Udo Hermann

Von nichts kommt niemand


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einmal bei 22,7 %. Hier steckt echtes Potenzial!

      Frauen im Handwerk | Foto: Udo Herrmann

      Die Industrie hat das längst erkannt. „Wir brauchen Nachwuchs mit Leidenschaft für Technik. Hier zählen wir verstärkt auf Mädchen, denn sie haben genauso viel Talent dafür wie Jungen.“ So die Aussage von Dietmar Omert, Leiter des Audi-Bildungswesens (www.audi.com/​karriere). Im Rahmen einer bayernweiten Initiative des Bildungswerkes der Bayerischen Wirtschaft e. V. (bbw) wird am Standort Ingolstadt ein Technik-Camp speziell für Mädchen veranstaltet. An fünf Tagen bauen sie unter Anleitung von Trainern und Auszubildenden ein Audi-A4-Modell inklusive Motor, Beleuchtung, Felgen und Bereifung. Teamspiele, Kommunikationstraining und ein vielseitiges Rahmenprogramm runden das Camp ab. Früh bindet Audi so den weiblichen Nachwuchs an das Unternehmen, der während der Woche in die Berufsbilder beispielsweise von Elektronikerin und Mechatronikerin hineinschnuppern kann. 14 weitere Unternehmen beteiligten sich 2012 ebenfalls an der Initiative „Mädchen für Technik-Camp“. Unterstützt wird das von der bayerischen Metall- und Elektroindustrie sowie dem bayerischen Staatsministerium. Audi beteiligt sich bereits seit dem Jahr 2001 an der Maßnahme und bringt damit die Vielfalt technischer Berufe den Mädchen näher. Für einige rückt dann das Berufsfeld tatsächlich in die engere Wahl. Ich finde, das ist ein tolles Modell, um junge Frauen für das Handwerk zu begeistern. Handwerkskammern, Fachverbände oder Kommunen wären aus meiner Sicht geeignet, um gemeinsam mit Handwerksunternehmen so ein Projekt regional für die verschiedenen Handwerksgewerke auf die Beine zu stellen.

      Praxistipp

      Veranstalte ein Werkstatttag nur für Mädchen. Bereite eine Übungsaufgabe vor, mit dem Schwerpunkt Gestaltung und Dekoration.

      Beispiel: Schlosserei – Skulptur schweißen; Raumausstatter – Materialkollage für eine Raumgestaltung anfertigen; Bäckerei/​Konditor – Torte für einen Geburtstag verzieren

      Ich liebe es zu reisen, andere Kulturen und fremde Menschen kennenzulernen. Die kulturelle Vielfalt in Deutschland finde ich bereichernd. Ich kann es nicht verstehen, wie manche über Migranten schimpfen und gleichzeitig überlegen, ob man zum Chinesen oder in die Pizzeria essen geht. Derzeit leben etwa 16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in unserem Land. Fast jedes 3. Kind unter 15 Jahren hat statistisch gesehen ausländische Wurzeln (IHK Unternehmensbarometer 2012, www.dihk.de). Wenn der Begriff Zuwanderer fällt, denken viele an die Gastarbeiter, die in den 60er- und 70er-Jahren einfache Arbeiterjobs in Deutschland übernahmen. Eine Studie des Deutschen Instituts der Wirtschaft belegt, dass fast 30 % der Menschen, die in den vergangenen 10 Jahren nach Deutschland gekommen sind, einen Hochschulabschluss haben. Etwa die Hälfte aller Fußballprofis in der Bundesliga sind Sportler aus dem Ausland. Einige der Spieler mit Migrationshintergrund sind fester Bestandteil unserer Nationalmannschaft. Auch im Handwerk muss es uns gelingen, aus Inländern und Menschen mit Migrationshintergrund ein erfolgreiches Team zu formen. Wenn das im Sport geht, warum nicht auch im Handwerk? Ich denke, viele der zu uns kommenden Immigranten bringen schon eine gute praktische Qualifikation mit. Arbeitsweisen, Techniken und Umgang mit speziellen Werkzeugen können im Betrieb oder bei externen Weiterbildungen vermittelt werden. Auch fachtheoretisches Wissen, das meiner Meinung nach in dem dualen Ausbildungssystem in Deutschland sehr gut vermittelt wird, kann nachgelernt werden. Grundvoraussetzung dafür ist natürlich eine gute Kommunikationsmöglichkeit. Das Erlernen der deutschen Sprache ist deshalb Grundvoraussetzung für ein verständnisvolles Miteinander. Ich denke, viel schwieriger für die Menschen aus anderen Ländern wird es sein, sich unserer Kultur und den im Ausland vielgeschätzten deutschen Tugenden anzupassen.

      Zu diesem Thema stelle ich folgende Denkanstöße als Diskussionsgrundlage in den Raum:

       Die Bauqualität in Deutschland hat im Vergleich zu vielen anderen Ländern einen extrem hohen Standard erreicht. Mir fallen im Ausland häufig schlecht ausgeführte Handwerksarbeiten, z. B. in Hotelzimmern, auf. Ich denke hier u. a. an schlampig ausgeführte Silikonfugen in den Bädern. Wie wird es den Migranten gelingen, mit der hohen Erwartung der deutschen Bauherren umzugehen?

       Die bürokratischen Anforderungen an das deutsche Handwerk sind in den letzten Jahren enorm gestiegen. Auf Baustellen müssen Tagebücher geschrieben werden, exakte Aufmaße erstellt werden, nachvollziehbare Regieberichte, in denen Arbeits- und Pausenzeiten dokumentiert sind, Abnahmen der Leistungen durchgeführt und protokolliert werden usw. Meine deutschstämmigen Mitarbeiter haben große Mühe, den gestiegenen Anforderungen an eine Fachkraft im Handwerk gerecht zu werden. Wie gelingt das mitarbeitenden Kollegen mit Migrationshintergrund? Können sie für diesen Aufwand, den wir in Deutschland mittlerweile treiben, überhaupt Verständnis aufbringen? Aus der Erfahrung aus meinem eigenen Betrieb weiß ich, dass es ihnen sehr schwerfällt.

      Ich bin zuversichtlich, dass sich Herausforderungen dieser Art bewältigen lassen. Das Handwerk wird das aber nicht alleine leisten können. Hier muss von politischer Seite umfangreiche und praxistaugliche Unterstützung kommen. Sprachkurse, Praxistrainings, Verhaltensschule, Kulturworkshops „So ticken deutsche Kunden“, Kurse über Baurecht usw. müssten speziell für Handwerkernachwuchs aus dem Ausland konzipiert und flächendeckend dem Handwerk zugänglich sein.

      Praxistipp

      Biete parallel zur Ausbildung einen Sprachkurs an, dessen Kosten von deinem Betrieb übernommen werden. So werden junge Menschen mit Migrationshintergrund auf die Unternehmen aufmerksam.

      Kampagne "Angekommen. Angenommen"| Anzeige: Holzmann Medien

      Kürzlich habe ich ein humorvolles Gespräch mit einem Rechtsanwalt geführt, der zuvor eine kurze Schulung über Arbeitsrecht für Handwerker gegeben hat. Er sagte scherzhaft: „Eigentlich muss ein Mitarbeiter im Rentenalter nicht in Rente gehen, wenn er nicht will. Denn die älteren Fachkräfte bei uns haben meistens keinen befristeten Arbeitsvertrag, der automatisch mit Eintritt ins Rentenalter endet. Die müssen dann schon freiwillig gehen.“

      Da sind wir gleich bei der nächsten Zielgruppe, den erfahrenen und bewährten Mitarbeitern im Handwerk. Ich finde, es wäre bereichernd, wenn wir im Handwerk einen Weg finden, Berufs- und Lebenserfahrung länger in unseren Betrieben zu halten, sodass es für alle erfüllend und lukrativ ist. Es gibt genügend Fachkräfte im Handwerk, die gesundheitlich fit sind und das Gefühl haben, gebraucht zu werden. Der ehemalige Berufsschullehrer an unserer örtlichen Berufsschule für die Fachrichtung Holz ist vor zwei Jahren in Rente gegangen. Seitdem ist er für einige Stunden in einem großen Schreinereibetrieb in der Region beschäftigt und gibt Kenntnisse und Methoden an die dortigen Auszubildenden in der Lehrwerkstatt weiter. Mein Vater wird 2015 75 Jahre alt. Auch ihm bereitet es große Freude, ab und zu in unsere Werkstatt zu kommen und hier den Auszubildenden Handgriffe, Kniffe und Tricks beizubringen, die er „aus dem Effeff“ beherrscht. Mit Sicherheit ist das ein Grund, warum unsere Auszubildenden stets zu den Besten des Jahrgangs gehören.

      Das Handwerk tut gut daran, ältere Facharbeiter und Meister nicht aufs Abstellgleis zu schieben, sondern ihr Know-how dem Handwerkernachwuchs weiterzugeben. Bewährte Mitarbeiter durch verschiedene Beschäftigungsmodelle länger in der Firma zu halten ist eine einfachere Aufgabe, als einen Zugang zu fremden Nachwuchstalenten zu finden.

      Praxistipp

      Gib einem Rentner mit Erfahrung in deinem Berufszweig die Aufgabe, z. B. 3 Tage im Monat bewährte Techniken an junge Mitarbeiter weiterzugeben. Jung und Alt, aber auch dein Unternehmen profitieren davon.

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