Der Großteil der Forschung von Hawkes Enterprises findet jedoch in unserem Hauptsitz in Deutschland statt. In den nächsten Tagen werde ich gerne all Ihre technischen Fragen beantworten.«
Wieder Beifall. Nervös trat der Wissenschaftler zurück.
»Nun darf ich Ihnen Mrs. Blinow, die Geschäftsführerin von Sun City vorstellen.«
Shane musterte die pummelige Russin und ertappte sich dabei, wie er sie unwillkürlich mit einem Walrossweibchen verglich und ihr Gesicht in Gedanken um spitze Stoßzähne ergänzte.
»Wie Miss Meinhard bereits erwähnt hat, bin ich die Geschäftsführerin unserer kleinen Stadt in der Wüste und somit hauptsächlich für Ihr Wohlbefinden und das der zukünftigen Besucher verantwortlich. Sollten Sie irgendeinen Wunsch haben, zögern Sie nicht, ihn mir oder Miss Ling mitzuteilen. Im Laufe des heutigen Dinners werde ich Sie mit der Planung unserer zukünftigen Urlaubsanlage vertraut machen.«
»Da werden Sie sich vor Fragen kaum retten können«, kam es aus der Menge. David Meier hatte ein breites, unhöfliches Grinsen aufgesetzt und sah sich Bestätigung suchend um.
Shane war ihm erst zwei- oder dreimal begegnet, aber das Verhalten des Vorstandsvorsitzenden war stets dasselbe: rüpelhaft und abwertend, was auch die eher verhaltenen Reaktionen der anderen Anwesenden erklärte.
»Ich verstehe nicht, wie man auf die Idee kommen kann, eine Urlaubsanlage mitten in der Wüste zu errichten und diese auch noch an ein Kraftwerk zu koppeln. Hier gibt es doch für Touristen rein gar nichts von Interesse. Einen trostloseren Ort habe ich noch nie gesehen.«
»Ich glaube, Sie brauchen eine neue Brille, David«, ergriff Lennard Frank zum ersten Mal das Wort. »Haben Sie denn noch nicht einmal die Zeit gefunden, aus dem Fenster zu schauen?«
Frank spielte natürlich auf die Oasenlandschaft an, doch Meier schien offensichtlich nicht zu wissen, wovon der Privatinvestor sprach – zumindest ließ sein gleichgültiger Ausdruck darauf schließen.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen, Lennard«, erwiderte er leicht gereizt. Kichern breitete sich aus, was die schlechte Laune des ungemütlichen Geschäftsmannes nur noch verstärkte.
»Beim Dinner können wir uns gerne darüber unterhalten«, sagte Blinow und sorgte damit wieder für Ruhe.
Shane ließ seinen Blick durch die auf antik getrimmte Bibliothek schweifen. Das Höflichkeitsgeplänkel interessierte ihn herzlich wenig. Ob die Bücher echt sind?, fragte er sich mit einem gewissen Amüsement. Aber es wäre wohl ziemlich unangebracht gewesen, Buchattrappen in die Regale zu stellen.
Der Raum wurde durch altmodische Kerzenleuchter mit Glühbirnen erhellt und besaß weder Fenster noch andere Türen als die, durch die sie gekommen waren.
Shane lehnte sich zurück. Die Zeit, die Estella brauchte, um Fritzsch vorzustellen, konnte er dazu benutzen, sich einen Überblick über die anderen Gäste zu verschaffen. Es bereitete ihm immer wieder ein heimliches Vergnügen, andere zu beobachten, wenn diese nicht damit rechneten.
Beispielsweise Thalia Morgan, die bis jetzt noch kein Wort gesagt hatte. Sie saß aufrecht auf ihrem Stuhl und gab sich interessiert, doch wenn man genau hinschaute, konnte man ihre nervös zuckenden Augenlieder erkennen, was ein Zeichen für unruhige Langweile war.
Meier trommelte, ohne einen Hehl aus seiner Nervosität zu machen, auf der Armlehne herum. Ein Wunder, dass er überhaupt erschienen war.
»Dann bedanke ich mich an dieser Stelle für Ihre Aufmerksamkeit und überlasse Sie wieder der Gesellschaft der anderen.« Mit diesen Worten wollte sich Estella Meinhard verabschieden, doch bevor sie den Raum verlassen konnte, erhob sich Shane von seinem Platz.
»Ich hätte vorher noch eine Frage, Miss Meinhard!«
»Ja?«, sagte sie höflich.
»Wir wissen jetzt, wer hier wo das Sagen hat, aber über Sie haben wir noch nichts erfahren. Weshalb übernehmen Sie diese Präsentation, wo Sie doch offensichtlich nicht die Leiterin dieses Projekts sind?«
An ihrer Reaktion konnte Shane erkennen, dass er ins Schwarze getroffen hatte. Die Frage war natürlich überflüssig, er wusste, wer sie war und was sie hier tat, aber ihn reizte der Versuch, sie dazu zu bringen, noch mehr Details über sich selbst preiszugeben. Im Grunde genommen hatte sie es sich auch selber zuzuschreiben, dass er sie bloßstellte, denn schließlich gebot es die Höflichkeit, ein paar persönliche Eckdaten mit einfließen zu lassen, wenn man sich vorstellte.
»Entschuldigen Sie, das muss mir wohl entgangen sein. Wir Wissenschaftler denken oft außerhalb normaler Maßstäbe«, versuchte sie ihre Nervosität zu überspielen. Gelingen wollte es nicht so recht, aber niemand schien sich daran zu stören. »Ich bin die Forschungsleiterin unseres Mutterkonzerns Hawkes Enterprises. Normalerweise arbeite ich in Deutschland, aber da unser Tochterunternehmen hier in der Sahara das weltweit erste und größte PECS-Kraftwerk eröffnet, habe ich es mir nicht nehmen lassen, die Präsentation persönlich zu übernehmen. Wenn Sie noch mehr über mich erfahren möchten, Mr. O’Brien, schlage ich vor, dass Sie das Dossier lesen, das Sie in den Händen halten!«
Das versetzte Shane einen fühlbaren kleinen Stich in die Magengegend. »Autsch!«, flüsterte er in sich hinein. Aber ihr konsternierter Gesichtsausdruck war es wert gewesen! Derartige Sticheleien waren es, die ihm zu seinem geteilten Ruf verholfen hatten.
Die Gäste erhoben sich und fanden sich zu Grüppchen zusammen, um die vorangegangenen Gespräche wieder aufzunehmen. Estella warf Shane von der anderen Seite des Raums einen beleidigten Blick zu. War das eine Aufforderung? Gemächlich schlenderte er in ihre Richtung, schüttelte Meier, Morgan und Lennard die Hand und begrüßte deren Frauen mit einer leichten Umarmung.
Ein junger Mann, schätzungsweise um die Fünfundzwanzig, musterte ihn verstohlen von der Seite. Shane wusste nicht, wer er war, verspürte jedoch von Anfang an eine natürliche Abneigung gegen ihn. Trotzdem wagte er den Sprung in die Offensive und ging auf ihn zu.
»Sind wir uns schon einmal begegnet? Ich habe ein furchtbar schlechtes Gedächtnis. Shane O’Brien …« Er streckte ihm die Hand entgegen. Der Mann zögerte, griff dann jedoch zu.
»Dirk Wagner. Ich bin der persönliche Assistent von Herrn Meier«, sagte er in gebrochenem Englisch. »Und nein, wir sind uns noch nicht begegnet.«
Shane verabschiedete sich höflich und zog, sobald er außer Reichweite war, eine hässliche Grimasse.
»Ja, er ist wirklich etwas unangenehm«, sagte Meinhard, die sich unbemerkt an ihn herangepirscht hatte. »Er ist ein bisschen wie Sie, finden Sie nicht?«
»Oh, ich bitte Sie! Ich habe wenigstens Stil, was man von diesem … Individuum da nicht behaupten kann.«
Sein Kommentar brachte sie zum Lachen. »Da wir uns noch nicht lange kennen, würde ich nicht so weit gehen, Sie als überheblichen Kotzbrocken zu bezeichnen …«
»Nein, natürlich nicht«, sagte Shane mit schiefem Grinsen.
»Was ich eigentlich nur sagen wollte, ist, dass Sie eine ganz spezielle Art haben«, beendete Estella den unterbrochenen Satz.
»Ich nehme das mal als Kompliment. Sagen Sie, kommt es oft vor, dass Sie vor Publikum sprechen, oder war das Ihr erstes Mal?«
»Sind Sie von Geburt an so taktvoll oder üben Sie noch?«, entgegnete sie schlagfertig. Sie lernte offenbar schnell, denn das war die einzige Möglichkeit, mit Männern wie Shane umzugehen. Sie bewies Selbstbewusstsein und das gefiel ihm, zwang ihn aber, seine Taktik zu ändern.
»Die Frage war durchaus ernst gemeint«, behauptete er. »Als ich das erste Mal vor mehr als 50 Personen sprechen musste, habe ich mich jedenfalls nicht besonders wohl gefühlt. Ich glaube, seit der Grundschule hatte ich nicht mehr so gestottert.«
»Und warum sind Sie jetzt so ein viel gebuchter Redner? Ich dachte, Sie seien Wirtschaftsjournalist.«
»Bin ich auch, aber im Laufe der Zeit hat sich mein Aufgabenbereich, sagen wir mal, erweitert. Manche Unternehmen bilden sich regelrecht etwas