Petra A. Bauer

Kunstmord


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      Klara öffnete den Mund zu einer Antwort, als die Kinder in die Küche stürmten.

      «Papa, dürfen wir rausgehen?»

      Hartmut und Gretchen hatten ihre Sonntagssachen an. Einmal hatte er ihnen erlaubt, damit spielen zu gehen, und sich Klaras Zorn damit zugezogen. Die Kinder waren verdreckt wie die Ferkel wieder nach Hause gekommen. Er hatte aber auch keine Lust, ihnen zu sagen, dass sie sich umziehen sollten. Eigentlich hatte Kappe zu gar nichts Lust. Die Hitze machte ihn träge, und er hätte lieber noch weiter Zeitung gelesen. Auch Klara sah müde aus, doch zu seiner Überraschung schlug sie einen gemeinsamen Spaziergang vor.

      «Och, nöööööö», maulten Hartmut und Gretchen im Chor. Karl-Heinz stimmte mit ein, vielleicht, weil es so lustig klang.

      «Wir könnten uns ein wenig in der Stadt umschauen.» Die Stadt, damit war das Zentrum von Berlin gemeint. Wenn man so weit am Rand wohnte, war es fast schon eine längere Reise bis ins Innere Berlins.

      Das fanden die Kinder schon besser.

      Kappe sagte nichts und fügte sich in sein Schicksal, weil er Klara nicht verärgern wollte.

      Es dauerte einige Zeit, bis sie endlich los konnten. Karl-Heinz nahmen sie in der Karre mit, weil der Kleine vom Herumrennen meist irgendwann müde wurde. Und inzwischen war er zu schwer, um ihn weite Strecken zu tragen. Sie fuhren bis zum Thiergarten, wo sie auf andere Ausflügler stießen, die das schöne Wetter genossen.

      In der Nähe der Thiergartenschleuse standen einige Künstler und boten ihre Bilder dar. Der eine oder andere zeichnete währenddessen an neuen Werken.

      «Schau mal, Mama, die süßen Katzen!» Gretchen lief auf einen der Künstler zu, einen ernsten dunkelhaarigen Mann, der diverse Leinwände mit Katzen- und Kinderbildern vor sich aufgebaut hatte. Aber auch abstrakte Malerei war darunter.

      Kappe verzog das Gesicht, als sein Blick auf die bunten Gemälde fiel. «Das kann Karlchen auch», raunte er Klara zu.

      Die grinste.

      Doch die Katzenbilder und die Kinderporträts fand auch Kappe beeindruckend. Sein eigenes künstlerisches Talent beschränkte sich auf das Zeichnen von Strichmännchen und Kopffüßlern.

      «Mama, kaufst du mir die?» Gretchen zeigte auf das größte Katzengemälde, das der junge Künstler im Angebot hatte.

      «Aber Gretchen, das können wir uns sicher nicht leisten», sagte Klara lachend.

      «Was kostet das?», fragte Grete ernsthaft und zog ihre kleine rote Geldbörse hervor.

      Der junge Mann lächelte und nannte eine Summe, die in etwa Kappes Monatsgehalt entsprach.

      Gretes Mundwinkel wanderten nach unten.

      «Nicht traurig sein, kleine Mademoiselle! Schau her!» Der Künstler blätterte seinen Zeichenblock um, so dass ein frisches Blatt Papier zuoberst lag. Mit flinken Bleistiftstrichen zeichnete er zwei Katzenkinder, die sich um ein Wollknäuel stritten. Dann signierte er schwungvoll mit VIC und reichte Gretchen das Blatt.

      «Das schenke ich dir. Und wenn du erwachsen bist und ganz viel Geld hast, dann denkst du an den alten Victor und kaufst ihm ein großes Katzenbild ab, einverstanden?» Er hielt der Kleinen die Hand hin.

      Grete strahlte und schlug ein. «Abgemacht!» Dann lief sie los und zeigte Kappe und Klara stolz das Bild.

      Hartmut interessierte sich nicht dafür. Er schaute sehnsüchtig einer Gruppe von Jungen hinterher, die mit einem Fußball durch den Park liefen, dem eindeutig einiges an Luft fehlte.

      Karl-Heinz war in der Karre eingeschlafen.

      Grete winkte dem netten Künstler zum Abschied, und dieser erwiderte die Geste.

      «Ich bin immer froh, wenn ich sehe, dass es noch freundliche Menschen auf der Welt gibt», sagte Kappe und nickte dem Mann lächelnd zu.

      Victor nahm ein frisches Blatt und wollte eben den Zeichenstift ansetzen, als er sich eines Besseren besann. Es war schon recht spät geworden, und er hatte das Gefühl, dass er nach dieser Unterbrechung nichts Vernünftiges mehr zu Papier bringen würde. Also räumte er die Malsachen ein, schnürte die Bilder zusammen, wie er es an jedem Abend tat, und trat den Heimweg an.

      Nachts träumte er von der Frau und konnte doch am nächsten Morgen nicht sagen, weshalb er von ihr so fasziniert war. Es war nur eine zufällige Begegnung, wie sie jeden Tag vonstatten ging, denn immer kamen Menschen, um seine Bilder zu betrachten. Doch von dieser Frau war etwas Unerklärliches ausgegangen, etwas, das ihn beunruhigte.

      Er versuchte, wieder einzuschlafen, doch da ihm das nicht gelingen wollte, ging er an seine Staffelei und sah das unvollendete Bild an. Er stellte es beiseite und nahm eine neue Leinwand.

      Er musste darauf achten, nicht zu verschwenderisch mit seinen Malutensilien umzugehen, vor allem, da ein entfernter Freund ihm diese sensationelle Farbe besorgt hatte, die kürzlich erst erfunden worden war und noch nicht industriell hergestellt wurde. Die Farbpigmente waren nicht anders als in Ölfarben, doch das Bindemittel war ein völlig anderes: ein Kunstharz, das biegsam und elastisch blieb. Das Beste daran war, dass die Farben mit diesem Acrylat wasserlöslich wurden und somit viel einfacher zu handhaben waren, weil auch die Pinsel nicht mehr mit Terpentin gereinigt werden mussten. Da der Wasseranteil der Acrylfarbe rasch verdunstete, konnte man die Farben bereits nach ungefähr fünfzehn Minuten übermalen. Das beschleunigte den Schaffensprozess. Außerdem leuchteten die Farben beinahe überirdisch.

      Er hatte die Farben zunächst skeptisch ausprobiert und war nun mehr als begeistert. Er hätte mit Öl- oder gar Aquarellfarbe kein Gemälde wie Sól schaffen können. Und nun wollte er mehr.

      Dafür würde er noch Geld brauchen. Doch dann wäre er einer der Ersten, die mit Acrylfarbe experimentieren und vielleicht wahre Wunder zuwege bringen konnten. Wenn sie nur nicht so teuer wäre! Wenn nur mehr Menschen auf seine Kunst aufmerksam würden und den Geldbeutel ein wenig lockerer sitzen hätten!

      Wenn, hätte, würde … Er seufzte und sah doch ein, dass die Zeiten für niemanden besonders rosig waren – er bildete da keine Ausnahme.

      Er zog seinen hellgrauen Kittel über und malte schwungvoll ein Porträt aus dem Gedächtnis. Eckig, bunt, eng an sein großes Vorbild Picasso angelehnt und inspiriert von der Fremden, die seine Gedanken einfach nicht losließ. Für diese Werke lebte er, da durchströmte ihn ein Glücksgefühl! Jede Linie hatte etwas beinahe Erotisches an sich. Auf zu neuen Ufern! Nie Dagewesenes schaffen! Hier etwas dunkler, dort etwas heller, einen kontrastreichen Hintergrund schwungvoll auf die Leinwand bannen. Farben pur auftragen, Farben mischen – bunt für die Freude, Brauntöne für die düsteren Gedanken, mit denen er sich herumschlug. Doch alles in allem war er in diesem Moment glücklich: Malen – so zu malen, wie er es in seinem tiefsten Inneren wollte – machte ihn froh.

      Ein Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Etwas war heruntergefallen, und als er durch die Dachluke spähte, sah er eine Katze, die zu ihm hinunterschaute. Ganz entgegen seiner Gewohnheit öffnete er die Luke und ließ die Katze hinein. Warum er das tat, wusste er nicht. Es musste damit zusammenhängen, dass Katzenbilder einen immer größeren Raum bei seiner Malerei einnahmen.

      Vielleicht lag es aber auch an Sól. Er hatte der Sonnengöttin katzenhafte Züge gegeben, obgleich nichts in der nordischen Mythologie darauf hindeutete, dass eine solche Verwandtschaft bestand. Doch das war seine Interpretation. Die Sonne buchstäblich als schöner Schein. Sie scheint gut zu sein, zumindest für das Leben auf der Erde. Doch sie vernichtet mit ihrem Feuer alles, was es wagt, ihr zu nahe zu kommen.

      Rasch holte er den Skizzenblock, während die Farben auf der Leinwand trockneten. Die Katze tat ihm den Gefallen, sich in einer Ecke wohlig zusammenzurollen, so dass er sich mit seinem Block setzen und die rabenschwarze Schönheit mit Kohlestrichen aufs Papier bannen konnte.

      Und es wurde gut. So gut, dass er danach eine kleine Leinwand bearbeitete, diesmal mit Ölfarben, von denen er noch genügend vorrätig hatte. Katze in Öl. Seine Gesichtsmuskeln verzogen sich zu einem Grinsen, das er sich selten gestattete, doch diesen