Japanerin tippelt im schwarzen Tai-Chi-Anzug herein, das graue Haar zum Knoten gesteckt, der von zwei langen, gekreuzten Holznadeln gehalten wird. Sie bringt einen Pinsel mit und chinesische Tusche. Auf das Kopfnicken der Cellistin hin zieht sie das Mädchen behutsam vom Stuhl und fordert von ihr mit hypnotischer Stimme, vor der Musikerin niederzuknien und ihr die Stiefel zu küssen.
Die Kleine tut, wie ihr befohlen.
Die Japanerin setzt sich neben sie auf den Stuhl und malt dem Mädchen mit der Präzision einer Kalligraphin zwei Schallöffnungen auf den schmalen, nach vorn gebeugten Rücken, die in Größe und Form exakt denen des Cellos entsprechen.
Das Flüstern der Musik macht Platz für den Gesang der Zikaden. Die Realität beginnt, ihre Blätter einzurollen.
Die Cellistin gibt der Asiatin einen Wink. Diese verbeugt sich, schiebt den Stuhl in den Winkel und entfernt sich, den Kopf wie im Gebet gesenkt.
Hinter dem Rücken des Mädchens lehnt ein mannshoher Barockspiegel an der Wand. Die Musikerin betrachtet darin von oben bis unten das Abbild der jungen Frau, die devot vor ihr auf dem Boden kniet: blondes Haar, das im Nacken zu einer Spitze ausläuft; Schulterblätter, gefalteten Flügeln gleich; ein vollendet symmetrisch geformtes Gesäß, das auf den Fersen ruht. Die Cellistin legt ihr Instrument fort und rückt mit dem Stuhl ganz dicht an das Mädchen heran, saugt ihr einen leichten Biss auf den Hals, dass der Kleinen die Röte ins Gesicht schießt. Die Zunge der Cellistin gleitet in ihren Mund und presst sich weich gegen die ihre. Mit der Linken packt sie den schmalen Nacken und hält ihn gefangen, die Rechte tastet nach dem Cello-Bogen. Als die Lippen sich voneinander lösen, beobachtet sie sich selbst im Spiegel. Mit wachsender Erregung streicht sie die gespannten Pferdehaarsaiten mehrmals hintereinander über den Rücken des Mädchens, das erzittert und wimmert und sich auf die Lippen beißt, um nicht zu schreien. Die Finger der Cellistin graben sich in den Hals der anderen. Süßer Schmerz fährt durch deren Körper und gebiert flüssige Perlen, die unterhalb der Augenbinde an ihren Wangen hinunterlaufen.
Mit Entzücken gewahrt die Musikerin die Striemen auf dem Rücken des Mädchens. Langsam fährt sie ihr mit der Stiefelspitze in der Loipe des Rückgrats bis zum Steißbein hinab. Eine Welle der Begierde durchfährt sie dabei: ihre Schenkel zittern, ihr Gesicht verzerrt sich vor Lust, und der Brunnen in ihrem Schoß läuft über.
Als die Nacht hereinbricht, klatscht die Musikerin ein paar Mal in die Hände. Ihr schönes Gesicht leuchtet vor Befriedigung. Der besessene Glanz in ihren Augen ist etwas gewichen, der teuflische Zug um ihre kleinen, vollen Lippen jedoch ist geblieben.
Abermals betritt die Japanerin den Raum: sie schiebt einen schwarzen Cello-Koffer vor sich her. Sie legt ihn neben dem Mädchen auf den Boden und klappt ihn auf. Sie nimmt das Mädchen bei der Hand und führt es, bis es sich aus freien Stücken wie ein Embryo in die mit schwarzem Samt ausgelegte Schale hineinschmiegt. Daraufhin wird der Koffer zugeklappt und die Schnallen werden geschlossen. Unter Aufbietung all ihrer Kräfte stellt die Japanerin den Koffer auf und rollt ihn ins Musikzimmer nebenan, wo sich bereits identische Koffer befinden, in denen menschliche Cellos stumm verharren.
Die grotesken Schwestern
Bianca und Rosalie gehörten zu der Kategorie Zwillinge, die sich glichen wie ein Ei dem anderen, sodass eigentlich nur ihre Mutter sie zuverlässig unterscheiden konnte. Dass sie die genau gleichen Frisuren trugen, machte die Sache auch nicht einfacher. Oft machten sie sich einen Spaß daraus ihre Umwelt zu verwirren, indem sie ihre Identitäten tauschten. Sehr zum Leidwesen ihres Vaters: »Bianca, hilf doch bitte mal deiner Mutter beim Abwasch.«
»Papa, ich bin die Rosalie!«, sagte Bianca scheinbar entrüstet und verdrehte die Welpenaugen. »Ich hab schon den Tisch abgeräumt, soll Bianca helfen.«
Ihr Vater musterte mit erhobenen Händen hilflos seine Frau, die still in sich hineinlächelte und einen raschen Blick mit Rosalie tauschte, die sich grinsend aus dem Staub machte. Da mit der Zeit die Streiche der Mädchen jedoch an Dreistigkeit zunahmen, beschlossen die Eltern − nomen est omen − Bianca fortan ganz in Weiß, Rosalie dagegen in Rot zu kleiden, damit nun wirklich jeder sah, mit welchem der Zwillinge er es zu tun hatte. Den Kindern verbot man die Kleider zu tauschen, und damit sie sich daran hielten, machten ihnen die Eltern kleine Geschenke für gute Schulnoten oder die Mithilfe im Haushalt: So bekam Bianca eine weiße Haarschleife oder eine weiße Muschel, während Rosalie im Gegenzug mit einem roten Wasserball oder einem Körbchen Erdbeeren belohnt wurde. Allmählich entwickelte jede ein Faible für ihre Farbe. Bianca wurde zu einer Adeptin des Weiß, Rosalie schwärmte für das Rot. Zugleich wuchs in beiden eine Abneigung gegen die Farbe der anderen heran, die in den nachfolgenden Jahren immer ausgeprägter werden sollte.
Im Erwachsenenalter lebten die Yin-Yang-Zwillinge weiterhin gemeinsam im Haus ihrer längst verstorbenen Eltern. Zwar hassten sie sich mittlerweile bis aufs Blut, doch brauchten sie einander auch, so wie das Licht den Schatten. Ihr Farbfetischismus hatte inzwischen schon fast krankhafte Ausmaße angenommen, sodass sie sämtliche Freunde, Verwandte und auch die heiratslustigen Männer vergraulten und gezwungenermaßen ein einsames, zurückgezogenes Dasein fristeten. Ihr einziger Hausgenosse war Rosalies Kater Barbarossa, den Bianca aber wegen seines kupferroten Fells verabscheute.
Einmal, als Rosalie an einem Wintertag ihre roten Lederstiefel vor dem Haus anziehen wollte, waren diese bis zum Rand mit Schnee gefüllt. Maliziös lächelnd beobachtete Bianca durchs Küchenfenster hindurch, wie ihre Schwester fluchend den Schnee aus den Stiefeln schüttelte und den Rest mit den Fingern herauskratzte. Als sie aus der offenen Milchtüte trank, hatte sie plötzlich Ketchup im Mund. Sie eilte zur Spüle und spuckte angewidert aus.
Bianca hockte mit hochgezogenem Fuß auf dem Toilettensitz und lackierte sich die Zehennägel weiß, als Rosalie mit ihrer exzentrischen roten Brille à la Elton John den Kopf durch den Türspalt steckte und genervt ein weißes Halstuch ins Badezimmer schmiss. »Was hat dieses Ding auf meiner roten Bettdecke verloren?«
»Keine Ahnung«, meinte Bianca und wackelte mit den Zehen.
»Untersteh dich bloß.« Mit einem Kopfschütteln verschwand Rosalie, und an ihrer Stelle spazierte Barbarossa ins Bad und beschnüffelte das Tuch.
Bianca hatte sich inzwischen den anderen Fuß vorgenommen und beobachtete den Kater argwöhnisch. »Hau ab!«, zischte sie und drohte ihm mit dem erhobenen Lackpinsel.
Der Kater hob den Kopf und fauchte sie an. Dann zitterte er mit dem Schwanz, und ehe Bianca reagieren konnte, markierte er auf ihren Schal und rannte davon.
»Eines Tages krieg ich dich, du rolliger Bastard!«, rief Bianca ihm hinterher. »Pfui Teufel, stinkt das!«
»Was hast du eben gesagt?« Rosalie war zurückgekehrt und schob sich ihre Brille auf die Stirn hoch. Auf ihrer Stirn erschien eine senkrechte Falte.
»Lass das blöde Vieh endlich kastrieren.«
»Kümmere dich gefälligst um deinen eigenen Kram.«
So zog sich der Kleinkrieg noch eine Weile hin, bis eines Tages Barbarossa auf dem Feld eine vergiftete, sich im Todeskampf windende Maus erwischte und auffraß. Nicht lange nachdem er ins Haus zurückgekehrt war, zitterte er plötzlich unter Krämpfen und seine Augen quollen hervor. Als Rosalie ihre Katze in diesem jämmerlichen Zustand erblickte, kniete sie sich neben sie und streichelte sanft ihren Kopf. »Was hast du, mein Süßer?« Als der Kater zu würgen anfing und sich übergeben musste, rief sie in scharfem Ton nach ihrer Schwester.
»Was ist los?«, fragte Bianca, die mit verschränkten Armen gemächlich die Treppe herunterstieg. »Igitt, der kotzt ja wie ein Reiher!«
»Danke für dein Mitgefühl.« Rosalie schoss einen giftigen Blick auf Bianca ab. »Es geht ihm gar nicht gut.«
Achselzuckend und mit distanziertem Interesse musterte Bianca die Katze. »Dann bring ihn zum Tierarzt.«
»Vorhin krampfte er, als wäre er vergiftet worden.« Der versteckte Vorwurf in Rosalies Stimme war unüberhörbar.
»Und was hat das mit mir zu tun?«