Phil Callaway

Was macht das Stinktier im Kofferraum?


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halb zwei nachts wachte Christopher auf und wollte den Fernseher ausschalten. Da entdeckte er, dass der Teppich sich bewegte. Wenn Sie gelegentlich mal in einem Hotel übernachten, dann wissen Sie, dass das kein gutes Zeichen ist. Es stellte sich heraus, dass der Teppich eine lebendige, drei Meter lange Königsboa war, die, soweit Christopher wusste, nicht in der Werbebroschüre des Hotels aufgeführt war.

      Er hatte drei Möglichkeiten:

      1. Er konnte seine Frau aufwecken und sie bitten, ihm seine Hausschuhe zu holen, die im Bad waren.

      2. Er konnte versuchen, wieder einzuschlafen.

      3. Er konnte das Hotelzimmer früher als geplant verlassen.

      Die Familie entschied sich für die dritte Möglichkeit, ohne dabei noch einmal unter dem Bett nachzusehen, ob sie auch nichts vergessen hatten. Dann riefen sie die Polizei. Die Schlange konnte in die Enge getrieben und in einen großen Mülleimer bugsiert werden. Aber erst nachdem die Smiths, ebenfalls in die Enge getrieben, die Nacht im nächsten Seven-Eleven-Laden verbracht hatten. Sie beschrieben es als »grausame Qual« (was ich nicht bestreiten will), gingen in therapeutische Behandlung und verklagten den Mutterkonzern des Hotels auf 1,5 Millionen Dollar wegen »Fahrlässigkeit und vorsätzlicher seelischer Grausamkeit«.

      Ich muss zugeben, dass ich genauso wenig von Reptilien begeistert bin wie die Smiths. In der dritten Klasse habe ich einmal zugesehen, wie ein Freund Mrs. Hill einen Salamander in die Bluse gesteckt hat. (Wenn Sie das lesen, Mrs. Hill, dann hoffe ich, dass Sie sich auch an meine besseren Seiten erinnern und keine rechtlichen Schritte einleiten werden.) Aber anfassen wollte ich den Salamander nicht. Ich war nur der Anstifter. Aber der beste Streich, an dem ich je beteiligt war, war, als mein Freund Bobby und ich es schafften, ein Stinktier in den Kofferraum des Autos von unserem Nachbarn zu stecken.

      Wenn Sie vorhaben, sich selbst einmal dieses Vergnügen zu gönnen, sind drei Dinge äußerst wichtig:

      1. Ein Stinktier (am besten ein totes),

      2. die Autoschlüssel, die im Zündschloss des Autos stecken sollten,

      3. und völlige Dunkelheit.

      Damals, in der dritten Klasse, war Mr. Finney unser Sonntagsschullehrer, und er war der schreckhafteste Mensch, an den ich mich je von hinten angeschlichen und laut geniest habe. Er konnte auch sehr gut Akkordeon spielen, und er hatte einen Piepser – was ich für etwas übertrieben hielt bei einem Akkordeonspieler.

      Samstags polierte Mr. Finney immer seinen alten Ford Fairlane, bis man die Initialen, die die Nachbarskinder auf die Motorhaube geritzt hatten, kaum noch sehen konnte. Mr. Finney war ein seltsamer Mensch. Er polierte so ziemlich alles, was ihm wichtig war, und er war so korrekt gekleidet, dass man nicht einmal einen verrutschten Manschettenknopf an ihm finden konnte.

      Was wir nicht wussten, war, dass die Familie Finney am nächsten Tag in Urlaub fahren wollte. Mr. und Mrs. Finney mit ihren Kindern Joshua und Josiah hatten alles sorgfältig vorbereitet und gepackt, was sie für einen friedlichen Urlaub, weit weg von allen Sorgen unserer Kleinstadt, brauchen würden.

      Als sie schliefen, legten Bobby und ich das Stinktier an seine letzte Ruhestätte, schlossen vorsichtig wieder den Kofferraumdeckel, steckten die Autoschlüssel wieder ins Zündschloss und schlichen uns auf Zehenspitzen wieder nach Hause mit Ausreden, um den Gestank zu erklären.

      Wenn man jung ist, fängt der Tag noch früh an, und so waren wir rechtzeitig hellwach, um uns zu den Finneys zu schleichen und hinter einer Fichte zu verstecken. Es dauerte nicht lange, da kamen die ahnungslosen Finneys mit erwartungsvollen Gesichtern heraus, gingen zum Gartentor und stiegen in ihren Fairlane.

      Was dann geschah, werde ich niemals vergessen.

      Mr. Finney drehte den Zündschlüssel um und ließ den Motor aufheulen. Dann legte er den Rückwärtsgang ein. Nachdem er scharf gewendet hatte und etwa zehn Meter auf dem Schotter gefahren war, brachte er das Auto mit quietschenden Reifen zum Stehen, sodass die Steine in alle Richtungen spritzten. Im Wagen starrte Mr. Finney seine Frau mit gerunzelter Stirn an. Dann drehte er sich um und starrte seine Kinder vorwurfsvoll an. Schließlich stieß er die Autotür auf und schnüffelte herum. Als er den Autoschlüssel in das Kofferraumschloss steckte, hatte er einen Verdacht. Als er den Kofferraum öffnete, bestätigte er sich. Wie auch immer er es bisher geschafft hatte, nie die Fassung zu verlieren – jetzt funktionierte es nicht mehr. Er knallte den Kofferraum zu, stand mit geballten Fäusten da, trat gegen die Stoßstange, und die Ausdrücke, die er gebrauchte, waren so intensiv wie das Blau seines Autos. Bobby und ich beobachteten das Ganze von unserem Versteck hinter der Fichte und wussten nicht, ob wir lachen oder weinen sollten. Oder ob wir es unseren Müttern gestehen sollten.

      Einige Zeit später erfuhr ich, dass die Finneys umzogen, aber niemand wusste so recht, warum.

      Niemand außer Bobby und mir.

      Was Mr. Finney, Mrs. Hill und die Smiths in diesen unvergesslichen Augenblicken entdeckten, das erfährt jeder Mensch auf seinem Lebensweg früher oder später. Manchmal kann man dem Zimmerservice nicht trauen, manchmal wird das Leben schlüpfrig, und manchmal stinkt es uns.

      In den darauf folgenden Jahren habe ich gelernt, dass jeder Einzelne einmal an einen Punkt im Leben kommt, wo er ein Stinktier im Kofferraum entdeckt – irgendetwas kommt in unser Leben, das wir uns definitiv nicht ausgesucht hätten.

      Aber warum knallen die einen den Kofferraum zu, treten gegen die Stoßstange und fluchen, während die anderen irgendwie doch noch etwas Lustiges daran entdecken können – wenn auch vielleicht erst Jahre später?

      Der erste Schritt ist ganz bestimmt die bewusste Entscheidung für die richtige Einstellung. Zur richtigen Einstellung gehören auch immer die richtigen moralischen Entscheidungen.

      Knapp ein Jahr, nachdem Ramonas Anfälle begonnen hatten, nahm ich eines Morgens auf dem Weg zur Arbeit die Zeitung mit. Sofort rief ich zu Hause an und las ihr von der Titelseite vor: »Nach einem Jahrzehnt Forschung wurde jetzt das Chorea-Huntington-Gen entdeckt. Die Hoffnungen auf eine Therapie für die tödlich verlaufende neurologische Erkrankung steigen.« Ramona hielt den Atem an.

      Chorea Huntington tritt in einer von mehreren Tausend Familien auf. Wir sind eine davon.

      Mit 39 Jahren kam Ramonas ältester Bruder, Dennis, in ein Pflegeheim. Sein gewinnendes Lächeln und sein herzlicher Humor waren nur noch Erinnerungen aus früheren Tagen. Zwei ihrer Schwestern hatten nun ebenfalls diese gefürchtete Krankheit. Obwohl die Krankheit bei Ramona noch nicht diagnostiziert worden war, war sie sich sicher, dass sie die Nächste sein würde.

      Als die Krampfanfälle sich häuften, standen wir vor der schwierigen Frage, ob sie den Test machen lassen sollte oder nicht. Eines Tages saß mir ein weiser Arzt gegenüber, der mir von seinen eigenen Problemen erzählte. Seine Frau wurde vom Krebs zerfressen. Er hatte die Diagnose selbst gestellt. »Phil«, sagte er, und hatte Tränen in den Augen, »als meine schlimmsten Befürchtungen sich bestätigten, stand ich vor einer ganz einfachen aber sehr weitreichenden Entscheidung. Weglaufen – oder es durchstehen. Diese Entscheidung musst du auch treffen. Ich habe schon viele Menschen beraten, die Ähnliches durchgemacht haben wie du. Für die meisten heißt das Ende ›Scheidung‹ und dann Depression und Untergang. Phil … mach das nicht.«

      »Einen Baum kann man am besten beurteilen, wenn er gefällt ist«, meinte er. Das waren kluge Worte.

      Am nächsten Tag saß ich mit einem Freund in einem Café, und wir machten Witze. Als die Sonne durch die Wolken drang und auf unseren Tisch schien, fragte mein Freund: »Dass du bei all dem noch lachen kannst. Wie machst du das?«

      Ich nippte nachdenklich an meiner Cola. »Ich weiß auch nicht recht«, erwiderte ich. »Vielleicht sind das die Medikamente.«

      Er lachte.

      »Ich glaube, ich begreife allmählich, dass ich den Wind nicht bestimmen kann, aber ich kann meine Segel richtig setzen«, sagte ich. »Manche Menschen leben so, als hätten sie Limburger Käse an den Lippen – ihnen stinkt alles. Ich lerne gerade, den Käse von den Lippen zu wischen. Ich gewöhne mir eine andere Einstellung an.«

      Als