allwo die gelehrtesten Patres von Admont die klassischen Sprachen sowie geistliche und weltliche Wissenschaft vortrügen.
Der Herr Vater gab keine Antwort.
Er wölle gelegentlich einer Reise nach Grätz, die sehr nahe befürstünde, in Leoben absteigen und mit dem Präfekten einer Rücksprache pflegen, schlug Gotthard vor.
Vater Stralz jedoch betonte itzt, daß er zu Admont einen leiblichen Bruder habe, in Leoben herentgegen nicht Freund noch Anverwandten, und daß er zu so gefährlicher Zeit den halbwüchsigen Buben nur ungern aus aller familiären Obhut ließe, maßen man die verheerenden Einbrüche der Franzosen stets zu gewärtigen habe und mithin ein Kind gar mancher Mißhandlung und Gewalttat wie auch dem bösen Beispiel schutzlos preisgebe.
Das Gymnasium befände sich aber im Dominikanerkloster, bemerkte Pater Isidor hinzutretend. Und der Prälat fügte nach abermaliger Überlegung bei, daß sich vorderhand auch keine Aussicht öffne, selbige Schule dem Stifte wieder einzuverleiben. Ein Majestätsgesuch, diesen Wunsch betreffend, wäre sogar nach dem Tode Josephs des Zweiten abschlägig beschieden worden.
Der Herr Vater gab keine Antwort.
Und Gotthardus sinnierte. Zunächst nicht über den Knaben oder den Vater Andreas Stralz, sondern über die Pflicht, welche ihn dringlich nach Grätz beordnete. Gleichsam als bleierner Alp lastete auf ihm das Gefühl der Verantwortung. Und er wußte genau, wie er, Schuld auf Schuld häufend, das Vermögen der Abtei verwirtschaftete, und wie in den Tagen stumpfer Gärung und allgemeinen Zerfalles seine Fähigkeiten förmlich schlaff wurden … Die südsteirischen Weingärten, die Wälder an Enns und Mur waren verpfändet, teilweise sogar verkauft, Hämmer und Herrschaften hintangegeben. Und schwere Summen an Geld und Geldeswert in vaterländischen Diensten verbraucht: nenne nur die Tatsach, daß man 1600 französischen Häftlingen zu Strechau und Röthelstein Kost wie Quartier angewiesen hatte, ferner ein Darlehen von 10 000 Gulden verlangte und bei der Repunzierung des Silbers 2500 fl. einzog, nicht zu vergessen der Brandschäden und Kontributionen, welche oft schonungslos auf Rechnung der Abtei gingen. Krankheit und Hunger untergruben die Ordnung bei Konventual wie Laien. Das Vieh reckte in Seuchen dahin, und die in Abhängigkeit vom Stifte lebenden Pfründner jammerten ihn durch ihre Armut. Gotthard war nicht der umsichtige Mann, aller dieser Obliegenheiten, Sorgen und Mängel Herr zu werden. Mit lebhaftem Temperamente und feinen Nerven begabt, so sich entweder verschwenden oder zum Zweck der Selbstschonung krankhaft verschließen, hätte er dem Studium, der Kunst oder Beschaulichkeit trefflich dienen können. Vielleicht, so sagte er sich in Gedanken, vielleicht hatte sein Weg in die Irre geführt … hatte Gott sich ihm verweigert …
Wo war die Zeit … als er, kaum dem Jünglingsalter entreift, zu San Callisto in Rom predigte und im Disput mit sechs Kardinälen das Kirchenrecht verfocht. Da hatte Pius der Sechste nach der Priestersalbung Gotthardus mit geistlichem Machtspruch halten wollen. Und ihm die Wahl geheißen zwischen den Lehrstühlen von Neapel und Florenz. Und mehr denn einen gab’s unter Klerikern wie Höflingen, der, sich bückend, Inful und Krummstab prophezeite … oder gar die römische Tiara.
Er aber ist in der Kutte Sancti Benedicti heimzu nach Admont gepilgert, mit groß entzückter Selbstentäußerung, welche seines Glaubens heiligte und den Menschen in ihm völlig ertöten sollt.
Ach, itzt nach dreißig Jahren wußte er’s: das war erst der Anfang gewesen. Gott hatte ihm gezeigt, daß jene, welche die Ehre und Eitelkeit verachten und fliehen, im Kreise zu ihr zurückgetrieben werden, damit sie, was schwer ist, unter vielen einsam blieben und durch Auszeichnung gedemütigt und durch ihre Kräfte versucht seien. Gott zeigte ihm, der sich einstmalen in der Stille seines Herzens gebrüstet, er wölle nicht Papst, sondern ein armer Mönch sein, Gott zeigte ihm, daß er unfähig war auch der Würde eines Abtes und aller geschäftlichen Observanz und Verwaltung, welche die bischöfliche Herrschaft zu Sekkau alias Grätz mit Recht verlangte.
Er seufzte.
Item, es stand als Endziel seiner Reise also die präzise Klarlegung der Verhältnisse bevor, und er ging diesem Augenblick mit Sorge entgegen. Gotthard schaute auf einmal dem Stralzen fest ins Gesicht und sprach unvermittelt: es sei die Kost in Admont schlecht, und das Kind müsse dort verhältnismäßig Hunger leiden. Das Gymnasium empfehle er. Und falls durch die Post, die Stiftspropstei oder den Pater Isidor bis zum Martinitag keine Absage käme, und falls es beliebe, so möge der Stralz mit seinem Sohne nach Leoben fahren.
Dieses Wort gab den Ausschlag, und sie besiegelten es mit einem Händedruck.
Aus dem Stuhle des Abtes stand eben der Bäck auf, welcher den Vertrag notdürftig gelesen und als zweiter unterschrieben hatte. Gotthardus stellte sich mit dem Blatt ans offene Fenster. Es wurde still; ein Beweis, daß die Öblinger den Stiftsherrn ehrten und sich zugleich auch für das Anhören der Urkunde bereit machten.
Die Sonne streifte eben noch am letzten Eisenstab fürbei. Große wunderlich gefärbte Wolken bewegten sich über die Tauernkette sanft dahin. Und die drei Mönche, die elf Bauern und der Schulmeister sahen, jeder das Seinige denkend, hinaus in die verklärte Fruchtbarkeit und Glorie des Herbstes, unsäglich reich; so daß dieser seines Besitzes stolz wurde, daß jener sich freute und ein dritter gelobte, ein weniges davon den Armen zu geben. Und Gotthardus, der Feinste, Klügste und Empfindsamste von ihnen, konnte plötzlich nicht begreifen, warum nur der Magister Raimund Winkler sein Anrecht auf die heilige Schöpfung mit Tinte, Feder und Petschierwachs mußte verbriefen.
Die Urkund lautete:
»Ich verpflichte und verbinde mich samt meinen Nachfolgern, das ich entweders in eigener Persohn oder durch andere Täglich zu Abendszeit um gebetleiten den Rosenkranz Betten will, weil mir zu den hauß ein Keller wird graben, ein Tachzimmer verfertigt, ein Schwein und Gaißsteilerl wie auch ein Holzofen wird aufzimert und über das ein Gartel ist zugetheilt worden. Mit diesen Beisaze das ich oder meine nachfolger an allen diesen Beraubet und verlustiget sein will, wen obgedachte Andacht unterlassen wird.
Dieses bezeige ich mit meinen Namen und Unterschrift, mit zweyen gegenwertigen und unterschriebenen Zeigen. Gefertigt in Öblarn den 30. Oktober 1806. Zeigen: Berghamer, Dorfrichter.
Joseph Salzinger | Raimund Winkler |
Ambt Man. | schullehrer und Mesner.« |
Die Lesung dessen bildete den Abschluß der geistlichen Audienz. Und die Öblinger empfahlen sich befriedigt. Der Abt ruhte im großen Stuhle aus, den Reitern nachblickend, die ihre Pferde losbanden, aufsaßen und alsbald über die Ennsbrücke dem Dorfe zusprengten. Dann sah er auch Raimund Winkler, zur Linken des Pfarrers schreitend; dieser schnupfte behaglich, blieb zuweilen im Gespräche stehn, während der Schulmeister mit gesenktem Kopf, das Spazierstöckchen hinter dem Rücken haltend, beharrlich seines Weges ging, aber doch so langsam und rücksichtsvoll, daß ihn der alte Herr mit ein paar Schritten immer wieder erreichte.
Die langen Schatten, welche die Pappelbäume über die Streuwiesen und die Straße hingebreitet hatten, auch das Glitzern der Fenster und der Waldwipfel verblaßte mählich. Scharf und schneidend fegte der Wind. Und die Erde zu Füßen war wie ein kaltes, staubiges Pflaster. Es ging schon deutlich dem Winter zu. Die Blumengeschirre hatte man sorglich ins Haus geräumt. Die Gärten waren vom Reif gesengt und nahezu abgeerntet. Nur hie und da glomm noch ein Strauch voll Hagebutten. Aber nicht lang, so pflückte vielleicht ein Weiblein oder ein Kind sich fleißig die Schürze voll und putzte auf dem Gottesacker damit ein Grab.
Beim Stralzen war die Regina dazu angestellt. Und die drei Buben halfen ihr, solang es sie freute. Sie stiegen mit ihren groben Schuhen auf dem Hügel der seligen Großeltern Johann Stralz und Maria Stralzin wacker umher, lockerten mit einer Haue die von Gras und Sinngrün verfilzte Erde, ebneten Krumen und Krümchen und streuten zuletzt einen Eimer voll Ruß darüber. Wie eine kostbare Decke aus schwarzem Sammet war es anzusehen, unheimlich und traurig. Auch gingen die meisten Leute schon aus dem Freithof fort. Die verschnörkelten Kreuze mit den breiten Kupferdächern und den wiegenden Weihbrunnkesseln glichen drohenden Geistern, welche lauernd … lauernd sich fürneigen und jählings auf ein strafwürdiges Menschlein stürzen,