Kapitel 5
Aus Tagen waren für Sebastian und Totila Wochen geworden und aus Wochen Monate. Der Revisionsantrag Günters, des Volkswirts, war inzwischen vom Gericht verworfen worden. Damit waren sie kurzfristig eine Dreimannzelle geworden.
„Unser Anwalt hat uns gleich von einem Revisionsantrag abgeraten und gewarnt, das könnte auch nach hinten los gehen“, erklärte Sebastian auf eine Nachfrage des Ingenieurs. „Also haben wir uns danach gerichtet. Zumal mit einer Strafminderung bei unseren Urteilen sowieso nicht zu rechnen gewesen wäre. Doch dass wir mit ’ner Revision geschwindelt haben“, wandte er sich an den Ingenieur, „das weißt du ja. Wir wurden vom Schließer nach der Revision gefragt und da haben wir ja gesagt. Unser Anwalt hätte sie eingelegt. Seitdem sind wir hier in dieser Zelle“, dazu drehte er sich einmal um sich selbst. „Wir hielten das erstmal für besser“, fügte er hinzu, „und meinten uns damit auch die Glatze wenigstens eine Zeit lang ersparen zu können. Und sollte das mit der Revision raus kommen“, sagte Sebastian achselzuckend, „dann hatten wir uns eben geirrt …“
„Das kommt sowieso raus“, wandte Totila ein, „oder glaubst du denn, dass wir nach Jahren noch immer hier in Revision sitzen?“
„Quatsch! Irgendwann verlegen die uns in eine Normalzelle und das war’s dann.“
Schon zwei Tage später krachte überraschend das Schloss, die Tür flog auf und darin stand einer mit seinem Deckenbündel vor der Brust. Er betrat die Zelle und gleich hinter ihm schmetterte die schwere Türe wieder ins Schloss.
„Na dann sind wir ja voll“, begrüßte Klaus, der Ingenieur den Neuen und stellte sich selbst sowie die beiden Freunde vor.
„Eberhard Meier mein Name“, erwiderte der Neue.
„Was hast du denn Schönes mitgebracht?“, fragte der Ingenieur.
Der Neue warf sein Bündel aufs freie Bett. „Fünfzehn Jahre wegen Mord“, sagte er dann. „Hab meine Frau erschlagen.“
Die drei andern in der Zelle, einschließlich des Ingenieurs, sahen ein wenig verblüfft drein.
„Vorsätzlich?“, fragte schließlich Totila ein bisschen zögerlich.
Eberhard Meier stand neben dem Bett und schüttelte den Kopf. „Das war ich doch gar nicht!“
Wieder schwiegen die drei anderen.
„Also unschuldig …?“, reagierte wiederum Totila.
Der so Gefragte, ein großer, kräftiger aber einfacher Mann, dem man einen Totschlag, geschweige denn einen Mord nicht wirklich zutrauen würde, hob die Schultern und sah die drei an. „Ich weiß ja“, sagte er, „das sagen immer alle, aber ich war’s wirklich nicht …“ Und er begann, als er das Zögern in den Augen der anderen sah, ein wenig stockend zu erzählen. Dazu ließ er sich auf einem Hocker am Tisch nieder. Und so breitete sich vor den inneren Augen der Zuhörer die Geschichte des Eberhard Meier aus, eines Flüchtlings aus Pommern und Maurer von Beruf, der wegen Mordes verurteilt worden war.
„Ich habe meine Schwiegermutter mit geheiratet“, begann er zu erzählen und machte eine Pause „Der gehörte das Haus in Bronkow“, fuhr er fort. „Ich habe beim Kraftwerkbau Sonne in Freienhufen gearbeitet.“
„Sonne?“, fragte Sebastian, „Da ist mein Vater Oberbauleiter.“
„Sebaldt … ja natürlich. Das ist dein Vater?“
„Ja.“
„N’ prima Mann. Der war in Ordnung, hat mit jedem Maurer und Zimmermann sprechen können, was man von diesen Herren meist nicht sagen kann.“ Dabei nickte er Sebastian zu.
„Ja meine Frau“, fuhr er dann fort, „also die hab ich vor sechs Jahren geheiratet.
Ihr Vater war in Stalingrad geblieben. Ich kam verwundet aus russischer Gefangenschaft. Meine Heimat in Pommern war ja polnisch geworden. Auch mein Vater ist im Krieg geblieben und die Mutter auf der Flucht gestorben. Ein älterer Bruder ist noch immer vermisst. Ich denke nicht, dass der noch mal auftaucht.
Wo meine Mutter damals verscharrt wurde, weiß ich nicht. Ich war, als ich hier ankam, nur der Flüchtling. Meine Frau habe ich in der Werkskantine kennen gelernt, die hat dort bedient. Ich war da hängen geblieben, weil’s dort Arbeit gab.
Ich hatte zuerst in ’ner kleinen privaten Baufirma eine Maurerstelle. Diese Firmen gab’s damals noch und die hatten auch Arbeit. In Großräschen zum Beispiel war ja durch ’n Bombenangriff viel zerstört worden. In Freienhufen beim Kraftwerk Sonne gab’s bald bessere Löhne, also bin ich dann da hin. Das Schlafzimmer und das Ehebett gehörten nicht nur meiner Frau und mir, als wir geheiratet hatten …“, dann stockte er kurz und starrte zu Boden. „Das ist mir wirklich peinlich“, fuhr er schließlich fort, „aber die Schwiegermutter lag immer mit in unserm Bett.“
„Was, wie denn das? fragte erstaunt der Ingenieur und ließ sich auch auf einen Hocker fallen. „Ich habe ja schon gehört, dass es das gibt, aber noch nie so jemanden getroffen.“
„Das erzählt doch niemand, wenn’s nicht sein muss“, erklärte Eberhard Meier.
„So was denke ich, kommt öfter vor.“
„Was du nicht sagst!“, wunderte der Ingenieur sich.
Und über Sebastians und Totilas Erfahrungsschatz ging das natürlich weit hinaus.
„Entschuldige die Neugier“, sagte der Ingenieur wieder, aber wie habt ihr so was denn arrangiert?“
„Na rechts meine Frau und links ihre Mutter …“ „Das war doch aber eine alte Frau.“
Nee, nee, sag das nicht. Das war schon noch ein griffiges Weibstück „, widersprach Eberhard Meier. „Und das wusste die auch“, fügte er hinzu.
„Und du hast, entschuldige, also du hast dann mit beiden abwechselnd geschlafen?“
„Nicht nur abwechselnd, manchmal auch hintereinander.“
„Beim Zeus! rief der Ingenieur. Welch eine Potenz! Das muss man sich mal vorstellen.“ Dazu lachte er. „Nimm mir’s nicht übel“, wandte er sich an Eberhard Meier, „aber alle Achtung! Da hätte ich nicht mitgehalten.“
Sebastian und Totila grinsten ein wenig peinlich berührt.
„Ja ihr lacht“, beschwerte der überlastete Ehemann sich, das war nicht so einfach und eine verdammt ernste Angelegenheit. Meine Schwiegermutter hat sich immer vernachlässigt gefühlt. Manchmal klappte das eben nicht so und dann lags nach ihrer Meinung an der Tochter. Ihre Mutter war im Bett und nicht nur dort, oft so gehässig und eifersüchtig, da konnte ich manchmal einfach nicht.
Ständig Zank und Streit und dann war auch wieder meine Frau sauer.“
„Kinder hattet ihr nicht?“
„Nee, dazu ist’s nicht gekommen. Vielleicht auch gut so.
„Warum hast du da immer noch mitgemacht?“
„Der Mutter gehörte ja das Haus. Wo sollten wir hin? Das Schlimmste war die Eifersucht und dann auch der Hass auf die Tochter.“
„Ich hätte nicht gedacht, dass es das überhaupt gibt“, ließ Sebastian sich hören, „also mit Mutter und Tochter und so … hätte so was eher für einen Spaß oder Witz gehalten.“
Der Ingenieur grinste ironisch als er Sebastian fragte: „Hast denn du schon mal was mit der Tochter einer Mutter gehabt?“
Sebastian lachte. „Das ist ja wohl allein meine Sache“, erklärte er.
Der Ingenieur winkte ab. „Wie alt war denn deine Frau“, wandte er sich wieder an Eberhard Meier.
„Dreiundzwanzig“, sagte der.
„Und du?“
„Siebenunddreißig.“
„Und