Paula Grogger

Das Grimmingtor


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… oder war’s eine arme Seel, die bittend mit der bleichen Hand herausfuhr …?

      Den drei Buben gruselte ein kaltes Gefühl den Rücken nieder. Insonders der Kleinste spähte bänglich um sich und sagte auf einmal:

      Er wolle heimgehen und das Einmaleins lernen.

      Die beiden Brüder lachten ihn aus und schreckten ihn, obschon sie sich auch vor den verwunschenen Geistern nicht sicher fühlten. Da war im fernsten Winkel das Grab von einem unselig und gnadlos verschiedenen Sünder. Der Teufel hatte sein Gebein auf der Jausengrube zerstreut. Pater Isidor jedoch, duldsam und milde wie immer, hatte es aufheben lassen und sonach in der geweihten Erde bestattet.

      Ach, die Stralzenkinder wußten nicht, wie der verdammte Kund ihre schöne goldhaarige Frau Mutter geliebet. Wohl aber wußten sie, daß der nämliche alle Buben und Dirnlein gerne in die Zehe zwickte und versuchte, sie in die brennende Hölle hinabzuziehen. Es galt für ein großes wagmutiges Kunststück, neunmal über das grüne Hüglein zu springen, und es geschah nicht selten, daß ein Kind schmerzlich aufschrie und die beinerne Kralle schon zu spüren glaubte.

      Die zwei Brüder also schreckten Lukas mit dieser unheimlichen Geschichte; sie wollten ihn zum Winkel locken und sagten mit wilden Gefrießern:

      »Traust dich hupfen? Wir traun uns wohl!«

      »Bleibets doch da«, bat Regina ein bißchen ängstlich und ein bißchen barsch. »Helfts mir lieber statt dem Geister sekkieren.«

      »Ja, Schnecken!« sagte der Älteste.

      Und der Jüngste sagte auch so. Sie blieben aber doch bei ihr stehen, betrachteten breitspurig und kommod, wie ihre harten kleinen Finger das Kot aus dem Sinngrün stringelten und Kreuz und Namenszeichen in die Rußdecke gruben. Mit der linken Hand raffte sie noch immer das Fürtuch an sich, und so sprach sie geheimnisvoll zu sich selbsten:

      »Wieder eine Perl aus dem roten toten Meer.«

      Es war fast dusend. Hinter den Kirchenfenstern schimmerte blutfarben das Ewige Licht. Zwei Eulen schwebten sanft und lautlos zwischen den Kreuzen. Draußen auf der Wiese flog in feinen Bändern der Nachtnebel. Die Kinder horchten. Es mußte noch ein Mensch im Freithof sein; das stumpfe, welke Gras dämpfte seinen Schritt. Lukas drückte den Kopf in die Schultern. Keiner rührte sich. Auf einmal sagte Markus:

      »Der Bäckenhansei.«

      »Kömmts schauen, was er tut!« sagte Matthäus.

      Da hauchte die kleine Stralzendirn einen schweren Seufzer heraus.

      »Wieder eine Perl«, sprach sie alsdann, »welche der Sterngucker Kaspar beim roten toten Meer gefunden hat. Und die Geschicht ging noch weiter …«, sprach sie.

      »Wie denn?« frug Lukas.

      »Da waren einmal drei Könige«, fing sie an, »jeder in seinem Reich, und jedes Reich so groß, daß einer den andern nie heimsuchen konnte. Trotzdem sie also keine Bekanntschaft mitsammen hatten, und trotzdem der erste weiß, der zweite braun und der dritte schwarz gewesen ist, glichen sie sich in ihrem Gebar wie Geschwister. Sie setzten sich jeden Tag zackige Goldkronen auf das Haupt und regierten das Land mit einem silbernen Staberl.«

      »Kömmts!« sagte Matthäus gähnend zu den Brüdern. Vielmehr nämlich als auf Reginen lauschte er zum Bäckenhansei hin, der leise betend durch den Freithof zaschte und auf den Gräbern, wo kein Kreuz und kein Zierat war, eine Kerze anbrannte.

      »Wart!« sagte Lukas, »die Geschicht geht noch weiter.«

      Das Mädchen kniete tiefgebückt, langte Beere um Beere aus dem Fürtuch und sprach:

      »O ja, die drei König haben gut gelebt, im Essen und Trinken nit gespart und auch dem Gesind nichts abgehn lassen. Ihr Reichtum hat sich gemehrt. Der weiße Kaspar hat so viel Gold in seiner Schatzkammer gehabt, daß die Tür nimmer zugegangen ist. Der braune Melcher hat so viel Weihrauch gehabt, daß ihn die Diener schon in aller Früh mit Wolken einhüllen mußten wie den lieben Herrgott. Der schwarze Balthauser hat das Kostbarste besessen, was unsereins gar nit zu schmecken kriegt, nämlich Myrrhe.«

      »Was ist das eigentlich?« frug Lukas.

      »Myrrhe?« sagte Regina und legte den Finger an die Lippen und tat geheimnisvoll. Item, sie wußte es selbsten nicht …»Red mir nit alleweil drunter«, sagte sie endlich. »Die Künig haben beim Tag alsdann fleißig regiert. Auf die Nacht, wenn der Schatten und die Finsternis kömmen ist, und wann die andern Leut sich gefürchtet haben, sind sie unter das Dach hinauf, um die Sternlein und den Mond zu betrachten. Es war ihnen die ganze Himmelsferne bekannt. Von jedem Lichtel wußten sie, woher es kam, wohin es reisete, und ob es bedeuten sollt Hunger, Seuchen und Krieg oder Weizbrot und Wein und pfundige Butterkugeln. Doch einmal erspähten sie zu ihrer Verwundernis einen Fixstern mit einem Kometenschwanz, so groß und so gelb, wie bevor keiner erschienen war. Da haben sie sacht die Köpfe gebeutelt und weislich gefragt, was dies für ein Zeichen wär. Es stund aber in einem alten Buch zu lesen, dies wär das Zeichen, daß unser Heiland geboren ist. Stante pede haben sich die drei Sterngucker auf die Reis’ gemacht, der weiße Kaspar mit einem Kufferl voll Gold, der braune Melcher mit einer Spatel voll Weihrauch und der schwarze Balthauser mit einem Becherl voll Myrrhe.«

      »Hienach sind s’ zum Herodes. Kenn mich schon aus«, sagte Markus, drehte sich um und ging.

      Auch bei Matthäus fand die schöne Geschichte keinen Anklang. Während Regina sich mit dem Schmücken des Grabes und mit dem Erzählen abmühte, hob er ihre braunen Zöpfe und spickte sie dick mit Hagebutten. Lukas lachte.

      »Was lachst denn so?« frug sie über die Achsel.

      »Nix!« sagte der Kleine scheinheilig. »Hiernach sind s’ auf Bethlehem. Ich kenn mich schon aus!«

      »Oh, nit so schnell!« redete die kleine Dirn entgegen und dichtete den Heiligen Drei Königen eine neue Lüge an, nur damit die Buben sie im Freithof nicht allein ließen. »Itzten«, sagte sie, »tut jeder erst sein altes Buch und eine Kerze in den Jausensack, damit er den Weg wohl findet in der dunklen Nacht. Dann gehen sie langsam … langsam, rasten alle sieben Stund. Beim roten toten Meer kömmens zusammen und mögen nit weiter.«

      Es wurde still. Der Wind bog sich an der Kirchenwand nieder und erlosch im Rasen. Die Beeren auf dem Erdreich hatten schon den Glanz verloren. Beim Totenkeller der Schein war grau geworden … flatterte wie eine leere Hand immer näher.

      »Bist fertig?« frug Lukas.

      »Gleich!« rief Regina und verzettete fibbernd den Rest Hagebutten aus der Schürze. Dabei wiederholte sie völlig in Gedanken:

      »Und sie mögen nicht weiter.«

      »Du hast gesagt, eine Perl hätten s’ gefunden!« rief Lukas fordernd.

      »Ja, eine Perl«, wiederholte sie ratlos und wußte vor Furcht und Eile nicht mehr, was sie hatte erzählen wollen. In dieses bange Schweigen hinein sagte plötzlich hilfreich der Bäckenhansei:

      »Nämlich rund um das rote tote Meer wachst gar viel wilder Rosendorn. Und diemals die drei gottfrummen Künig dazukamen, hing eben alles voll Hetschebetschen. Es war wohl Winter nach der aufgesetzten Weltordnung; aber keine Flocken hat sie zugedeckt, kein Lüftel hat sie gepflückt, und keinen hungrigen Vogel hat es so weithin vertragen. Es war eine erstickliche Schwüle über dem nackten Stein und dem abgestandenen Wasser. Den frummen Künigen wurden die Augen müd. Sie breiteten ihre Purpurmäntel unter ein Gesträuch und legten sich zum Schlafe. Da träumten sie wundersamlich alle drei das gleiche. Sie träumten, es hingen über ihnen im Dorn unzählige Flammen, es seufzeten kleine feine Zungen um Barmherzigkeit, und immer deutlicher hörten sie den Namen Jesus. Davon erwachten sie. Es brunn wirklich rings das Rosengestauder aus vielen Lichtern. Die Nacht erhellte sich, und das rote tote Meer wurde ihr Spiegel. Die drei Könige, welche im Himmel und auf Erden schon große Dinge bestaunt hatten, waren allhier vor einem neuen Geheimnis. Jeder mußte um sein altes Buch greifen, jeder studierte darin die halbe Nacht. Endlich ließ der weiße Kaspar seinen Finger auf einem Zeichen ruhen und sprach:

      ›Arme Seelen flackern auf dem Dornbusch … die im Reichtum