dass Wissende und Vorgesetzte in einer Person handeln. Hilfreich ist es, wenn Menschen mit Wissens-Autorität gleichzeitig eine überzeugende Weisungsbefugnis besitzen. Nicht das eine wird gegen das andere ausgespielt. Aber es muss klar sein: Menschen mit Weisungsbefugnis sind noch lange keine Wissens-Autoritäten. Die Tragik besteht darin, dass sich immer wieder Menschen mit Weisungsbefugnissen, Menschen mit Vorgesetzten-Autorität, Wissens-Autorität anmaßen und ihre Grenzen überschreiten. Über 20 Jahre habe ich Beratung und Seelsorge praktiziert. Für viele Ratsuchende war ich die Wissens-Autorität. Aber mit Händen und Füßen habe ich mich gewehrt, in die Rolle der Vorgesetzten-Autorität hineinzurutschen. Im Prinzip gebe ich keine Weisungen, keine Ratschläge, keine Anordnungen. Wenn Seelsorger und Therapeuten diese Sach-Autorität nicht von der Vorgesetzten-Autorität unterscheiden, geraten sie unter der Hand in eine verführerische Rolle. Dem Missbrauch sind Tor und Tür geöffnet.
Begründete und angemaßte Autorität
Die begründete Autorität beinhaltet:
Dieser Mensch ist ein Fachmann auf seinem Gebiet.
Dieser Mensch, beispielsweise ein Arzt, hat Medizin studiert. Er hat Titel und Diplome erworben. Er hat eine begründete Autorität auf seinem Gebiet.
So gibt es unzählige Menschen, die jeweils auf ihrem anerkannten Gebiet eine begründete Autorität darstellen.
Die angemaßte Autorität beinhaltet:
Ein Mensch beansprucht eine Autorität - auf welchem Gebiet auch immer -, die nicht begründet ist.
Ein Mensch behauptet etwas, ohne darüber ein begründetes Wissen zu haben.
Menschen maßen sich Titel, Wissen und Urteile an, die schlicht und einfach unbegründet sind.
In der Welt gibt es unzählige Pseudo-Autoritäten, die anderen Menschen ihr angemaßtes Urteil überstülpen. Immer wieder gibt es Menschen, die sich so gut verkaufen, die sich so geschickt darstellen, dass ihre angemaßte Autorität von anderen als begründet und richtig empfunden wird. Keine Frage, dass viele Menschen verführt, manipuliert, betrogen und von Pseudo-Autoritäten geknechtet werden. Zu allen Zeiten hat es in der Weltgeschichte Menschen gegeben, die mit angemaßter Autorität andere Menschen unterjocht haben.
Eine Gefahr, solchen Pseudo-Autoritäten aufzusitzen, ist die Gewohnheit. Wir haben uns daran gewöhnt, dass der Vater, der Lehrer oder der Pfarrer für uns auf einem Gebiet eine vertrauenswürdige Autorität darstellen, und wir vertrauen ihnen jetzt auch auf anderen Gebieten. Die Autorität wird missbraucht. Die Verführung geht von beiden Parteien aus. Der Verführte hat dem Verführer - unter Umständen blindlings - Vertrauen geschenkt, der Verführer fühlt sich bestätigt und ermutigt, seine Autorität - auf welchem Gebiet auch immer - zu missbrauchen.
Ein trauriges und trostloses Kapitel ist der sexuelle Missbrauch. Kleine Kinder vertrauen ihren Eltern häufig blind. Es sind die liebsten Personen in ihrer Umgebung. Was die Eltern tun und entscheiden, können die Kinder nur akzeptieren. So geraten sie in eine gefährliche Abhängigkeit. Die Autorität der Eltern ist schamlos ausgenutzt worden. Dieser Missbrauch der Autorität kann im späteren Leben zu schweren seelischen und körperlichen Schäden führen. Diese Menschen leiden an Identitätsstörungen, an Selbstwertproblemen und nicht zuletzt an schweren Beziehungsschwierigkeiten.
„Der autoritäre Charakter“ - das Milgram-Experiment
1936 veröffentlichte eine aus Deutschland emigrierte Gruppe von Wissenschaftlern aus dem Frankfurter Institut für Sozialforschung einige Bände über „Autorität und Familie“. Zu den Wissenschaftlern zählten Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Erich Fromm, Herbert Marcuse und Hans Mayer. Die Autoren beschreiben das Problem der Autorität, die in der Familie durch Unterwerfung unter den Vater gelernt wird. Das Kind ist machtlos und muss sich der Herrschaft des Vaters unterwerfen. Erich Fromm spricht von „autoritär-masochistischem Charakter“, der entsteht, weil das Kind sich mit der starken Autorität identifiziert, diese Person liebt und die eigene Unterdrückung ohne Rebellion erduldet.
Theodor W. Adorno spricht vom „autoritären Charakter“, der sich den Werten, Normen und der anonymen Autorität des „Man“ unterwirft. Die Autoritäten werden idealisiert, ihr Verhalten wird unkritisch akzeptiert. Er spricht auch von „aggressiver Autorität“, die sich darin äußert, dass überall Menschen aufgespürt werden, die bestimmte Werte verletzen, um sie dann zu verurteilen und zu bestrafen. Viele autoritäre Charaktere identifizieren sich mit Macht und Stärke, mit starken Führern, aus Angst vor der eigenen Schwäche. Schwäche und Menschlichkeit werden von ihnen lächerlich gemacht. Die Autoren sprechen vom „Faschismus-Syndrom“, wobei Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und politischer Konservatismus die Persönlichkeit bestimmen. Die Wissenschaftler waren vor Hitler geflohen und warnten eindringlich mit ihren Untersuchungen vor dem autoritären Machttyp in Familie und Gesellschaft.
Anfang der 70er Jahre testete der Amerikaner Milgram tausend repräsentativ ausgesuchte Versuchspersonen, denen er vier Dollar pro Stunde anbot, um angeblich Gedächtnisleistungen in seinem Institut zu erforschen. Dort trafen die Versuchspersonen auf die Versuchsleiter und eine weitere, angebliche Versuchsperson, die aber in Wirklichkeit zum Institut gehörte. Der Versuchsleiter erklärte beiden, dass einer von ihnen als „Lehrer“ dem anderen, dem „Schüler“, Wortpaare nennen solle. Diese Wortpaare habe der „Schüler“ immer zu wiederholen. Bei jedem Fehler habe der „Lehrer“ den „Schüler“ mit einem Elektroschock zu strafen. Der Elektroschock beginne bei 15 Volt und solle bei jedem Fehler um weitere 15 Volt gesteigert werden. Bei der Auslosung der Rollen von „Schüler“ und „Lehrer“ wusste es der Versuchsleiter so einzurichten, dass immer Institutsangehörige als „Schüler“ fungierten. Der „Lehrer“ war - ohne es zu wissen - die eigentliche Versuchsperson. Untersucht werden sollte, wie weit er sich bereit fand, sich den Anordnungen einer Autorität (des als Wissenschaftler im weißen Kittel auftretenden Versuchsleiters) zu unterwerfen. Der „Lehrer“, also die Versuchsperson, saß vor einem Schockgenerator mit 30 Schaltern und Voltbezeichnungen von 15 bis 450 Volt. Zusätzlich stand noch über den Voltzahlen:
leichter Schock,
mittlerer Schock,
gefährlicher Schock,
bedrohlicher Schock.
Die Versuchsperson hatte dem „Schüler“ (also einem Angehörigen der Institutsleitung) über Mikrofon die Wortpaare vorzulesen und bei Fehlern stets größer werdende Schocks zu erteilen. Für den Fall, dass die Versuchsperson sich weigern würde, Schocks zu verabreichen, war der Versuchsleiter angewiesen, folgende stereotype Aussagen zu machen: „Bitte, fahren Sie fort, bitte, machen Sie weiter! Das Experiment erfordert, dass Sie weitermachen. Sie müssen unbedingt weitermachen! Sie haben keine Wahl. Sie müssen weitermachen. Die Schocks mögen schmerzhaft sein, sie hinterlassen aber keine bleibende Gewebeschädigung.“
Für die „Lehrer“, also für die eigentlichen Versuchspersonen, war das eine schreckliche Konfliktsituation. Sie wussten ja nicht, dass die Opfer bzw. die „Schüler“ als Institutsangehörige lediglich die Opfer spielten. Bei höheren Voltstößen schrien sie. Der eine simulierte Herzschmerzen und bat, die Versuche zu beenden.
Das Milgram-Experiment verdeutlicht, wie anfällig der Mensch ist, auf Anordnung und Befehle, die von so genannten „Autoritätspersonen“ gegeben werden, artig und gehorsam zu reagieren. Viele Versuchspersonen waren bereit, gefährliche und sogar lebensbedrohliche Stromstöße einzuleiten, nur um ein so genanntes „wissenschaftliches Experiment“ nicht zu gefährden. Wie fragwürdig muss unsere Erziehung sein, dass selbst im angeblich freiesten Land der Welt, in Amerika, eine solche Untertangesinnung möglich ist! Der unbedingte Gehorsam, der von Menschen verlangt wird, ist immer fragwürdig.
Anarchismus und Totalitarismus
Was sind Anarchisten? Menschen, die