Dominique Manotti

Das schwarze Korps


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nicht. Es herrscht eine gewisse Flaute … Champagner, Herr Präsident?«

      »Gern.«

      Dora füllt zwei Gläser. Sie gehen ein paar Schritte im Garten, Dora spricht über ihre Blumen. Erneutes Klingeln. Deslauriers, der wie immer gelangweilt wirkt. Laval und er geben sich reserviert die Hand. Dora lässt sie allein auf der Terrasse stehen, nebeneinander, dem Garten zugewandt, und macht sich im Esszimmer zu schaffen, überprüft den gedeckten Tisch, füllt das Wasser in den Vasen auf, richtet eine Blume. Hin und wieder wirft sie einen Blick zu den beiden Männern, Deslauriers, groß, breit, aufrecht, und der kleinere Laval, leicht gebeugt, vorgereckter Kopf.

      »Vor zwei oder drei Tagen wurde Monsieur Benezet verhaftet.« Deslauriers verzieht keine Miene. »Einer meiner allerbesten Freunde.« Immer noch keine Reaktion. »Ich bin hier, um Sie zu bitten, Ihr Möglichstes zu tun, damit er freigelassen wird.«

      »Warum wenden Sie sich an mich? Wir kennen uns doch kaum …«

      »Bei den französischen Polizeibehörden weiß niemand, wo er gefangen gehalten wird.« Ein Moment vergeht. »Ich habe Henri Lafont davon erzählt …«

      Rückblende: Laval und Lafont, der Regierungschef und der Gestapomann, essen gemeinsam, duzen sich, sind dicke Freunde, Spießgesellen, Komplizen. Eine Falle?

      »Der Lafont, mit dem Sie befreundet sind.«

      »Genau. Und er hat mir geraten, Sie aufzusuchen. Er meint, nur Sie wüssten, wo sich Benezet befindet. Ich bin zu einem Handel bereit.«

      Konstatiere: Der große Lafont, der glaubte, über Paris zu herrschen, hat die Lage immer weniger im Griff. War klug, Benezet vorsorglich unter falschem Namen einzusperren. Jetzt, mit Loiseaus Bericht, hat Bauer freie Hand. Du wirst zahlen, du armseliges Würstchen.

      »Fünf Millionen.«

      Laval zuckt zusammen. »Das ist eine … enorme Summe. Ich dachte, dass unter Franzosen …«

      Deslauriers, nunmehr belustigt: »Mal im Ernst, Herr Präsident. Ihr Freund hat einen amerikanischen Offizier in seiner Wohnung versteckt. Das ist in Zeiten wie diesen sehr kompromittierend. Ich habe Hauptsturmführer Bauer nichts davon gesagt, was Ihrem Freund vermutlich das Leben gerettet hat. Ihnen liegt an ihm. Und ich kann mir ziemlich gut vorstellen, warum. Amerikaner stehen dieser Tage hoch im Kurs.« Eine Pause. »Aber natürlich nicht bei Hauptsturmführer Bauer.« Erneute Pause. »Kurz: Fünf Millionen, und Sie bekommen ihn von mir in aller Diskretion zurück. Wenn nicht, übergebe ich ihn Bauer.«

      Laval macht ein paar Schritte in den Garten, schleudert sein Champagnerglas in ein Blumenbeet, kehrt in Richtung Deslauriers zurück und stößt im Vorbeigehen hervor: »Morgen haben Sie das Geld.« Dann betritt er das Esszimmer. »Ich kann unmöglich bleiben, gnädige Frau … Meine Tage in Paris sind derart ausgefüllt … Nehmen Sie es mir nicht übel …«

      Dora schenkt ihm ein breites Lächeln und geleitet ihn ins Erdgeschoss zur Tür. Geht wieder hinunter. Deslauriers steht immer noch reglos auf der Terrasse.

      »Den wären wir los.«

      »Ich verschwinde auch, Dora. Für ein Tête-à-tête bist du mir eine zu gefährliche Frau.«

      Dora hat sich nicht umgezogen. Sie hat sich lediglich eine sehr weitmaschige Baumwollstrickjacke über die Schultern geworfen. Im Boudoir im ersten Stock, ein ganz in Rosa und Weiß gehaltenes Schmuckkästchen, Louis-XV-Sessel und Klavier, spielt sie mit Domecq Dame. Dessen klarer blauer Blick unter den dichten schwarzen Brauen fixiert das Spielbrett, dann Doras Gesicht, als entschlüssele er dort seine Strategie. Vergeblich. Das zur Straße hin gelegene Fenster ist geöffnet, der späte Nachmittag ist drückend heiß, und die Tür des kleinen Boudoirs, die zur Treppe und zum Flur führt, steht ebenfalls offen, um Durchzug zu machen.

      Neben dem Spielbrett eine Flasche Champagner und zwei halbvolle Gläser sowie ein Tablett mit Petits Fours, vor Zucker blitzenden Fruits déguisés, Makronen, Törtchen, bei denen Domecq munter zulangt.

      »Der Konditor vom Ritz lässt sie mir bringen. Vermutlich, um sich Bauer warmzuhalten, als hätte ich irgendwelchen Einfluss auf ihn.« Im Takt ihrer Worte putzt sie in einem vernichtenden Spielzug alle Domecq noch verbliebenen Steine weg und lacht. »Drei Partien zu null, Fortschritte machst du keine.«

      Domecq steht auf, Hemd und Hose khakibraun, ziemlich zerknittert, reckt und streckt sich. Sie betrachtet ihn erstaunt.

      »Wie stellst du es an, bei dem, was du verdrückst, so schlank zu bleiben?«

      Domecq muss laut lachen. »Ganz einfach, wie jeder hier in der Stadt komme ich vor Hunger fast um, wenn ich mich nicht gerade bei dir vollstopfe.«

      »Laval war heute zum Mittagessen hier.« Der vor ihr stehende Domecq stockt in seiner Bewegung. Sie nimmt eine Zwetschge mit Marzipanfüllung, beißt langsam hinein, leckt sich die Fingerspitzen. Kostet diesen Moment aus, in dem sie ihn in der Hand hat. Und er lässt sie das Tempo bestimmen, den Augenblick genießen, das ist seine Art, sie zu achten. »Er wird René fünf Millionen zahlen, um einen gewissen Benezet freizubekommen, ein Freund von ihm, der verhaftet wurde, weil er einen amerikanischen Offizier bei sich einquartiert hatte.« Unschlüssig, dann Erdbeertörtchen. »Benezet, das sagt mir irgendwie was. Er muss vor dem Krieg häufiger im Perroquet bleu gewesen sein.«

      Auf der Straße Schreie, Tumult. Domecq tritt ans Fenster. Auf dem Gehweg eine Gruppe von vier Männern, die einen sich heftig zur Wehr setzenden Mann in Handschellen und mit blutverschmiertem Gesicht prügeln, schleppen, mit sich schleifen. Ein letzter Revolverhieb schlägt ihn bewusstlos, und die Gruppe verschwindet eilig ein paar Häuser weiter im Eingang von Nummer 3a an der Place des États-Unis.

      Domecq wendet sich wieder Dora zu. »Stört es dich nicht, so dicht bei Lafonts Gefängniszellen zu wohnen und regelmäßig zu sehen, wie unter deinen Fenstern Menschen in den sicheren Tod gehen?«

      Dora steht auf, schließt das Fenster. Das Spiel der weiten Baumwollmaschen auf ihren Schultern, ihren Armen, der Schattenwurf auf ihrer Haut, perlrosa, perlgrau.

      »Manchmal verstehe ich dich nicht.« Die weit geöffneten emailleblauen Augen wirken riesig in ihrem Gesicht, nehmen ihm das Runde, machen die Züge hart. »Findest du deine Bemerkung in diesem Haus nicht deplatziert? Und unnötig aggressiv mir gegenüber?«

      Die Haustür fällt ins Schloss, Fußtrappeln auf der Treppe, Ambre in der Uniform der Klosterschülerin des Couvent des Oiseaux, marineblauer Plisseerock, hellblaue Hemdbluse, weiße Kniestrümpfe, bleibt auf der Schwelle zum Boudoir ruckartig stehen. Schön. In gewisser Weise das Abbild ihrer Mutter. Das goldene Haar, die riesigen tiefblauen Augen, die markanten Wangenknochen, das dreieckige Gesicht. Der unbekannte Vater hat nicht viele Spuren hinterlassen. Aber ihre Züge sind feiner, ebenmäßiger als Doras, die Nase gerade, der Mund unauffällig, das Gesamtbild deutlich kühler. Er liegt genau darin, Doras unumschränkter Charme, in der Summe ihrer unvollkommenen kleinen Asymmetrien und anrührenden Rundungen.

      »Sieh an, der neue Liebhaber meiner Mutter. Wenigstens ist der da Franzose. Bulle, aber Franzose.«

      Sie verschwindet in den Flur, und man hört ihre Zimmertür knallen. Dora nimmt es wortlos hin, steht da, rührt sich nicht. Dann: »Urteile nicht schlecht über sie. Es ist nicht leicht, die Tochter einer ehemaligen Hure zu sein.«

      Noch weniger leicht ist es, wenn die ehemalige Hure ein neues Leben beginnt, indem sie die offizielle Mätresse eines Pariser SS-Führers wird. Aber das kann ich ihr nicht sagen.

      Domecq fühlt sich hoffnungslos allein.

      Langer Marsch durch Paris, um das Unbehagen loszuwerden, das sein Nachmittag mit Dora und die kurze Begegnung mit ihrer Tochter hinterlassen haben. Außerdem muss er die Zeit herumbringen. Läuft hinunter zur Place de l’Alma, dann gemächlich am Ufer entlang. Die Atmosphäre in der Stadt wandelt sich kaum merklich. Unverändert das schöne Wetter und die augenscheinliche Unbekümmertheit all der Menschen, die hin und her laufen, als wären sie sehr beschäftigt. Aber die Männer und die Lkws der Wehrmacht, die auf dem Platz vor dem Invalidendom Halt gemacht