muss die Katze aus dem Sack lassen: 2-BAx2LON-2«, sprach er auf den Anrufbeantworter, um anschließend das Bestattungsunternehmen über die Terminverschiebung zu informieren.
Im Vorbeigehen schniefte er noch schnell eine Line, Schlaf würde ihn ansonsten wertvolle Zeit kosten und schrieb dann auf einen Notizzettel: 5+8=13=4, 5x8x4=160=7, 5-8-4-7=-14=-5.
Das Besondere an dieser einen Nacht im Jahr ist nicht die angeblich alte Hexentradition, die dafür sorgt, dass sich alle ohne schlechtes Gewissen der Leidenschaft hingeben können. Das Besondere ist weder der Ritt zum Blocksberg, noch Goethes romantische Schriften darüber. Das Besondere dieser Nacht ist der Glaube an diese Nacht. Tausende Teenager kommen sich mystisch und verrucht vor, wenn sie bei Kerzenschein ihre Finger über ein Ouija-Board kreisen lassen, dessen historische Geschichte erst 1890 als Gesellschaftsspiel begann. Etliche naturanbetenden Wicca-Leute treffen sich in dieser Nacht, um Hexe zu spielen und im Kreis um ein Lagerfeuer zu hüpfen.
Kurz, von Hausfrau bis Satanist, ist in dieser einen Nacht im Jahr jeder auf dem gleichen, spirituellen Trip und der gemeinschaftliche Glaube macht die Nacht real. Die Energie, die durch die Luft schwirrt, funktioniert, der Boden und die Körper vibrieren, ein Narr, der dies nicht für seine eigenen Zwecke gebraucht.
Und ein Narr auch, wer den Tod seiner Frau und seines Kindes vorschiebt, um nicht daran teilnehmen zu müssen. Paul hatte keine Wahl, es gab wichtigere Dinge an diesem 30. April und trauern könnte er genauso gut später.
Aber kehren wir von der Vergangenheit zurück in die Gegenwart. Dort ließ nämlich ein lauter Knall Monica Catherow zusammenfahren. Vor Schreck erweiterten sich ihre Pupillen und ihr Körper zuckte instinktiv zusammen. Sie hasste dieses Gefühl mehr als alles andere auf der Welt und das ein oder andere »Oh oh« verdeutlichte, dass das ihren Mitarbeiter Innen ebenso bewusst war.
»Cut!«, schrie sie laut, ihr Herz schlug wie wild.
Während sie sich auf die Suche nach der Ursache für den Knall machte, begaben sich Kameramann und Schauspielerinnen wieder auf Anfangsposition, um die Szene von vorne zu drehen. Monicas Herzschlag beruhigte sich zwar langsam, ihre Wut hingegen wuchs.
»Wer zur Hölle war das?« Das umgestoßene Lichtstativ war längst wieder aufgerichtet, nervöse Blicke wurden ausgetauscht, der Schuldige traute sich nicht, sich dazu zu bekennen.
»Valerie?«
»Keine Ahnung. Tut mir leid, ich weiß nicht, wer es war.«
Argwöhnisch schaute sie von einer Person zur anderen, auf der Suche nach verräterischer roter Gesichtsfarbe – alle waren rot im Gesicht vor Anspannung.
»Okay, das nächste Mal verlierst du deinen Job, wenn du nicht weißt, wer es war. Du bist meine Assistentin und es ist dein bekackter Job dafür zu sorgen, dass ich mich in Ruhe konzentrieren kann! Ist das klar?«
Sie nickte eifrig, froh mit einer Verwarnung davongekommen zu sein. Es mochte lächerlich erscheinen, aber wer es wagte, die berühmte Regisseurin Monica Catherow aus ihrer Konzentration zu reißen oder sie zu erschrecken, verlor in der Regel nicht nur seinen Job, sondern bekam eine halbstündige Standpauke mit auf den Weg zum Arbeitsamt.
Dabei war sie gar nicht so eine Furie wie ihr Ruf behauptete, sie litt lediglich unter Ligyrophobie – Angst vor lauten Geräuschen.
»Alles okay?«, fragte der Kameramann, als Monica wieder auf ihrer Position war.
»Ja, ja. Ich hasse es, wenn irgendwas knallt, ich muss mich in Ruhe konzentrieren können.« »Ich weiß.« Der Kameramann hatte bereits so viele Filme abgedreht, er hatte sich daran gewöhnt, dass die meisten Regisseure irgendeine seltsame Eigenart hatten, je berühmter desto schlimmer. Was er für sich behielt war, wie sonderbar er es fand, dass ausgerechnet sie, in deren Filme der Weltuntergang, Meteoriteneinschläge, Aliens und Monster für Krach und Lärm sorgten, so empfindlich auf ein bisschen Gepolter reagierte.
Tja, one woMans dream is another woMans nightmare und umgekehrt.
Aus einem (Alp)traum gerissen wurde sie um 4:19 Uhr. Das Vogelgezwitscher drang laut durchs gekippte Fenster und in ihre Nachtruhe, sodass Schlaf unmöglich wurde. Eine Weile blieb sie im Bett liegen, bevor sie sich erhob, die Vorhänge beiseite zog und hinausstarrte. Der Mond hing noch immer voll und rund am Himmel, bedroht von der Morgendämmerung, die nicht mehr weit sein konnte.
Seth befand sich gerade im Kampf mit der Schlange Apophis um den Sonnenaufgang zu sichern und den Tag zu retten – ein Schauspiel, welches sich Nacht für Nacht wiederholte.
Doch diese Nacht war anders, sie konnte es nicht wirklich benennen, es war mehr ein tiefsitzendes Gefühl. Die Vögel klangen falsch. Die Töne, die sie von sich gaben, waren eher ein Kreischen als Gesang, Aufbruch und Panik schienen in der Luft zu liegen.
Sie schloss das Fenster und setzte sich wieder aufs Bett. Ihre Augen geschlossen versuchte sie, das Schreien der Vögel einzusaugen und deren Panik zu fühlen.
Wasser schwappte über ihre Gedanken, sie konnte Salz riechen und schmecken. Weit entfernt sah sie eine hügelige Landschaft, auf die sie sich wankend zubewegte, obwohl sie saß. Sie fand sich, in einer Decke eingehüllt, auf einem kleinen Boot wieder, das mit ruckartigen Stößen angetrieben wurde. Vor ihr befanden sich sechs Schwerter, die mit der Spitze im Holz steckten und wie Friedhofskreuze aussahen. Hinter ihr stand ein Mann, der mit regelmäßigen Bewegungen einen Stab ins Wasser stach und damit das Boot antrieb. Sie kannte weder den Mann, noch das vor ihr liegende Land und in ihrem Magen machte sich ein mulmiges Gefühl breit. Offensichtlich war sie auf dem Weg zu etwas Neuem, auch wenn ihr das Ziel unbekannt war. Doch als Passagierin hatte sie darauf keinen Einfluss, alles, was sie tun konnte, war vertrauen und abwarten.
Als sie die Augen öffnete, umspielte ein Lächeln ihre Lippen, sie hatte die Szene erkannt. Die 6 Schwerter hatten in ihrer Vergangenheit noch nie etwas Schlechtes bedeutet, im Gegenteil. Alles, was sie tun musste, war loszulassen und sich auf eine neue Reise zu begeben. Sie ging zurück zum Fenster, der Mond verschwand gerade hinter den gegenüberliegenden Häusern, Seth hatte gewonnen. »Ich vertraue euch«, flüsterte sie den Vögeln zu, »Aber es wäre mir trotzdem lieber, ihr würdet nicht so einen Krach machen und mich schlafen lassen.«
Wieder im Bett kuschelte sie sich in ihre Bettdecke, bereit jemand anderen das Steuer übernehmen zu lassen.
Während sie meditierend auf dem Bett saß, konnte auch 1985 km entfernt an der nordenglischen Ostküste jemand nicht schlafen. Kundalini wandelte schlaftrunken, nur mit einem dünnen Nachthemdchen bekleidet, durch das kleine Örtchen Tynemouth. Der Wind blies eine leichte Salzwasserbrise durch die Straßen und der Mond kämpfte am Himmel verzweifelt gegen die Sonne und tauchte die Häuser in ein weiches, traumähnliches Licht.
Sie ging die menschenleere Front Street entlang, an der Kirche, die mittlerweile als Geschenkartikelladen genutzt wurde, und den zahlreichen kleinen Cafès, Pubs und Fish&Chips Ständen vorbei, Richtung Priory. Vögel lärmten am Himmel, Möwen flogen in großen Scharen in Kreisen und Spiralen. Je näher sie der Küste kam, desto bewusster wurden ihr die großen, dunklen Wolken, die bedrohlich vom Meer landeinwärts zogen – ein ungewöhnlicher Anblick, zogen doch normalerweise die Wolken aufs Meer hinaus.
Als sie am Ende der Straße angelangt war, verharrte sie einen Moment und starrte in die Ferne. Zu ihrer Rechten konnte sie die Leuchttürme von Tynemouth und South Shields erkennen, direkt vor ihr lag die Priory, ein zerstörtes Kloster, dessen Ruinen nach wie vor majestätisch auf dem Felsen thronten.
Sie ging links an der Priory vorbei und stieg die zahlreichen Steinstufen zum Strand hinunter. Obwohl die Sonne den Mond immer weiter verdrängte, verdunkelte sich der Himmel zusehends. Die leichte Brise verwandelte sich mit jedem Schritt, den sie dem Meer näher kam, mehr in einen scharfen Wind und die Wolken schienen die aggressive Stimmung der Vögel zu teilen. Während alles landeinwärts zu ziehen schien, ging das Meer den entgegengesetzten Weg und zog sich zurück. Ebbe.
Kundalini spürte den Sand unter ihren bloßen Füßen,