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Die Mainzer Republik und ihre Bedeutung für die parlamentarische Demokratie in Deutschland


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der Zwang eine größere Akzeptanz der den Bewohnern erstmals eröffneten Möglichkeit, ihre Regierung selbst zu wählen. Die Nichtwähler dokumentierten durch ihr Fernbleiben ihre Opposition. Doch das war nicht entscheidend. Ein Quorum gab es nicht (wie übrigens auch heute nicht). Als ob die Konventskommissare das Ergebnis geahnt hätten, hatten sie wenige Tage vor der Wahl erklärt, dass „diejenigen, die nicht wählen […] ihre Rechte auf diejenigen übertragen, die bei den Wahlen erscheinen. Die Zahl der Wählenden mag also noch so klein sein, so ist sie immer gültig, wenn sie in der vorgeschriebenen Form vorgenommen werden“.58 Trotz der nur schwachen demokratischen Basis wurde das Ergebnis der Wahlen in den folgenden Wochen konsequent umgesetzt. Am 3. März übernahm die neue, erstmals gewählte Munizipalität die Amtsgeschäfte. Am 17. März traten dann die in Mainz und in den anderen 147 linksrheinischen Gemeinden gewählten Abgeordneten im Deutschhaus zum Rheinischdeutschen Nationalkonvent zusammen. Zu seinen ersten Handlungen gehörte ein Tag später das Dekret, dass von nun an „der ganze Strich Landes von Landau bis Bingen […] einen freyen, unabhängigen, unzertrennlichen Staat ausmachen“ sollte und dass der „einzige rechtmäßige Souverain dieses Staats, nämlich das freie Volk […] allen Zusammenhang mit dem deutschen Kaiser und Reiche“ aufkündigte.59

      Die Zwangsmaßnahmen, die die Wahlen begleiteten und ein Hauptgrund für die Gewaltexzesse Mainzer Bürger waren, die sich nach der Wiedereroberung der Stadt an den Jakobinern entluden,60 verdunkelten, dass hier erstmals etwas ganz Neues stattgefunden hatte. Den Enthusiasmus der Wenigen, die von ihren staatsbürgerlichen Rechten Gebrauch machten, kann man noch in dem Protokoll über die Wahl des Zinngießers und ehemaligen kurfürstlichen Stadthauptmanns Johann Martin Eckel zum Abgeordneten des Mainzer Nationalkonvents spüren. Eckel, der dem Wahlvorstand in der Sektion C präsidierte, war selbst als Kandidat vorgeschlagen worden und hatte dort zusammen mit dem Jakobiner Felix Anton Blau die meisten Stimmen auf sich vereinigt, jedoch keine absolute Mehrheit erlangt. Erst in der Stichwahl fiel die Entscheidung zu seinen Gunsten,61 und zwar „zur allgemeinen Freude“, die sich „durch Händeklatschen und Leuten der Glocken“ ausdrückte. Das Protokoll vermerkte weiter: „dem alten biederen 81järigen Greisen stunden die Tränen in den Augen, gerürt von dem Zutrauen, das seine Mitbürger in ihn setzten. Man wünschte ihm Glück, und er versprach den Rest seiner Kräfte zum allgemeinen Wohl anzuwenden. Und so schieden die Bürger, die zum ersten Mal ihre Volkssouvrenitaet ausgeübt, von einander“.62

       Resümee

      Die ausgewählten Beispiele offenbaren den unter vielen Aspekten „unfertigen“ Charakter der Mainzer Republik. So sind die Verwaltungsstrukturen von einem überraschenden, sich auch im Siegelgebrauch niederschlagenden Fortbestehen eines Teils der alten, d. h. aus kurfürstlicher Zeit stammenden Behördenorganisation gekennzeichnet und unterstützen Franz Dumonts These von einer zunächst offenen, eher liberalen Phase der Mainzer Republik.63 Von den inneren Widersprüchen der von der Idee der Volkssouveränität überzeugten Mainzer Demokaten zeugen dagegen die Quellenverluste in der Überlieferung des Mainzer Jakobinerklubs: Sie sind ein Spiegel der Kontroversen um den richtigen Weg bei der Einführung der neuen Staatsform. Nicht zuletzt die Details der Durchführung der Wahlen im Februar 1793 verdeutlichen aber in nuce, dass es sich bei der Mainzer Republik um ein Experiment handelte, das nicht an den Maßstäben eines modernen Demokratieverständnisses und etablierter, vielfach erprobter Verfahren gemessen werden kann.

      1 Scheel 1975; ders. 1981b.

      2 Die Zahlen nach Reichardt 2008, hier: Sp. 1117. Einen Überblick bietet der Katalogband von Behrens 1993.

      3 Nau 1794.

      4 Hoffmann, 1793/94.

      5 Vgl. Dumont 1993d, S. 147f.

      6 Stadtarchiv Mainz, 11/71–73, ediert von Scheel (wie Anm. 1).

      7 Staatsarchiv Würzburg, MRA V Klubbistenakten 203/II.

      8 Z. B. die von 89 Abgeordneten des Rheinischdeutschen Nationalkonvents unterzeichnete Reunionsadresse vom 25. März 1793. Siehe zur Reunionsadresse Franz Dumont 1993b sowie ebenda den Überblick über die ungedruckten Quellen S. 507–510. Die dort aufgeführten, im Zweiten Weltkrieg ausgelagerten Bestände des Stadtarchivs Mainz im Archivdepot des Zentralen Staatsarchivs Potsdam in Lübben sind 1987 von der DDR an Mainz zurückgegeben worden.

      9 Georg Forsters Werke. Sämtliche Schriften, Tagebücher, Briefe, hg. v. d. Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Institut für Deutsche Sprache und Literatur (ab 1974: Akademie der Wissenschaften der DDR. Zentralinstitut für Literaturgeschichte, ab 2003: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften), Bd. 1ff., Berlin 1958ff., hier: Bd. 17: Briefe 1792 bis 1794 und Nachträge, bearb. v. Klaus-Georg Popp, Berlin 1989.

      10 Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar, GSA 96/3131; „Meine Erfahrungen in dem gegenwärtigen Kriege“. Tagebuch des Feldzugs mit Herzog Carl August von Weimar, hg. v. Edith Zehm, Göttingen 2018 (Schriften der Goethe-Gesellschaft 78).

      11 Johann Wolfgang von Goethe: Poetische Werke, Band 10. Edition Phaidon, Essen 1999, S. 153–275.

      12 Siehe hierzu den Beitrag von Matthias Schnettger in diesem Band. Zur Einordnung der Ereignisse siehe die grundlegende Monografie von Dumont 1993b, zu einzelnen Personen die von Franz Dumont verfassten Skizzen in: Reinalter, Helmut (Hg.): Biographisches Lexikon zur Geschichte der demokratischen und liberalen Bewegungen in Mitteleuropa Bd. 1 (1770–1800) (Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle „Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770–1850“ Bd. 7), Frankfurt a. M. [u.a.] 1992.

      13 Stadtarchiv Mainz, 70/11543.

      14 Vgl. Strecker 1913/14, S. 118.

      15 Stadtarchiv Mainz, U / 1772 November 29.

      16 Ungenau ist Reichardt 2008, hier: S. 34 (mit Abb. 23), wenn er schreibt, die Allegorie von Freiheit und Gleichheit in Gestalt einer antik gewandeten Frauengestalt „verdrängte […] in der Mainzer Republik das traditionelle Rad mit dem Kurhut“.

      17 Scheel I 1975, S. 56.

      18 Zur Munizipalität und deren Leistungen während der Mainzer Republik siehe Dumont 1982.

      19 Zu ihm siehe die Biografie von Uhlig 2004.

      20 Die Mainzische Finanzkammer an ihre Mitbürger durch ihr Organ, den Finanzkammerrath [Adolf Joseph] Molitor, Mainz: Wailandt 1793, bes. S. 27f.

      21 Vgl. Scheel 1981b, S. 563–567.

      22 Staatsarchiv Würzburg, MRA V Klubbisten 140, fol. 84r: zit. n. Dumont 1993b, S. 243 Anm. 200.

      23 Scheel 1975, S. 261.

      24 Ebd., S. 404. Siehe auch Dumont 1993b, S. 283.

      25 Dumont 1993b, S. 296.

      26 Vgl. Scheel 1975, S. 150. Siehe hierzu Neugebauer-Wölk 1993.

      27 Scheel 1975, S. 221 (aus Forsters am 15. November 1792 im Jakobinerklub gehaltenen und im Druck erschienenen Rede „Über das Verhältnis der Mainzer gegen die Franken“).

      28 Ebd., S. 150.

      29 So Mathias Metternich im Bürgerfreund, 6. Stück, vom 13. November 1792 (Stadtbibliothek Mainz, 66: 4° / 17).

      30 Vgl. Dumont 1993b, S. 202.

      31 Vgl. Scheel 1975, S. 364 Anm. i.

      32 Vgl. Dumont 1993b, S. 202.

      33 Georg Forster, Darstellung der Revolution in Mainz, in: Forsters Werke (wie Anm. 9), Bd. 10/1: Revolutionsschriften 1792/93. Reden, administrative Schriftstücke, Zeitungsartikel, politische und diplomatische Korrespondenz, Aufsätze, bearb. v. Klaus-Georg Popp, Berlin 1990, S. 556–559, hier: S. 557. Siehe auch Jürgen Goldstein 2016, S. 193.

      34 Vgl. Scheel 1975, S. 364 Anm. i.

      35 Ebd., S. 260 Anm. f.

      36 Ebd. S. 365 Anm. i; Reuters Rechtfertigungsschrift abgedruckt in Hoffmann 1793/94, S. 423–425.

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