereits in zwei Stunden in Konstanz sein. Sie hat Glück und schafft es ohne Stau auf die Autobahn in Richtung Singen. Das Radio läuft, der SWR3 Sender dudelt halblaut vor sich hin. Sie muss noch einmal an ihr Gespräch mit Margo denken. Margo hat gut reden. Sie hat ihre Tochter und ihren Enkel, bei denen sie oft zu Besuch ist. Sie ist ein ausgeprägter Familienmensch, dauernd kümmert sie sich um irgendeine Tante oder eine Kusine. Ihre Mutter, mit der sie sich sehr gut versteht, wohnt in ihrer Nähe und sie kann auf eine glückliche Ehe zurückschauen. Das habe ich alles nicht und ich brauche es auch nicht! Ich bin gerne für mich allein, außerdem habe ich Sunny. Das genügt mir. Sie stellt das Radio lauter. Gerade wird ihr Lieblingssong gespielt. Sie singt laut mit. Es geht mir doch gut, denkt sie. Für was brauche ich eine Auszeit oder eine Beziehung? Ihre letzte Partnerschaft ist vier Jahre her. Es war für sie eine mittelmäßige Liebe gewesen, für Markus allerdings nicht. Er vergötterte sie regelrecht, trug sie auf Händen und war immer bestrebt, ihre Wünsche zu erfüllen. Für Klara war es eine anstrengende, einengende Zeit. Und als Markus ihr einen Heiratsantrag machte, war für sie der Zeitpunkt der Trennung gekommen. Ich bin jetzt unabhängig, habe meine Freiheit, muss auf niemanden Rücksicht nehmen und führe zwei gutgehende Galerien, was will ich denn noch mehr? Wieder einen Mann an meiner Seite, der meine gesamte Aufmerksamkeit und Liebe fordert? Das kann ich nicht geben. Und warum soll ich mich ewig mit einer Trauer auseinandersetzen, die ich eigentlich gar nicht empfinde? Sie erschrickt über diesen Gedanken, möchte ihn wegschicken, ihn nicht gedacht haben, doch das ist nicht so einfach, denn er schwebt jetzt im Raum.

      Ihr Verhältnis zu ihrer Mutter war nicht schlecht, aber auch nicht gut gewesen. Sie waren sich immer fremd geblieben. Nie konnte Klara ihrer Mutter etwas recht machen. Alles, was sie tat, reichte nicht aus, um ihre Mutter für sich zu gewinnen. Es war immer, als stünde eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen. Als Kind hatte sie sehr darunter gelitten, vor allem, wenn sie miterlebte, wie Andreas ihr vorgezogen wurde und das war ständig der Fall. Andreas hier, Andreas da.

      Klara spürt wieder den Druck in ihrer Brust. Schnell dreht sie das Radio lauter. Die Nachrichten werden gerade durchgegeben: Ein neuer Terroranschlag in Afghanistan. Anscheinend ist auch ein Auslandsreporter dabei verletzt worden. Klara atmet tief ein und hält kurz die Luft an. Oh, lieber Gott, lass es nicht Andreas sein!

      Als ihm seine Nachrichtenagentur den Auftrag erteilte, über die Mission der Blauhelme in Kundus Bericht zu erstatten, hatte er sofort zugesagt. Vor drei Wochen hatte er sie in der Galerie angerufen und ihr voller Begeisterung von seinem neuen Arbeitseinsatz berichtet.

      Schnell dreht sie das Radio leiser. Ihr Herz schlägt schnell und ihre Handflächen fühlen sich feucht und klebrig an. Sie lässt das Fenster einen Spalt hinunter. Die frische Luft, die ihr seitlich ins Gesicht weht, tut gut. Sie atmet ein paarmal tief ein und aus. Ganz ruhig, Klara, alles ist gut, gleich bist du bei dem Maler. Seine Bilder sind vielversprechend. Sie versucht, sich selbst zu beruhigen. Langsam lässt der Druck nach und die Angst verwandelt sich in ein diffuses Gefühl, das tief in ihrem Inneren zurückbleibt.

      Auf der rechten Seite taucht nun der Hohentwiel auf, ein kleiner Vulkan, der sich mit seiner Höhe über den Hegau mit seinen sanften Hügeln erhebt. Das Friedvolle dieser Landschaft erreicht ihre Seele und sie entspannt sich nach und nach. Ein paar Minuten später sieht sie in der Ferne den Bodensee im Sonnenlicht dieses Frühlingstages glitzern. Im Hintergrund erhebt sich der noch schneebedeckte Säntis. Nun dauert es nicht mehr lange und sie ist in Konstanz. Sie stellt ihr Navy ein und erreicht schnell und ohne große Umwege ihr Ziel.

      Das Haus des Malers steht am Waldrand in einer kleinen Wohnsiedlung. Wunderbar, denkt sie, dann muss ich nicht an den See. Sie hält sich nicht gerne am Wasser auf. Schon als Kind hatte sie sich am Meer oder an einem großen See unwohl gefühlt. Warum weiß sie nicht. Es gibt keine ungute Situation, an die sie sich erinnern kann. Aber auch ihre Mutter wollte die Ferien nicht am Meer verbringen. Sie zog immer die Berge vor. Klara parkt ihr Auto vor dem Haus und steigt aus.

      Als sie klingelt, erscheint ein mittelgroßer, schlanker, noch recht junger Mann an der Tür. Bevor es ihm gelingt, sie zu begrüßen, stürzt ein kleiner, laut bellender, strubbeliger Hund mit wild wedelndem Schwanz an ihm vorbei auf sie zu. Micky, so wird er vorgestellt, springt begeistert an ihr hoch.

      »Lassen sie ihn nur, er riecht bestimmt meinen Hund«, beschwichtig Klara den Besitzer, der erfolglos versucht, den Hund zu sich zu rufen. Sie beugt sich hinunter und streichelt ihn, wobei es ihm immer wieder gelingt, mit seiner feuchten Schnauze ihr Gesicht zu berühren. Schließlich legt sich die Freude des Hundes und die verzögerte Begrüßung findet statt.

      Der Hausherr lacht und bittet sie herein. Er führt sie zuerst in das Wohnzimmer, wo sie freundlich von seiner Frau begrüßt wird. Sie hat liebevoll den Kaffeetisch gedeckt. Auf einem Tischtuch mit zart gestickten, gelben Rosen stehen Teller und Tassen aus dünnem, weißem Porzellan. Hellgelbe Servietten liegen, kunstvoll gefaltet, neben goldenen Kuchengabeln. Beleuchtet wird das Gesamtkunstwerk von zwei gelben Kerzen, die in blankpolierten, goldenen Kerzenhaltern leicht flackernd ihr Licht über den Tisch verbreiten. In der Mitte der Tafel steht auf einer goldenen Kuchenplatte ein selbstgebackener Apfelkuchen mit Schlagsahne. Klara muss bei diesem Anblick an ein Stillleben aus alter Zeit denken, was das wuchtige, blaue Sofa und die großen, rotgold gestreiften Sessel verstärken. Sie nimmt auf dem Sofa Platz, was gleichbedeutend mit einem Hineinsinken einhergeht, denn die Sprungfedern und die Spannkraft der Sitzfläche verraten das betagte Alter des Möbelstückes. Beinahe zeitgleich platziert sich auch Micky neben ihr und äugt äußerst interessiert auf den Kaffeetisch. Der Hausherr lächelt verlegen. Ihm scheint das Verhalten seines Hundes peinlich zu sein. Seine Frau reagiert durchgreifender. Mit leicht erhobener Stimme dirigiert sie den Hund in sein Körbchen. »Sofort jetzt!« Klara muss lachen. Diese Szene kommt ihr bekannt vor. Wahrscheinlich reagieren fast alle Hunde gleich, wenn es um Kuchen geht. Sie nimmt einen großen Schluck Kaffee. Langsam kehren ihre Lebensgeister zurück und die Anspannung lässt merklich nach. Der Kuchen schmeckt sehr gut, das Gespräch über Malerei plätschert leicht vor sich hin und Klara fühlt sich von Minute zu Minute wohler. »Der Kuchen schmeckt sehr gut«, lobt sie ihre Gastgeberin.

      »Das freut mich. Darf ich ihnen noch ein Stück geben?« Klara kann nicht widerstehen.

      Nach einer halben Stunde führt sie der Maler in sein Atelier. Es ist ein großer Raum unter dem Dach, der auf seiner Breitseite von einer durchgehenden Fensterfront erhellt wird. Zwei Staffeleien stehen im Raum. Auf der einen lehnt ein angefangenes