sich in ihrer ganzen Stattlichkeit um. Die Rögerl wurde noch trauriger, duckte sich tiefer und ging mit dem zunderroten Regenschirm gar weh- und demütig hinterdrein. Schon beim Egger Roßstall brach die Frau Mutter das grausige Schweigen.
»Das sind schöne Stückeln, Fratz du!« sagte sie über die Achsel. Die kleine Ziehtochter blieb mäuschenstill, beharrlich tropfte der Regen von der Sonntagsschürze; vielleicht daß auch ein Tränlein nieder auf die Gasse rann …
Beim Engelharscht stellte sich die Stralzin unter den vorspringenden Gang, schaute die Dirn von oben bis unten an und beutelte ihr die Kleider aus, daß es nur so spritzte. »Schad ums Gewand«, murrte sie endlich. Das Kind wollte ihr den Schirm wieder hinreichen und bat:
»Aber Frau Muatter!«
Doch Constantia Stralzin verspürte an sich die Nässe und das Unwetter nicht, und nur aus einer ganz unbewußten Gewohnheit raffte sie die weiten Röcke und trat von Stein zu Stein und räsonierte, bis sie nach Hause kamen.
»In der Kuchel«, sagte sie alsdann zur Stalldirn, zur Kellnerin und zum Fleischburschen, die einträchtig auf der Ofenbank saßen und plauderten, »in der Kuchel«, sagte sie, »kann ich hiazt niemand nit brauchen; fahrts ab!«
Das Mannsbild machte einen Brummler, und die Kellnerin stieß einen Kübel um.
»Ah so!« schimpfte die Frau Mutter, den Schurz bindend, »ah, da schau her! Därf eins im eigenen Haus nimmer anschaffen.« Und sie stellte sich vor die Dienstboten hin, donnerte sie zusammen.
»Hiazt wird’s mir zu dumm«, meinte der Fleischknecht. »Am kleinen Frauntag geh ich, daß Ihr’s wißt, Stralzin.«
Und die Dirn und die Kellnerin kündigten ihr auch.
»Gehts nur!« rief ihnen die Frau Mutter nach, »ist mir recht.«
Und wie nun die Dienstleut aus der Küche verschwunden waren, zog sich das Gewitter gegen die Ecke hin, wo die Rögerl armselig und erschrocken herstund. Die Frau Mutter schlug ihr nochmals den Kittel aus und lamentierte:
»Da hört sich alles auf. Schamst dich nit? Bist ein Schulmeistertöchterl und ziehst umeinander wie ein Zigeunermensch. Auf den Sunntag fangst mir einen Glockenzug an mit Kreuzelstich und Perlnähterei. Merk dir’s!«
Das Kind nickte steif und traurig und sinnierte, ob es wegen dem Regenparapluie oder wegen der Studi wär. Es sagte leise:
»I hab ja nit denkt, daß es gefehlt ist.«
»So?« sagte die Stralzin, durch die bittere Kümmernis solcher Worte ein wenig besänftigt, »aber hiazt weißt es, Rögerl. Tu mir nie Unrechtes nit, sonst müßt ich dich wegjagen … Du breder Nigel, du!«
Die Rögerl erschrak noch ärger. Sie dachte nicht so sehr darüber nach, was für ein Unrecht gemeint sei. Und wenn der liebe Gott, der Herr Pfarrer und die Mutter Stralzin auch hie und da eine Unterweisung zur Tugend gegeben, so hatte sie diese mit ihrem frühreifen Köpfchen wohl begriffen, doch ihr unschuldiges Herz war noch allzu jung und streifte mit sieben Schleiern daran vorüber. Sie dachte also nicht an die Sünde, sondern an die Straf, durch welche alle Herrlichkeit, nenne Kipfelkoch, Butterkrapfen, Bratel, eingesottene Zwetschken, ihr Bett mit der federweichen Hülle, die Spieluhr zum Aufziehen und alle Herrlichkeit konnte verlorengehen. Ihr wurde siedig heiß und eiskalt, und sie begann herzhaft zu weinen. Da verschluckte die Frau Mutter aufseufzend den weiteren Teil der gut überlegten Predigt, drehte sich gegen den Herd, schürte tüchtig das Restchen Glut auf der Feuerstell und rückte die Milchsuppe herzu, welche seit einer langen Weil unter dicken Hautschrümpfen abgekühlt war. Schließlich fiel ihr wiederum der Brotlaib ein, und sie frug, noch immer grollend, wo die Rögerl ihn hingetan habe. Allein wie die Stralzin aufhorchte, wurde sie einer recht merkwürdigen Stille gewahr, und indes sie sich nach dem Winkel umwandte, konnte sie dortselbst keine Regina mehr erblicken. Solches stimmte sie nachdenklich. Sie setzte sich breit zur hülzernen Herdbank, goß die Suppe in ein tönernes Schüsselchen, und während sie mit dem geschnitzten Beinlöffel vorsichtig umrührte, und während sie blies und kostete, wuchs ein schweres inniges Unbehagen von irgendwo in ihr Gemüt hinein.
»Ach, eine Suppen ohne Brocken …
Und ein Dirnlein ohne Docken …«
So sprach sie bei sich selbst, und es machte dieser unschuldige Reim auf ihre grade und einfache Hausfrauenseel immerhin Eindruck, wennschon man nicht feststellen kann, ob sie ihn irgendwo zusammengeklaubt oder im besagten Augenblick erdichtet hat. Sicher ist, daß die Mutter Stralzin weder früher noch später einen Hang zur Poesie gezeigt hat, daß aber jedesmal nach hitzigstem Zorn die bessere Einsicht erst zag, dann laut und lauter pochte, und daß sie im vorliegenden Fall erwog, wie die Rögerl blitzdumm und kindisch genug wäre, um den Matthäus für ein großmächtiges Spielzeug anzuschauen; welchem Unfug man mit Klugheit beikommen müsse. Und daß sie ferners erwog, wie alle Dienstleut heutigestags nichts mehr nutz wären, indem sie keine Lehren und Vorwürf und keinen wohlgemeinten christlichen Zuspruch mehr aushielten. Die Mutter Stralzin bedauerte es und nahm sich heilig für, nimmer so grob zu schimpfen, und wenn es schon nicht das erstemal gewesen, sollte es gewiß das letztemal sein; daß sie, so wahr und ehrlich sie gelobte, auch wieder fehlen werde, bedachte sie nicht. Es gehörte eben zum Sorgerischen Erbteil, daß die Wirtschaft und die Erziehung sie manches Mal aber schon gewaltig aus dem Häusel brachten, daß sie in Abwesenheit ihres Eheherrn die Leut nach Noten herunterkanzelte und diesem oder jenem einen Tiegel nachschmiß. Deswegen ist jedoch niemals ein Dienstbot vom Haus geschieden, und wann einer aufkündigte, so hatte dies sicher seinen gewichtigen Grund.
Langsam verging der Nachmittag. Die Kellnerin, mit ihrem flinken Mundwerk, erzählte es einem jeden, der durchs Vorhaus kam, daß die Frau Mutter den bösen Humor hab, und so getraute sich weder die Veitkramerin noch die Buglmüllerin oder sonst ein Weib zur Stralzin in den Heimgarten. Und das Regengeriesel am Fenster, das verglimmende Erlscheit und die vielen dicken Fliegen blieben ihre einzige Gesellschaft.
Dann … auf einmal krachte die Küchentür, und darin sich bückend, stapfte der Matthäus daher. Seine Augen waren noch klein und verschlafen; er pfiff eins, und das liebe närrische Glück tanzte wieder einmal darnach, ohne daß er’s wußte. Wär er nämlich beim ersten Ansturm gekommen, hätte er – sicher wie das Amen im Gebet – eine Dachtel erfangen. Nun aber blitzte nur noch schwach das letzte Wetterleuchten, und seine Mutter sagte fast sänftlich:
»Zeit ist’s, daß du heimkömmst.«
Der Bub gähnte, und die Stralzin meinte noch milder:
»Daß du auch nit gescheiter bist.«
Matthäus wollte sonach den Mund auftun und entgegnen: Was wird die Frau Muatter greinen wegen so einem Tröpferl Bier.
Aber es ist doch ein wundersam Ding, daß die Reden der Bauern sind wie die Wege. Die winden sich auch an Wiesenrand, an Bach und Berghang zu einer Keusche hinauf, zur andern hinunter. Und nur deswegen, weil die Leut so unendlich viel Zeit haben, und weil ihnen jedes Büschel Gras zu kostbar und jede Krume Ackererde zu heilig ist, als daß sie kreuz und quer darüberführen. Ja … daß die Reden sind wie die Wege … immer bedächtig an Saum und Baum vorbei. Denn öfter als ein Langsamer was versäumet, hat ein Eilender sich vergaloppiert.
Also der Matthäus wollte schon Antwort geben, als die Stralzin nahe herzutrat und sagte:
»Schau, ich mag’s nit leiden, daß du gar so zu der Rögerl haltst.«
Der Bub bekam ein recht dummes, erstauntes Gesicht. Sie hielt solches für Verstellung und wurde bös.
»Du!« sprach sie mit erhobenem Zeigefinger. »Bald ich euch zwei noch mal im Dreizipf oben sehen sollt, nachher wirst was erleben.«
Nun war er ganz baff. Er frug sich … wann … wann er im Obstgarten gewest. Und er gähnte, daß die Stralzin bis in den Hals, nein, beinahe bis ins Herz hinabsah. Dann setzte er sein Hütel auf und ging.
Er ging stockstumm in den Hof hinaus, und wie er immerfort verwundert hin und her studierte, trat Markus mit aufgestreiftem Hemdärmel aus dem Stall und sagte:
»Die Glockkuah hat sich blaht.«