Erhard Heckmann

Kreation Vollblut – das Rennpferd eroberte die Welt


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zur englischen Tradition gehören, längst etabliert, und ihre Sieger sind die Elite unter Tausenden von Vollblütern. Den Anfang machte das „St. Ledger“ 1776 (2.900 Meter im September zu Doncaster); die „Oaks“ folgten Anfang Juni 1779 über 2.414 Meter zu Epsom wie das „Derby“, das ein Jahr später Premiere hatte. In den ersten vier Jahren führte es über eine Meile, danach war es die gleiche Distanz, die in den „Oaks“ zu laufen ist, eineinhalb Meilen. 1814 und 1809 wurden die „1000 und 2000 Guineas“ zu Newmarket eingeführt, die beide im April jeweils über eine Meile führen. Die „Oaks“ und die „1000 Guineas“ sind nur den Stuten offen, der Rest beiden Geschlechtern, wobei Stuten gegenüber Hengsten einen Gewichtsnachlass erhalten. Und eine alte englische Turfweisheit besagt, dass das „früheste“ Pferd die 2000 Guineas gewinnt, das Beste das St. Ledger und das glücklichste das Derby. Wem der Wurf 2000 Guineas, Derby und St. Ledger gelingt, der hat die seltene „Dreifache Krone“ gewonnen. In England war West Australian 1853 der erste Sieger der „Dreifachen“, und Nijinsky 1970 unter Lester Piggott der letzte der insgesamt 15 Vollblüter, denen das auf der Insel gelang. Amerika, das bis Ende 2016 auf 12 Sieger kam, startete 1919 mit Sir Barton, während Affirmed 1978 das vorletzte Pferd war, dem der amerikanische Durchmarsch im Kentucky Derby, den Preakness- und Belmont Stakes gelang, bevor das 2015 auch American Pharoah konnte. Seit 1875, als das Kentucky Derby vom Start kam – die Belmont- und Preakness Stakes wurden schon 1867 und 1873 etabliert – wollten bis inklusive 2015 4.180 Pferde diese „Dreifache“ gewinnen. 289 von ihnen konnten sich in einer, und 52 in zwei der drei Prüfungen durchsetzen. Als Pechvogel könnte man vielleicht Pillory bezeichnen, der 1922 gar keine Chance hatte, alle drei Rennen zu gewinnen, denn in jenem Jahr wurden Derby und die Preakness Stakes am gleichen Tag gelaufen. Eine Ausnahme war 1978 auch Alydar, der in allen drei Rennen als Zweiter von Affirmed um insgesamt zwei Längen geschlagen war. Dieser Raise A Native-Sohn, der von 26 Starts 14 gewann und zehn Plätze belegte, auf der Bahn eine knappe Million Dollar verdiente und 1990 bei den amerikanischen Vererbern an der Spitze stand, musste schon im gleichen Jahr wegen eines mysteriösen Beinbruches auf der berühmten Calumet Farm eingeschläfert werden.

      In Europa ist die „Dreifache“ in den letzten Jahren seltener geworden, weil der Steher nicht mehr die Rolle wie in früheren Jahren spielt und das frühreife Pferd bevorzugt wird. Und damit hat auch das St. Ledger nicht nur für den Züchter an Bedeutung verloren. Die meisten Pferde sind inzwischen auf bestimmte, kürzere Distanzen spezialisiert, und ein Derbysieger hat in unseren Tagen zusätzlich attraktivere und höher dotierte Möglichkeiten als das St. Ledger. So den Prix de l’Arc de Triomphe zu Paris, das Cox Plate in Australien, den Japan Cup, die Breeders Cup Rennen in den USA, das Dubai Welt Cup-Meeting, die Internationalen Rennen zu Hong Kong im Dezember und weitere Großereignisse. Wenn auch manche Renndaten, zu früh oder zu spät im Jahr, nicht so recht in das europäische Programm passen, so sind doch die Auswahlmöglichkeiten erheblich umfangreicher geworden als in jenen Tagen, als das St. Ledger neben dem Derby die Hauptrolle spielte. Der letzte Derbysieger, der die Dreifache Krone Englands gewinnen wollte, war der in Irland trainierte zweifache Derbysieger und Montjeu-Sohn Camelot, der 2012 als in fünf Rennen Ungeschlagener im Doncaster St. Ledger (500.000 Pfund) antrat, aber Encke, dem „Erzrivalen“ aus dem Godolphin-Stall, den Vortritt lassen musste. Und so bleibt der in Irland trainierte Kanadier Nijinsky der letzte „Europäer“, der die Englische Triple Crown 1970 gewinnen konnte. Bis er sie damals als Nächster gewann, waren 35 Jahre vergangen, doch musste Amerika noch 24 Monate länger warten, ehe es 2015 seinem American Pharoah als „jüngstem“ Triple Crown-Sieger wieder zujubeln konnte.

      Gewünschte Frühreife und die Bevorzugung der neuen Großereignisse führten auch dazu, dass das St. Ledger als ältestes klassisches Rennen in einigen Ländern an Attraktivität so viel verlor, dass es dort schon vor mehreren Jahren auch für ältere Pferde geöffnet wurde, denn der Stehertyp ist längst vom Mitteldistanz-Pferd verdrängt, womit dieses Rennen auch seine ursprüngliche Aufgabe als Härtetest für den Derbyjahrgang verloren hat.

      In England war es ganz besonders Sir Charles Bunbury, der als erster Chef des Jockey Clubs diesen „kultivierte“ und verantwortlich war für die Änderungen, die den britischen Rennsport revolutionierten. Auf ihn gehen auch die Oaks und das Derby zurück, denn beide entstanden nach Diskussionen beim Dinner in seinem Epsom-Haus „Oaks“ mit dem 12. Earl of Derby. Als der Name mit einem Münzwurf für letzteres gesucht wurde, gewann zwar der Earl, doch der erste Derby-Sieger, Diomed, kam aus der Zucht und dem Besitz von Sir Charles Bunburry. Dessen Stute Eleanor, deren Vater Whiskey ein Eclipse-Enkel war, wurde 1801 auch die erste Stute, der das Doppl Derby und Oaks gelang. 1804 schlug sie an Quiz (Buzzard) den St. Ledger-Sieger von 1801, der ebenfalls ein sehr gutes Rennpferd war, jedoch keine 29 Rennen gewann wie Sir Charles Bunburys Stute, die bis siebenjährig im Training war. Blink Bonny (1854; Melbourne), Signotinetta (1905; Chaleureux) und Fifinella (1913; Polymelus) gewannen nach ihr jenes Doppel ebenfalls. Letztere gewann ihr Kriegs-Derby zu Newmarket, bei dem Jockey J. Childs mit dieser äußerst launischen Diva zunächst erhebliche Schwierigkeiten hatte, ehe sie urplötzlich mit vernichtendem Speed gewann. Zwei Tage später in den Oaks war sie brav wie ein Lamm und gewann mit überlegener Leichtigkeit. Nach acht Starts und vier Siegen hatte die Dame am Rennen kein Interesse mehr, ging in die Zucht und gab nur ihrem Sohn von Hurry On, Press Gang (1927), der später nach Russland exportiert wurde, etwas von ihrem Können mit. Signorinettas Züchter und Besitzer war der in Newmarket lebende Italiener E. Ginistrelli, der die Chaleureux-Tochter aus der St. Simon-Stute Signorina „erhielt“, denn sie soll das Produkt einer Romanze ihrer Mutter mit dem sehr guten Handicapper gewesen sein. Das Derby gewann sie unter William Bullock als 100:1-Chance, zwei Tage später gab es in den Oaks nur noch dreifaches Geld auf ihren Sieg. Anschließend waren, wie auch im St. Ledger, weitere Bemühungen erfolglos, und im Gestüt hatte sie an The Winter Kings (1918; Son-in-Law) auch nur einen guten Sohn. Blink Bonny, die bereits als Zweijährige sieben von elf Rennen, und insgesamt 14 von 20 gewann, war ein großartiges Rennpferd. Sie gewann das Derby nach Kampf mit einem Hals, die Oaks zwei Tage später leicht und war, nach drei weiteren Siegen, der Favorit für das St. Ledger, in dem sie allerdings um den Sieg betrogen worden sein soll. Ihr Besitzer wurde zwar vorher gewarnt, doch glaubte er an das Gute im Menschen und beließ seinen Jockey Charlton auf der Stute. Die Loyalität von Mr. W. I’Anson wurde jedoch missbraucht und die Stute im Rennen „gepullt“. Unmittelbar nach dieser Tragödie gewann sie die Park Hill Stakes zu Doncaster. Zum Vorfall berichtet Roger Mortimer in seinem Buch „The History of The Derby Stakes“, dass der Drahtzieher zu diesem Betrug ein damals führender Buchmacher namens John Jackson gewesen sein soll, der für die Manipulation der Jockeys bekannt war und früh verstarb. Von Strafmaßnahmen wird nichts berichtet, doch hatte der Besitzer von Blink Bonny mit diesem Betrug nichts zu tun. In der Zucht fohlte die Derbysiegerin, die bereits 1862 starb, Blair Athol (Stockwell), der 1864 in den gleichen Farben, die seine Mutter zum Sieg trug, selbst zu Derbyehren kam. Im Gestüt stand dieser Hengst zwischen 1822 und 1877 viermal an der Spitze der englisch-irischen Stallions. Nachdem sein Sohn Silvio 1877 Derby und St. Ledger gewonnen hatte und seine Decktaxe von 100 auf 200 Guineas stieg, wurde er von den Züchtern boykottiert. Daran konnte auch eine spätere Senkung auf 75 Guineas nichts mehr ändern. 1882 starb der Sohn der großen Rennstute Blink Bonny.

       (Foto: Courtesy of Claiborne Farm)

      Eleanor, die sieben Rennzeiten auf der Bahn verbrachte, wurde dennoch in der Zucht erfolg- und einflussreich. Nach Orville, der die Eclipse-Hengstlinie vertrat, fohlte die Whiskey-Tochter 1810 Muley, der 1830 Vater von Marpessa wurde, deren mütterlicher Vater Marmion ein Whiskey-Sohn war. Und Marpessa fohlte 1837 die unvergleichliche Glencoe-Stute Pocahontas, die das Licht der Welt im Royal Stud zu Hampton Court erblickte, und eine der einflussreichsten Mutterstuten in der Geschichte der Vollblutzucht wurde. Unter ihren 15 Fohlen befand sich neben den guten Hengsten Rataplan (1850; The Baron), der von 82 Rennen 47 gewann, und dem ein Jahr jüngeren King Tom (Harkaway) auch Stockwell (1842; The Baron). Und dieser gewann nicht nur elf Rennen, sondern stand innerhalb von 14 Jahren auch siebenmal an der Spitze der Stallions und belegte noch viermal den Ehrenrang. Und er zeugte die Sieger von 17 klassischen Rennen, darunter sechs, die das St. Ledger gewannen; drei Derbysieger, vier setzten sich in den 2000 Guineas durch und eine Siegerin weniger in den 1000 Guineas. Dazu kamen noch eine Oaks-Siegerin