knisternd waren und rundum einen kupferbraunen, weichen, flaumichten Wulst hatten.
Und nachdem jeder seine Leibspeise gegessen, seine etwas bläßliche und klösterliche Stubenfarb verbräunt, das Federpennal verwurstelt sowie die allerletzte unbestimmte Spur der Gelehrsamkeit hinter sich gebracht hatte, blickte der Herr Vater sie mit dem linken Auge ernsthaft an und kürzte die Vakanz, weil, so betonte er ausdrücklich, bei ihnen weder Geist noch Körper strapaziert wäre. Er sagte ferner, sich im Sessel aufrichtend und die Arme beidseiten an der Lehne ruhen lassend, er sagte in ganz gemessenem hartem Ton:
»Buam! Mit dem Lukas will ich’s im Herbst noch einmal probieren. Für zween Bürschel aber von fufzehn und siebzehn Jahren ist es schier gar Zeit, daß sie in die Lehr kömmen. Ich verübel euch nit, daß ihr für eine studierte Profession keine Vorlieb und keine Neigung nit habts. Und solches tat auch niemalen not, maßen ja die Heimat, Wald, Acker, Wiesen und Viehwirtschaft, nit zu vergessen der Bräuerstand, meine Kinder wird ernähren. Doch es hätt mich baß erfreut, wann wenigstens einer bei der bäuerlichen Arbeit oder beim bürgerlichen Geschäft kunnt eine bessere Schulbildung aufweisen.«
Die Söhne ließen die Köpfe hängen und entgegneten keine Silbe … Wie drei hülzerne Orgelpfeifen, denen die Luft ausging.
»Itzt seid ihr noch zu dumm«, sagte Vater Stralz. »Ihr wißt’s nit, wie mühselig es ist, wann man seine Erfahrung und Kenntnis muß zusammenklauben an allem Ort und End, und wie genierlich es ist, daß ein hoher Vierziger söllt zum Schulmeister gehn um Auskunft.«
Sodann machte der Matthäus einen Seufzer und der Stralz auch einen. Und nicht mit Unrecht; er hatte mangels jeder Unterweisung sowie mangels jugendlichen Lerntriebes erst im reifen Mannesalter sich einiges Wissen Stück für Stück angeeignet. Als Selbstbildner verfiel er keineswegs in Hochmut und Eigenbrötelei; im Gegenteil überschätzte er die Errungenschaften des Geistes an Umfang und Bedeutung; seine Verehrung war grenzenlos, indem er alles wie einen Glaubenssatz eindeutig auffaßte. In seinem Vertrauen zu gediegener Schulbildung kam er nicht zur Einsicht, daß sie auch nur ein Mittel sei, etwa eine Linse, womit man das Licht der Schöpfung in wohlanständiger Art sammelt und untersucht. Er wußte nicht, daß für jeden, auch den klügsten Scholaren, einmal der Tag kommt, wo er mit seiner Arbeit muß von neuem beginnen, weil er nicht mehr das feine Brennglas, Zeichnung, Feder und Zirkel, sondern die ewig sich entwickelnden Faktoren der Welt selbst vor Augen hat. Er wußte schließlich auch nicht, daß mancher der kultivierten Instrumente zu seinem Leben entraten kann, weil er’s unmittelbar und mit derben, gesunden Händen packt und ohne viel Federlesens zurechtrichtet. In solchen Fällen wird kein Seidendamast daraus, sondern ein grobes Leintuch; wird kein gotisches Gewölbe daraus, sondern ein Dibbelboden, nicht selten auch eine fest gezimmerte, bunt bemalte Wiege …
Als nun diesermaßen eine Stockung der Rede eingetreten war und der Herr Vater einem bestimmten und die Buben irgendwelchen sehr unbestimmten Gedanken nachhingen, schaute die Frau Mutter bei der Tür herein, sich sorgend, warum die Sache so langsam und unheimlich still abgehaspelt werde. Da sagte der Stralz:
»Stanzi! Schick um den Bräuknecht.«
Die beiden Fenster des Tafelzimmers stunden offen, denn die Sonne hatte ihre Strahlen, ausspreizend vom Bäckenhanseldach, schon längst zu Veitkramers großer Feuermauer hinübergespannt und neigte sich nun ein wenig über die Walchen, um das finstere Gesicht des Herrn Raimund Winkler zu streicheln, welcher hinter dem jungen Birnbaum saß und seinen fünf bloßfüßigen Kindern – das älteste nicht mitgerechnet – eindringlich ins Ohr schärfte, sie möchten in der Wolfsgrube fleißig Schwarzbeer brocken, derselben nicht zuviel naschen oder gar verstreuen und ja in Gottes Namen auf keinen giftigen Wurm steigen. Die Sonne streichelte den Birnbaum sowie die fünf Kinder, und weil sie von ihrem erhobenen Standpunkt gerade auch das sechste sah, wie es nämlich zwischen dem Stralzenhaus und der Grafentaverne über die Straße hüpfte, liebkoste sie auch dieses. Im Vorhaus der Grafentaverne waren an hundert leere Bierfäßchen aufgeschichtet, und die Regina nahm darüber ihren Weg oder Umweg, steckte ihre Finger in ein Spundloch, trampelte tüchtig über die hohlen Dauben; und indes die Mutter Stralzen dachte, das Kind möchte mitsamt dem Blasel schon längst herüben sein, hatte das Kind den Blasel noch gar nicht gefunden. Es suchte überall; hielt Umfrag in der Malzdarre, in der Bräustube, stieg endlich die buckeligen Staffeln in den Oberstock hinauf und stellte sich horchend zu seiner Kammer hin; die war gleich, wenn man von der Stiege in den Söller schreitend das Butzenfenster im Rücken ließ, hinter der ersten Türe rechts.
Die Regina hörte was und klinkte auf. Da hockte der Blasel wohlbeleibt und gemütlich bei der Jause, hatte ein Maß Bier und eine Speckwurst auf dem Tischbrett und ließ sich gut geschehen. Er beeilte sich nicht, als die kleine Dirn ihm die Botschaft der Frau Mutter ausrichtete. Erstens verließ er sich auf ihre Gutheit, und zweitens war er unleugbar ein naher Anverwandter seines Brotherrn, nämlich dessen älterer Bruder, freilich auf nicht ganz löbliche und einwandfreie Art.
Noch bevor der selige Johann Stralz seine nunmehr auch in Gott ruhende Gattin Maria Stralzin Anno 1756 zum christlichen Ehebündnis heimgeführt, schlief der Blasius schon in einem Waschtrog neben der Sennerin, und die junge Hausfrau nahm weiter keinen Anstoß, behielt die Dirn und ihr Kindel, ließ es, da die eigenen sieben Söhne und zwei Töchter unter Gottes Gnad aufwuchsen, am gleichen Tisch mit ihnen essen, machte ihnen die gleiche Pfaid, nur ein bißchen gröber gesponnen, nur ein bißchen schlechter gebleicht. Und als die Zeit dahinwebte und die Buben in Lehr und Walz mußten und das eine Mägdelein, eben jungfräulich erblüht, dem Postmeister Vasold anvermählt wurde, während das andere, noch zart und kindlich, einer tückischen Seuch erlag, ist der Blasel verläßlich auf seinem Platz geblieben; und als die Geschwister, mit je 2000 Gulden Konventionsmünze bar hinausgezahlt, sich weit herum in der Steiermark, nämlich zu Aussee, zu Obdach, Rottenmann, Admont und Eisenerz ansiedelten, durch Einheirat oder auch indem sie ein Geschäft gründeten, als der Jüngste nach Amerika ging … Und Vater Johann und Mutter Maria müde wurden und sich an der Südwand der Kirche niederlegten, wo es im März schon grün und trocken ist … als die Zeit dahinschwebte … blieb dem Andreas Stralz nur sein Halbbruder, der Blasius Stocker, auf dem weitschichtigen Besitztum übrig.
Es hat sich der Bräumeister, wie wir wissen, alsbald mit der Constantia Sorger verehelicht; der Bräuknecht aber verschmähte die Frauenzimmer, schon darum, weil ihn einmal eine – glaube die Veitkramerin – gefoppt hatte, und schon darum, weil er wirklich nicht gewußt hätte, ob ihn ansonsten ein Mensch begehrte. Und zum Biddeln war er zu kommod.
Je älter er wurde, um so mehr segnete er dieses einspännige Leben, und insonderheit zu Neujahr, wann er dem Bruder in einem hänfenen Säcklein das ganze Geld hinübertrug und vor Gott und den himmlischen Heerscharen hätte beeiden können, daß kein Kreuzer gestohlen, kein Kübel Malz verfault sei – dann überlief ihn ein Gefühl der Sorglosigkeit, das ihn nach und nach einschläferte, und sein letzter Gedanke vor dem ersten Schnarcher war ein Vergleich zwischen sich selbst und seinem Halbbruder Andreas, und solcher Vergleich fiel jedesmal zu eigenen Gunsten aus.
Er ließ sich wohl geschehen; doch er besaß ja sonst wirklich nichts auf der Welt. Auch Regina fand seinen guten Appetit verzeihlich. Sie betrachtete voll Geduld die bunten Glasmalereien, welche er einem böhmischen Hausierer abgehandelt hatte. Sie hingen beide über der zerknüllten Bettstatt. Ein Bild stellte die heilige Genoveva dar, in zinnoberrotem Kleide und blauem Mantel. Ihr nackend Söhnlein, so auf einer Hirschkuh geritten kam, erhob die Hände bittend zum grausamen Ritter Golo. Das zweite Bild zeigte Elisabeth von Thüringen unter einer Strahlengloriole, den Kopf geneigt und im geschürzten Überkleide zwölf Rosen, jede einzeln mit Krone, Blatt und Stengelein gemalt.
Ferner waren auch noch der Kasten sowie eine roh gezimmerte Wandertruhe, ein Kupferkrügel, das schon manchen Bug hatte, und eine schmiedeeiserne Laterne sein eigen. Lauter Erbstücke seiner seligen Mutter, der Maria Stockerin, die Anno 1762 mitsamt der Almhütten unter einen Erdrutsch gekommen war.
Sonst gab es wenig zu bestaunen. Regina näherte sich auf ihrem Rundgang schon wieder der Tür, die vom Alter gebeizt und wurmstichig war; sie probierte das Schloß und stellte sich auf die Zehen, weil ziemlich hoch im Türstock das Blechrelief eines Papstes mit vier Schuhnägeln angeschlagen war. In diesem Augenblick trampelte jemand die Stiege herauf, gegen die