Reinhold Ruthe

Hochsensibilität und Depression


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und gemobbt. Auch als Erwachsene fühlen sich viele

      – nicht gemocht,

      – nicht verstanden,

      – als Außenseiter.

      Sie erleben, dass sie als zickig und kompliziert eingestuft werden. Dieses „Leiden“ kann im Laufe des Lebens zum Teil überwunden werden, es kann sich aber auch verstärken und diese Menschen belasten und beeinträchtigen. Aus der Begabung ist eine Belastung geworden.

      In der Gemeinde, in Beziehungen und im Arbeitsprozess reagieren sie enttäuschter, verletzlicher und immer wieder gestresster. Diese Menschen wenden pausenlos mehr Energie auf als der Durchschnitt. Die Folge: Sie kommen auf allen Gebieten schneller an ihre Leistungsgrenze. Und der Abbau des Cortisols im Blut, der sich durch negativen Stress bildet, dauert länger.

       Das Zusammenspiel mit depressiven Mustern

      Weil diese Menschen von Hause aus hochsensitiv, hochsensibel reagieren und an sich leiden, werden depressive Züge auch intensiver und belastender erlebt. Leider gehören depressive Anlagen in allen Schweregraden oft mit zum Persönlichkeitsinventar des Hochsensitiven.

      In Gegenwart und Vergangenheit hat es viele Menschen gegeben, die von Schwermut und Depression gekennzeichnet waren. Ich nenne nur einige:

      – Prinz Claus der Niederlande

      – Winston Churchill, einer der großen Staatsmänner des Zweiten Weltkriegs

      – Abraham Lincoln

      – der dänische Philosoph Sören Kierkegaard

      – Martin Luther

      Auch Bibelhelden, Menschen mit großem Mut, blieben von diesem Leiden nicht verschont:

      – König David von Israel

      – der Prophet Elia

      – der Prophet Jeremia

      – wahrscheinlich Paulus

       „Jeder Tag ist ein Kampf ums Überleben“

      Ein Beispiel aus einer Zeitung: Dort geht es um die Tochter des Erzbischofs von Canterbury, die diesen Satz der Überschrift formulierte. Der Erzbischof ist das geistliche Oberhaupt von 77 Millionen Anglikanern weltweit und wurde 2013 gewählt.

      Die 28-jährige Tochter kämpft seit Jahren gegen die Depression, sie leidet seit ihrer Jugend unter der Krankheit. Es sei ein täglicher Kampf ums Überleben. Sie ist für eine Wohltätigkeitsorganisation tätig, die Menschen mit Behinderung hilft, möglichst selbstständig und eigenständig mit dem Leben fertigzuwerden. Sie selbst kann nur zwei Tage in der Woche arbeiten, dann sind ihre Kräfte aufgezehrt. Das ist auch wieder typisch für den Depressiven, wenn er gleichzeitig hochsensitiv ist. Seine fünf Sinne sind im Allgemeinen hoch beansprucht. Mit seinen Energien kommt er schnell an seine Grenzen.

      Er nimmt auch alles tragischer, empfindet alles stärker und erlebt alles intensiver.

      Die junge Dame akzeptiert ihre Krankheit. Sie weiß, sie gehört zu ihrem Leben.2

       Der große Prophet Gottes: Elia

      Die Krankheit ist uralt. Selbst in der Bibel erleben wir Menschen, die von Depressionen oder von Schwermut heimgesucht werden.

      Da ist der große und mächtige Prophet Gottes, Elia. Er war nicht gegen Depression gefeit. In der Bibel werden uns seine Höhen, seine Grandiosität, aber auch seine Tiefen, seine Verzweiflung und sein Wunsch zu sterben berichtet. Wir schreiben das Jahr 850 vor Christi Geburt. In Israel herrscht der gottlose König Ahab. Zwischen dem König und Elia gab es eine unüberbrückbare Feindschaft. „Ahab tat, was dem Herrn missfiel“, so heißt es in 1. Könige 16,30. Er baute einen Götzentempel.

      Auf dem Berg Karmel kommt es zu einem Duell zwischen dem Götzen Baal und dem Gott des Himmels und der Erde. Beide Propheten-Parteien wollen Stiere opfern. Der Gott, der die wahre Macht besitzt, soll Feuer schicken. Das Volk ist einverstanden, und die Prozedur beginnt. Die Priester Baals schreien: „Baal, erhöre uns!“ Aber der Götze rührt sich nicht. Elia kniet ganz ruhig vor seinem Altar nieder, spricht ein Gebet, und der lebendige Gott beantwortet es mit einem riesigen Schauspiel und entzündet das Feuer. Elia erlebt wahrscheinlich den beeindruckendsten Tag seines ganzen Lebens. Der Prophet stand allein einigen hundert Baalspriestern gegenüber. Der lebendige Gott, sein Gott, erwies sich als der Allmächtige.

      Aber dann fällt Elia unvorstellbar aus der höchsten Höhe in die schlimmste Tiefe. Die Königin, eine treue Baals-Anhängerin, will sich rächen. Sie will ihn verfolgen und umbringen. Plötzlich vergisst Elia Gottes Macht und gerät in Panik.

      Der große Elia klappt zusammen.

      Er flieht in die Wüste.

      Er liegt unter einem Ginsterstrauch und will sterben.

      Er wünscht sich den Tod. „Es ist genug! So nimm nun, Herr, mein Leben, denn ich bin nicht besser als meine Väter!“ Bei schweren Depressionen sind oft Selbstmordgedanken im Spiel.

      Auch Elia ist lebensmüde.

      Depression ist fast immer mit Hochsensitivität verbunden. Denn auch die Negativdeutung des Hochsensitiven kann sich verschlimmern und verstärkt sich zu depressiven Einstellungsmustern. Das heißt, eine depressive Grundstimmung muss anlagemäßig nicht unbedingt vorhanden sein. Die Negativgefühle des Hochsensitiven verstärken sich und wandeln sich in depressive Verhaltensmuster wie Angst, starke Befürchtungen, Trauer, Versagensgefühle und Grübeleien. Keine Frage, dass diesen Betroffenen in Beratung, Seelsorge und Therapie leichter zu helfen ist als denen, die neben der Hochsensitivität auch gleichzeitig eine depressive Anlage mit auf die Welt bringen.

       Nichts muss bleiben, wie es ist

      Wenn der Hochsensible und Depressive unter seiner Dünnhäutigkeit und seiner extremen Hellhörig- und Hellfühligkeit leidet, dann darf er wissen, dass alles im Leben korrigierbar und veränderbar ist. Wer sich erkennt, wer sich besser versteht, kann das eigene Leben besser organisieren, verändern und muss sich mit seiner Lebenseinstellung nicht resigniert abfinden.

      Wir Christen reden nicht umsonst

      vom „neuen Menschen“,

      von der „neuen Geburt“,

      von einer Gesinnungsänderung,

      von einer Denk- und Lebensstiländerung.

      Altes und Belastendes kann abgelegt werden. Eintrainierte Erfahrungen, unbewusste Prägungen und Erkenntnisse, die wir uns angeeignet und angewöhnt haben, können wir mit Gottes Hilfe umpolen.

      Besonders die Hirnforschung macht heute darauf aufmerksam, dass Anlage und Vererbung etwa nur ein Drittel unserer Persönlichkeit bestimmen. Wichtiger sind spätere Einflüsse und Erfahrungen, Veränderungen des Denkens, Veränderung der Lebenseinstellung, Entdeckerfreude und Gestaltungslust, die neue Hirnzellen wachsen lassen.

      Von daher ist eine Veränderung von kritischen Lebenseinstellungen jederzeit und in jedem Alter möglich. Wo wird das deutlich? Ob ein Kind als Inuit geboren wird, im Regenwald Amazoniens, als Kind eines Arbeitslosen Europäers oder als Kind eines wohlangesehenen Akademikers – aus allen wird etwas. Aber aus jedem etwas anderes. Die Umstände bestimmen, nicht die Veranlagung. Jedes entwickelt daher auch ein anderes Gehirn.

      Unzählige Gaben, die Gott in uns Menschen angelegt hat, werden nicht genutzt. Sie werden ganz unterschiedlich beansprucht und können neu entfaltet werden.

      Es ist hochinteressant, dass keine unserer kulturspezifischen Leistungen angeboren ist. Alles, worauf Menschen später stolz sind, was sie denken, fühlen, wünschen und träumen, verdanken sie dem Umstand, dass andere Menschen ihnen das gezeigt, gesagt und vermittelt haben. In den letzten Kapiteln werden diese Veränderungsmöglichkeiten genauer beschrieben.

      Der Hirnforscher Gerald Hüter drückt diese neue Gestaltungsmöglichkeit so aus:

      „Das,