während ich mir die Ohren zuhielt. »Wir sind im 21. Jahrhundert, niemand den man kennt, steht unangemeldet vor einer Haustür.« Drrr... Ich hatte Angst, meine Hände begannen zu schwitzen, ein vollkommen unbekanntes Gefühl. Drrrr... »Verdammt, es ist die Polizei! Wer sonst? Sie wollen mich zum Schweigen bringen, obwohl ich gar nichts weiß, aber das werden sie mir nicht glauben.«
Gong, gong, gong. Jetzt war er wieder unten.
Ich erspare Ihnen jetzt den Rest der folgenden qualvollen Minuten, in denen ich bewegungslos mit aufgerissenen Augen verharrte.
Nak naag – 23.
Wasserrohrbruch! Die eine Last fiel von mir ab, eine neue tauchte auf. In diesem zweifelhaften Geisteszustand musste die Abstellkammer ausgeräumt werden. »Funktioniere! Realität!« Was zur Hölle das auch immer sein sollte. War der Schweiß an meinen Händen weniger real?
Nak. Die Ente stirbt an dieser Stelle, ein notwendiges Übel um in Ruhe weiterschreiben zu können. Der Abschied bricht mir das Herz, aber gedanklich höre ich sie noch immer quaken: »Nag!« 13? Was hatte das nun schon wieder zu bedeuten? Und woher stammte die akustische Gitarre in der Abstellkammer, an die sich niemand erinnern konnte?
Wer hätte schon ahnen können, dass mit den vier Reitern der Apokalypse ein Computervirus gemeint war? Der bekackte Dylan hatte Recht: ‚The times they are a-changin’.
Doch auch dieses Wissen hätte Johnny in dem Moment nicht davon abgehalten, seinen aktuellen Aufenthaltsort online zu posten. Anrufen oder gar SMS schreiben, hätte er nie gewagt. In diesem Staat las und hörte der große Bruder alles mit. Wie süß, dass Johnny davon ausging, das wäre im Internet nicht der Fall. Auf jeden Fall fand er es wesentlich sicherer seine Daten einem großen Unternehmen anzuvertrauen, als der Regierung, an deren Wohlwollen Johnny schon seit 12 Jahren nicht mehr glaubte. Genau 12 Jahre waren nämlich vergangen, seitdem er zum ersten Mal hätte wählen können und genau 12 Jahre war es her, dass er beschlossen hatte, es nicht zu tun. Wer konnte schon von sich behaupten, in so jungen Jahren so lange an einer Einstellung festzuhalten und das ungeachtet der Tatsache, dass sie sich mittlerweile als dumm und falsch herausgestellt hatte? Es ging ums Prinzip!
»Demo vor dem Parlament. In einer Stunde geht’s los, bringt Transparente und Gummibärchen.« Ein kurzer, prägnanter Post, den Johnny vor 5 Minuten online gestellt hatte und der bereits mit 15 Likes und 8 Kommentare versehen war. Zwei Leute diskutierten, ob es im 1. oder 5. Wiener Bezirk die besseren veganen Gummibärchen gab und andere drückten mit ‚Ich komme‘ ihre Teilnahme aus. 50 Jahre zuvor hatte man ebenfalls protestiert, ganz fleischlich und spontan, allerdings galten ‚Ich komme‘-Rufe damals nur der Person, in der man gerade drinsteckte oder auf der man draufsaß.
Johnny war schon etwas früher zum Parlament gefahren, um alles vorzubereiten und kniete mittlerweile auf dem kalten Steinfußboden, um ‚1984 war nicht als Gebrauchsanweisung gedacht‘ auf ein weißes Bettlaken zu malen. Er fühlte sich unglaublich freigeistig und anarchisch dabei, denn er spürte die Gefahr im Nacken, dass sie ihn dafür theoretisch jederzeit hopsnehmen konnten. Schließlich galt seine Gesinnung als ‚öffentliches Ärgernis‘ und er verstieß mit der Aktion gegen die Gesetze des ‚öffentlichen Malens‘ und des ‚öffentlichen Hintern einem staatlichen Gebäude Entgegenstreckens‘.
Doch unserem ‚Helden’ war es egal, er fühlte sich unbesiegbar. Gewissermaßen war er das auch, schließlich handelte es sich bei seinem Vater um Walter Haslinger, den Oberstaatsanwalt des Bundesgerichts. Allein das Erwähnen seines Namens beschützte Johnny davor, verhaftet zu werden. Punkt 16:07 Uhr – die Uhrzeit war so gewählt worden, dass niemand auf die beliebte Nachmittagssendung verzichten musste – setzte sich der Protestzug in Bewegung. Blöderweise hatten sowohl diejenigen, die mehr Freiheit wollten, als auch diejenigen, die mehr Überwachung und (vermeintliche) Sicherheit wollten, zur selben Zeit am selben Ort eine Demonstration organisiert. Doch das fiel niemanden von den Teilnehmenden auf und beide Gruppen freuten sich über die rege Teilnahme. Schließlich teilte man sogar ein Ziel – ‚Auf keinen Fall weniger‘ –, auch wenn das die einzige Gemeinsamkeit der beiden Gruppen war. Angeführt wurde das Spektakel von abwechselnd schreienden Personen auf einem Truck, deren Stimmen durch das Megaphon unverständlich verzerrt klangen und dadurch lediglich zum Mitgrölen und Mitmarschieren animierten – deswegen hatten sie sich schließlich versammelt. Johnny war in seinem Element, während er brav marschierte und voller Inbrunst schrie – vorausgesetzt, er stopfte sich nicht gerade verklebten Fruchtsaft in Bärenform in den Mund.
Nur ein Polizist kratzte seinen Kollegen um genau 17:06 Uhr verwirrt am Kopf und fragte: »He, wenn das die Leute sind, die für uns sind, wie sehen dann die Verrückten aus, die gegen uns sind?« Tatsächlich war keine Gruppe von der anderen zu unterscheiden und nach einer Weile hatte man das Gefühl, dass die Leute selbst nicht mehr wussten, wofür oder wogegen sie eigentlich waren.
Alles, was um 17:50 Uhr nach der Abschlusskundgebung am Ballhausplatz vor dem Bundeskanzleramt noch übrig blieb, war ein lautes Piepen in Johnnys Ohren. Der Arzt würde ihn später mit den Worten aufmuntern, seine Ohren wenigstens für einen guten Zweck weggeworfen zu haben. Nicht, dass der Herr Doktor eine Ahnung von Johnnys Zweck gehabt hätte, aber das war der Standardspruch für alle Tinnitus-Patienten, die sich an diesem Tag bei ihm einfanden und damit einen erheblichen Anteil zu seinem neuen BMW beisteuerten.
»Bauen Sie den Abstandhalter doch ein, ich habe es mir anders überlegt«, erklärte er telefonisch seinem Autohändler, während er in einer Pause genüsslich an seinem Kaffee nuckelte. Dann stand auch schon der nächste arme Irre auf der Matte, dem ebenfalls die überteuerten, aber ‚einzig wirksamen‘ Präparate angedreht wurden.
Die Tatsache, dass Johnny noch am Vortag für Revolution und Chaos auf die Straße gegangen war, um sich anschließend vom Arzt Anti-Verkrampfungs-Mittel verschreiben zu lassen, empfand niemand als Diskrepanz.
Sex hätte Johnnys Verkrampfungen mindestens genauso gut lösen können. Nicht umsonst redeten Kinder von der Ankunft der roten Frau, die sich langsam auch in männliche Träume einschlich. Dem alten Herbert war in dieser Nacht bereits zweimal einer abgegangen.
»Gar nicht schlecht für 83«, hätte er sich am nächsten Morgen vielleicht gedacht, hätte er nicht an Alzheimer gelitten. Doch so freute sich Schwester Susanne gar nicht, da sie die Flecken für Urin hielt. Niemand war da, um Herbert zu gratulieren, oder ihm seine Träume zu erklären.
Stattdessen starrten alle auf ihre Gurken Bildschirme. Die Nerds freuten sich in Internetforen, denn es hatte sich mittlerweile herumgesprochen, dass ein neuartiges Virus auf dem Weg war.
»Das Netz wird nie wieder das Gleiche sein. Vergesst fbileaks, anonymous und 4chan. Was Großes ist auf dem Weg – Apokalypse ;)«, postete xS54non Dienstag, 6:25 Uhr UTC und ein paar Nerds furzten vor Aufregung.
Wo ein Hype, da sind die traditionellen Medien nicht weit. Uh, welch’ schlechter Reim, dabei war das nicht einmal beabsichtigt. Es dauerte nur wenige Tage, bis auch die traditionellen Medien auf den Jesus-Internethype aufmerksam wurden und anfingen, darüber zu berichten. Angefangen von den Videos, die in grauenvoller Qualität im Fernsehen gezeigt wurden, um zu zeigen, was für ‚crazy Shit‘ gerade im Internet angesagt war, über Diskussionen, ob es sich um einen Fake oder eine Werbeaktion handeln könnte, bis hin zu Interviews mit Kirchenvertretern und Gläubigen über die Authentizität des Mannes. Fernsehteams mischten sich unter die Fans, die ihrem Star täglich auflauerten und keine ruhige Minute mehr gönnten, Reporter reisten ins Land um ein Interview mit ihm zu ergattern und Medienberater witterten ihre Chance, jede Menge Geld mit Jesus zu verdienen.
Die katholische Kirche kam immer mehr in Zugzwang. Alle warteten auf ein offizielles Statement zu dem wiedergekehrten Messias, dessen direkte und ehrliche Art zu reden überwiegend Sympathie auslöste.
Der alte Sepp war ebenfalls in Aufregung, allerdings aus anderen Gründen, war es doch schon eine Weile her, seitdem er und seine Frau das letzte Mal so durchs Bett gerobbt waren. Noch nie in den letzten 23 ½ Jahren Ehe hatte Sepp das Bedürfnis verspürt seine Frau ‚Baby‘ zu nennen – bis jetzt. Während er in der üblichen Missionarsstellung auf ihr schnaufte, zischte er das Wort immer wieder zwischen seinen zusammengepressten Lippen hervor.