Paula Grogger

Das Grimmingtor


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wann ihre braunen Augen zuweg dem Eheherrn hellauf leuchteten, und wann zärtliche Gedanken sie bedrängten, ging sie doch zu den Weibern in der Nachbarschaft; denn er, Andreas Stralz, gab darauf nicht Obacht.

      Stundenlang streifte er durch Acker und Wald, sich an dem keimenden, blühenden und gesegneten Leben erfreuend. Immer andächtiger vertiefte er sich in die Offenbarung der Natur, und sein ganzes Wesen wurde ihr durch den steten Umgang angeglichen. Wie seine Buben so der Reihe nach aufwuchsen, nahm er sie auf seine Spazierwege mit. Weil er aber weder unterhaltend noch belehrend sprach, sondern auf seine eigensinnige Art den Dingen nachgrübelte, hie und da eine wichtige Erfahrung fix und fertig vor die unreifen, fahrigen Kindsköpfe hinwarf und notabene, wenn eins unverständig den Mund aufmachte, einfach zur Antwort gab: »Frag nit so dumm«, wurden sie dieser väterlichen Auszeichnung bald überdrüssig und verzogen sich, wenn er zum Ausmarsch pfiff. Nur auf den Herbst freuten sie sich allemal, weil er sie nämlich zum Kirchtag in die umliegenden Dörfer und Märkte mitgehen ließ.

      An einem Mittwoch im Monat Oktober sagte er richtig nach dem abendlichen Tischgebet:

      »Buam, morgen heißt es früh aufstehn!«

      Das mußten sie eigentlich ohne Ausnahme im Sommer und Winter, indem sie ihrem Herrn Vater das eiskalte Badwasser zu bringen hatten. Sonderlich gern geschah dieses zu keiner Zeit, und in ihrer Vorfreude hielten sie es geradezu für unmöglich, morgen in der Frühe noch sechs schwere Kübel vom Fluder heraufzuschleppen. Da beschlossen sie insgeheim, es schon am Abend zu tun; und wie es finster war, daß einer den andern stieß, brachten sie gleich flinken Hutzelmännlein den Schwindel zustand. Ihre Frau Mutter merkte es wohl, denn sie hatten nicht wenig gepanscht über die Stiege. Sie zürnte aber nicht. Vielmehr zog sie drei frisch gebleichte rupfene Hemden aus der Schublad, und jedem Kind steckte sie ins lederne Sunntaghöslein ein blaues Schneuztuch, und ins Schneuztuch knüpfte sie liebevoll einen Viererbatzen.

      Die Buben hatten in solcher Nacht einen unruhigen Schlaf. Sie warfen sich auf ihrem Strohsack herum, daß die Bettstatt krachte, schrien überlaut und träumten also wild und wunderschön wie Irgel, der Roßknecht, wann er vom Schnapssaufen rauschig geworden.

      Kaum krähte der Hahn auf seiner Leiter, kaum war irgendein Tritt im Hause vernehmlich, sprangen sie schon in die Höhe. Durch den dünnen Kattunfürhang schimmerte noch kein Tag. Der Nebel schwamm draußen wie ein dunkles, weiches Tuch aus Baumwolle, die Sterne und selbst die Backstubenfenster des Nachbarn verhüllend. Das bißchen Gewand hatten die Kinder bald angezogen. Daß sie im Finstern öfters derb zusammenstießen, daß der Matthäus den Markus beutelte, weil dieser das Stück Pechseife nicht hergab, und Lukas in aller Eile gleich drei Knöpf abdrehte, machte ihrer hellen Glückseligkeit keinen Eintrag. Sie bumsten die Stiege hinab und trafen in der Küchentür gerade die Frau Mutter, welche Mus und Schottsuppe kochen ging.

      Matthäus, sonst nicht der Eifrigste, suchte seinen Taschenfeitel, schnitt einen Buschen Späne, heizte ein krachendes Feuer an. Und Markus setzte das Wasser zu. Und Lukas hielt das beschmierte Öllämpchen und leuchtete ihr in das Speisbehältnis, damit sie Mehl und Rindschmalz und Schotten fände. Er schraubte den Docht auf und nieder und spielte mit seinem Schatten an der Wand, bis die Frau Constantia ihm das Licht wegnahm und auf den Mauersims stellte. Es zuckte, flackerte. Das Roggenmehl in der hölzernen Teigschüssel war mit Salzkristallen aufgeputzt. Und die Kinder stupften den Daumen in die Herrlichkeit, bis die Mutter Stralzin den Schnellsieder vom Dreifuß genommen und das Mehl abgebrannt hatte. Das Schmalz in der Pfanne brutzelte schon und spritzte hoch, als sie den Teig hineintat und zerstampfte.

      Sie hatten alle einen glühroten Schein vom offenen Herdfeuer über den Gesichtern und dem blonden Haar. Das blanke Kupfergeschirr war neben dem rußigen Kamin wie lauter große Sonnenkugeln. Auf dem Leinenschurz der Hauswirtin spiegelten sich gelb die Flammen, daß er ausschaute wie blumiger Brokat. Und in opalfarbenem Gekräusel stieg der Harzgeruch eines Föhrenscheites.

      Es gefiel den Knaben. Sie waren vertraulicher denn jemals. Sie stunden eng beisammen und sahen zu, wie feine kleine Brotblättchen vom Laib herunterflockten. Dann regnete es Kümmel, dann rieselte es Salz. Und über das alles legte sich schneeig die Schottenbrühe. Sechs Bubenhände hielten den Quirl; als die Frau Mutter das siedende Wasser in die Schüssel goß, fuhren sie nieder und sprudelten, daß die Tropfen flogen. Eins das andere schier verdrängend, schmeichelten sie sich inniger an den brokatenen Schurz und die Schottensuppe heran. Ob es darum geschah, weil die Frau Mutter zuletzt noch etliche Löffel dicken sauren Rahms aus einem Hafen schöpfte und jeder auf den Löffel paßte, ihn abzulecken … oder ob es aus einer unbewußten rauhen Zuneigung geschah, so in der absonderlichen Morgenstunde die rupfenen Pfaidlein erwärmt hat. Mag sein, beides: der saure Rahm und die süße Liebe.

      Nachdem es dreiviertel auf sechs geschlagen und sie sich mit den Eltern und dem Hausgesind zum Tisch gesetzt hatten in der schmalen Kammer, welche neben der Küche, aber zwei Stufen höher als diese gelegen ist, dachten die Buben gar nicht mehr an ihr Kunststück von gestern. Doch der Herr Vater musterte sie der Reihe nach scharf mit dem linken Auge, und den ersten Löffel Suppe nehmend, sagte er:

      »Wann das Fluder so warm ist, müßts mir mein Wasser vom Bach herbringen.«

      Die Bürschchen hielten dem Blick wohl stand. Sie hatten eine eigene Art in solchen Fällen; rissen nämlich ihre Gucker recht groß und recht unschuldig auf und sahen dabei sein rechtes Auge an, das sanft vom Lide bedeckt war. Auch diese Prüfung ging vorüber. Endlich waren sie zur Reise gestellt. Und die Frau Mutter hat jedem noch einen Spritzer Weihbrunn auf die Stirn gedrückt und sie entlassen.

      Es schweifte noch immer der Nebel in grauen, schleißigen Fetzlein und wich zerrinnend nur eine knappe Elle vor ihnen zurück. Der Hund schüttelte sich; die Kinder knöpften sich Leibel und Rock zu, denn die naßkalte Luft über den Talsümpfen drang unbarmherzig bis auf die Haut. Beim Dienerhäusel fanden sie einen frischen, rosenrot gefärbten Erdapfel. Der Herr Vater bückte sich, warf ihn zu den andern, welche hinter dem Zaune ausgegraben lagen, und bedauerte, daß man die Früchte während der ganzen Nacht im Freien ließ. Die Kinder achteten nicht darauf, sondern steckten die Köpfe zusammen und redeten, eigentlich schon seit der Morgensuppe, immer dergleichen, ob der Weg übers Grillen ginge, übers Steffel oder nach der Poststraße. Der Stralz sagte nicht ja und nicht nein, wie gewöhnlich, wenn er sehr gut oder sehr schlecht aufgelegt war. In Gstatt, wo die vier Linden an der Wegscheid gepflanzt sind, drehte er sich links gegen die Eichleiten, und itzt wußten sie es zu ihrer Freude ganz gewiß, daß er nach Gröbming wollte zum Viehkirchtag.

      Im Wandern brachen sie Haselstecken ab, putzten sie zurecht und schmissen sie beiseite, wann sich einer fand, der noch schöner gewachsen war. Sie hüteten sich wohlweislich, dabei dem Herrn Vater in den Wurf zu geraten, denn er mochte es nicht leiden, wann irgendein Lebendiges in der Natur aus unnützem Anlaß zerstört wurde. Aber er machte ihnen diese Vorsicht nicht allzu schwer; denn er hatte sein Augenmerk auf den umliegenden Dunst gerichtet, prüfte ihn mit seiner Handfläche achtsam, als versuche er, ihn zu ergreifen, nahm den Filzhut ab und maß zurückblickend öfters den Abstand vom Tal. Bei der Sandgrube wartete steif und regungslos ein Wiesel auf … trug schon den Winterpelz. Erst wie Andreas Stralz ganz nahe war, machte es einen Satz und floh bergab dem Nebel zu.

      Auf der Hochfläche des Mitterberges weitete sich der Gesichtskreis. Unter tausend zerrissenen Schleiern dehnte sich glashell und lieblich die obersteirische Landschaft aus. Den großen violetten Schirmbaum des Hollerbühels umspannend, schwebte die Sonne auf und zündete den Berg an, und das Licht rieselte langsam hinab über die blaugrünen, bereiften Hänge.

      Sie hatten itzt noch gute Dreiviertelstunde bis Gröbming. Er pfiff seinen Söhnen, aber nur der Hund kam angesatzt. Erst beim Brennerhäusel sah er einen. Es war Matthäus, weit übergeneigt, mit seinem Hütel aus dem Ziehbrunn schöpfend, der nur Trinkwasser für das Vieh abgab und der nach den Regenwochen einen so hohen Spiegel hatte wie ringsum die Tümpel der Moorwiesen.

      »Pfui Teufel, du Fark!« rief der Stralz ermahnend.

      Das Kind gehorchte sogleich. Doch im Nähertreten bemerkte er in dem kecken Knabengesicht einen derart unbändigen Trotz, daß er, obwohl das Fragen nach seelischen Ursachen beileibe nicht seine Gepflogenheit war, dem Matthäus unters Kinn griff und ihn examinierte.

      »No?«