Paula Grogger

Das Grimmingtor


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nichts.

      »Schneuz dich!« sagte er.

      Eine Menge Unrat flog mit dem blauen Tuch aus dem Hosensack: Kletten, Lärchenzäpfchen, Roßkäfer, Schwämme, ein Hufnagel und ein toter Zaunkönig.

      »Her mit dem Vogerl!« befahl der Herr Vater verdrossen und nicht recht wissend, wie er dem eigenwilligen Buben beikommen sollt. Indem er das noch warme Tier auf einen Maulwurfshaufen legte und mit dem Fuße lockeres Erdreich darüberschob, sagte er: »Wo sind die anderen?«

      Der Matthäus schupfte die Achseln.

      »Habts gerauft?«

      »Nein«, erwiderte störrisch das Kind.

      Der Stralz verlor die Geduld und spazierte weiter. Vorn lief der Hund; nebenher stapfte grimmig sein Ältester. Auf einmal hörten sie hinterrücks ein Gejammer. Alle drei drehten sich zugleich um, denn es kam ihnen sehr bekannt vor. Und richtig: aus dem Jungholz, welches an der Seitenstraße zur Sagmühl dicht und dornig aufwuchs, spähten die beiden Kinder. Lukas plärrte schreckbar. Und Markus bot, obschon er nicht weinte, einen ebenso hilflosen Anblick dar. Er hatte die rechte Hand steif um einen Prügel gekrampft, mit der linken hielt er verzweifelt sein knallrotes Ohrwaschel.

      Der Herr Vater lachte laut auf. Er meinte, nun die Halbscheid erraten zu haben, und sprach wohlmeinend:

      »Seids ihr ein paar Trotteln! Hätts ihn halt auch ordentlich geprügelt!«

      Aber das war leicht gesagt. Denn es gab beispielsweise im ganzen Schulhäusel keinen, den Magister Raimund Winkler mit inbegriffen, der nicht schon draufgezahlt, wann der Matthäus einen Handel angefangen hatte. Lieber Gott; er war hitzig wie eine Frühkirsche und fest wie ein Zirbenbloch und grob wie der Teufel. Das bedachte der Herr Andreas Stralz, indem er die jüngern Söhnlein herfürzog und dann aufhorchte, wie sie die ganze Geschichte wahrheitsgemäß erzählten.

      Nämlich beim Brenner in der Kegelbahn ist der Lukas draufgekommen, was er Schönes im Schneuztuch hat, und desgleichen die Brüder. Und während sie mit dem Gelde spielen, es hin und her schieben und sich ausmalen, was sie auf dem Kirchtag kaufen möchten, fliegt von der großen Fichte ein Zaunkönig auf. Und Matthäus sucht nach einem Stein. Und findt solchen nicht. Faßt den Viererbatzen … zielt … und schleudert ihn stracks in die Luft. Sie hätten ehwohl fleißig das Geld gesucht, stotterte Lukas, und er sei auf dem Bauch gekrochen, bis er waschnaß geworden wär. Und Markus brachte für, daß er dem Matthäus von dem seinigen zween Kreuzer für gewiß versprochen habe.

      »Aber der …«, so schloß er den Bericht, indem ein Schauder über seinen Buckel rann, »der wichst uns Haut und Beiner z’samm, hat er gesagt, bald wir bis auf die Nacht seinen Batzen nit gefunden haben.«

      Vater Stralz rührte keine Hand. Er ging gleichmäßig seinen Weg, und die drei Knaben, so mit Armesündergefühl zu dem kalten, strengen Gesicht emporsahen, bemerkten nichts darin. Durch die Unbestimmtheit hinsichtlich seiner Strafe und Verzeihung war dem Matthäus der Übermut wie weggeblasen, und er trottete nunmehr wohlanständig hinterdrein. Der Stralz bog von der Straße nach einem Gehsteig ab. Die Grasschöpfe waren stark bereift und das Moos schon gefroren, als wäre November. Die Luft hatte auf der Höhe eine klare, glasige Beschaffenheit, und der Hauch aus Menschenmund hing als unbewegliche Wolke darin. Hinwieder mußten sie eine Lichtung durchqueren. Zwergwacholder wuchs, dessen Schöpfe vom zartesten Weiß ins Blaugrün spielende Nadeln und kümmerliche, fast durchwegs erst zweijährige Beerlein trugen. An kleinen Ortschaften und einsamen Gehöften, in feuchte Hügelmulden gebettet, an Holzschlägen und Rindenhüttlein kamen sie vorüber. Endlich senkte sich der Weg merkbar eine Berglehne entlang. Kurven und tiefgefurchte Rinnsale wurden häufiger. Und über eine kurze Weil stießen sie wieder zum Fahrweg. Händler und Viehtreiber gab es daselbst in Menge zu sehen. Kirchleut gingen im besten Staat. Von Zierting zerrten ihrer sechs ein Mordstrumm Stier, dem eine Blende über die Augen gebunden war. Er brüllte grausig, peitschte ihnen den Schwanz ins Gesicht und wetzte unversehens das Joch gegen seine Schultern, bald nach dieser, bald nach jener Seite, daß die Burschen, welche die Hörner hielten, alle Augenblicke einen ordentlichen Ruck machten.

      Als die Öblinger unter solch aufregendem Spektakel das Ende der Kulmleiten erreicht hatten, sahen sie nahe vor sich den Marktflecken Gröbming liegen. Von allen Richtungen herbei strebten die Bauern mit den Pferden und dem braunscheckigen Rindvieh. Die jungen Kälber plärrten traurig in der frostigen Morgenluft, setzten die Hufe schwerfällig auf die ungeschlachten Rinnsteine, welche die Häuserzeile entlang in einer leichten Vertiefung gelegt waren. Der Stralz betrachtete geruhsam jeglichen Blumenbuschen an den Fenstern, jeglichen Obstbaum, Kürbis, Krautkopf oder was sonst zu sehen war. Sowie er jedoch vom Turm der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt das Halberläuten vernahm, führte er die Kinder zum Lebzelter hinein und ließ jedem ein Stück Hönigbacht verabreichen.

      Der Lebzelter war, wie bereits erwähnt, ein zugewanderter Franzose, erst seit wenig Jahren allhier seßhaft, und gebrauchte die breite obersteirische Mundart, daß es zum Erbarmen war. Auf ihn hatten es die Buben scharf abgesehn, horchten mit gespitzten Ohren. Und lachten ihn hinterher wacker aus.

      Dieses wohl erkennend, sowie in, Erwägung einer hochwichtigen Ursach, zog der Zuckerlkramer den Stralzen mit einem Wink beiseite und erzählte ihm die leider erwiesene Tatsach, daß die lutherischen Ketzer beim Loy Gottesdienst abhielten, und zwar draußen im Tenn, jedermann offenbar, daß dieselben keineswegs mehr leugneten oder abschworen, sondern mit ihrer Dreistigkeit den katholischen Bürgern und Bauern ein peinliches Ärgernis gäben.

      Zumal der Herr Vater nur einen Brummler machte, fuhr der Franzose hitzig fort:

      Bedauerlicherweise habe das Archidiakonat von Salzburg seine herrschaftliche Befugnis verloren. Aber es könnte doch in aller Heiligen Namen der Kaiser in Wien diesem Umstand eine Abhilf schaffen; denn ansonsten sei ein übler Ausgang zu prophezeien.

      »Der Kaiser Franz in Wien hat was anderes zu tun«, bemerkte der Stralz, mit Vorliebe den politischen Kern dabei erfassend. »Und es kann seinen Wunsch und Willen nit ausmachen, itzt den Untertanen einen Kommissär auf das Genick zu hetzen, als wie geschehen ist Anno 1599; item, er wird die lutherischen so gut wie die katholischen Steuerzahler über kurz oder lang zu brauchen wissen.«

      Was denn im besagten Jahre 99 eigentlich gewesen wär, frug der Franzose, mit seinem schmalen beweglichen Figürchen ganz und gar hinhorchend, weil er dem Bauernteutsch äußerst schwer nachkam. Auch die Buben standen längst hierbei und drückten, ohne es gewahr zu werden, ihre Ellbogen fest an die Lebzeltherzen, die, mit Spruch und Blumen verziert, sich darboten; und der Hund schloff an ihren Knien entlang und leckte die Bröselein auf.

      »Was wird’s gewesen sein …«, sagte der Stralz besinnlich. »In der Stiftspropstei Gstatt ist eine Urkund, worin geschrieben steht, daß sie durch großen Blutverguß den neuen Glauben haben austreiben wollen und daß die evangelischen Gröbminger sich gewehrt haben mit Sengsen, Spieß und Feuerhakeln … drei Tag und drei Nächt. Und auf zuletzt, da sie bänglich alle Kraft verlassen hat, ist übern Mitterberg der Öblinger Schneider Joseph Werder mitsamt seinem Anhang zuhülf kömmen. Und die erzbischöflichen Kommissär haben die Sach lassen müssen, wie sie stund, bis übers Jahr, allwo sie mit kaiserlicher Assistenz die Ketzer, fürnehmlich den Prädikanten Martin Schröffl, verjäukt und Obbenannten seine Hueben sauber verbrennt haben.«

      »Gut, gut!« stimmte der heißblütige Franzose bei und strich sorgfältig sein unglaublich dichtes, gepudertes Haar. Und frug im Eifer, ob solcherlei Straf und Brandschatzung nicht auch anheut am Platze wär.

      »Probier’s der Herr Lebzelter grad. Aber sie werden Ihm bei der obersten Justizstell nachher das Toleranzpatent unter die Nasen reiben, noch von Josefi des Zweiten Gnaden.«

      Den Kopf geduckt, die Brauen hochgezogen, schaute der Wachszieher zum Vater Stralzen auf. Und behauptete, seine Worte umständlich zurechtlegend: er, welcher noch unter der Glanzzeit Ludwigs des Fünfzehnten ein selbständiger Bürger geworden und sich der Steuerabgabe sowie verschiedener patriotischer Opfer hinreichend erinnere, sei dessenungeachtet im Herzen der bourbonischen Krone treu und meine, immer tauge die Freiheit besser für einen denn für viele, und befürchte … um abermals beim vorerwähnten