des Eintreffens so lange wie möglich hinaus.
Ling führte ihn durch einen langen, an eine Felsgrotte erinnernden Gang zum Wellness-Bereich. »Der Aqua-Park und die Saunalandschaft sind rund um die Uhr geöffnet«, sagte sie. »Der Massagetempel schließt täglich um 22:00 Uhr. Handtücher und Badelatschen erhalten Sie an der Rezeption oder vom Zimmerservice.«
Sie verließen den Nassbereich und besichtigten die Tagungsräume, die Tennis- und Squash-Plätze, den Kinosaal und das Kasino. Shane staunte nicht schlecht, was man hier in der kurzen Zeit alles geschaffen hatte. Wenn das PECS-Kraftwerk nur halb so überzeugend war wie das Hotel und das Freizeitangebot, dann waren dem Unternehmen positive Kritiken sicher.
»Eine Frage könnten Sie mir vielleicht noch beantworten«, wandte sich Shane beim Verlassen des Kasinos an Ling. »Warum baut man in dieser Einöde eine solch luxuriöse Ferienanlage und einen eigenen Flughafen?«
»Man hat mich gewarnt, dass Sie alles hinterfragen würden«, bemerkte Ling spitz und blieb kurz stehen.
»Das ist nun einmal mein Job«, meinte Shane. »Außerdem hinterfrage ich nicht, ich recherchiere. Wenn Ihre Arbeitgeber einen repräsentativen Bericht über ihr Unternehmen lesen wollen, brauche ich Informationen und keine Rätsel. Was verbindet diese Ferienanlage mit dem PECS-Kraftwerk?«
»Der Endkunde«, sagte Ling kurz und knapp.
Endkunde. Das Wort schwebte zwischen ihnen. Shane sah sie fragend an.
»Das ist eigentlich ganz einfach: Im Planungsausschuss diskutierte man die Bedeutung der Anlage im Hinblick auf die erklärten Unternehmensziele, und man wurde sich einig, dass diese ihre Umsetzung am besten in der Errichtung einer Ferienanlage finden würden. Immer mehr Menschen sollen von den Vorteilen alternativer Energien überzeugt werden. Sie können hier einen interessanten und erholsamen Urlaub verbringen und tun dabei gleichzeitig etwas für die Umwelt. Es sind noch weitere Projekte geplant, aber ich möchte Miss Meinhard, der Forschungsleiterin von Hawkes Enterprises, nicht vorgreifen.«
Shane bedankte sich für die Auskunft. »Das ist schon mal ein guter Anfang, auf dem ich meine Berichterstattung aufbauen kann.« Er bedachte sie mit einem freundlichen Blick, der sie für den ruppigen Kommentar von vorhin entschädigen sollte.
»Möchten Sie jetzt Ihr Zimmer sehen?«, fragte sie und konnte ihre Erleichterung, nicht länger über das Thema sprechen zu müssen, nur schwer verbergen.
»Ja, gerne. Aber zuvor müsste ich dringend wissen, wo …« Er sah sich suchend um und wirkte beinahe verzweifelt.
»Wenn Sie mir sagen, wonach Sie suchen, kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein«, schlug Ling vor. »Was kann denn nicht warten, bis Sie auf dem Zimmer sind?«
Seine vermeintliche Verklemmung erfüllte sie mit leichter Schadenfreude. Vom ersten Moment an, da sie Shane begegnet war, hatte sie die autoritäre Aura, die ihn umgab, gespürt und fühlte sich gleichsam davon angezogen wie abgestoßen. Wenn er nicht so eine fordernde und verletzende Art gehabt hätte, hätte sie möglicherweise versucht, ihn näher kennenzulernen. So aber hoffte sie lediglich, dass sie ihm nicht allzu oft begegnen würde.
Shane schaute sie lächelnd an und sagte: »Ich suche die Bar.«
Kapitel 3
Shane war ein wenig benommen von den Cocktails, die er getrunken hatte. Wankend stand er in seiner Suite und war sich unschlüssig, was er als Nächstes tun sollte.
Aus dem Anzug musste er auf jeden Fall raus, so viel stand fest, denn trotz Klimaanlage schwitzte er sich halbtot. Seine Hände wanderten unter den Krawattenknoten, doch was normalerweise ein Akt von Sekunden war, zog sich heute hin. Das verdammte Ding wollte sich einfach nicht lösen! Aus einem Anflug von Nervosität heraus begann er, daran zu zerren und zu reißen, aber das verschlimmerte es nur noch. Ihn überkam regelrechte Panik, als er meinte, den Knoten noch fester gezogen zu haben. Die Krawatte schien ein Eigenleben zu entwickeln und ihn erwürgen zu wollen. Erst der Blick in den Spiegel brachte ihn wieder auf den Boden der Vernunft zurück und er riss sich den Stofffetzen erleichtert vom Hals.
Solche Panikattacken suchten ihn nur selten heim, aber wenn, dann trafen sie ihn mit voller Wucht. Chantal hatte gemeint, das könnte mit seinem ungesunden Lebensstil zusammenhängen. Wenn es etwas gab, das er noch mehr hasste als schlechten Whisky, dann waren das Seelenklempner. Aber auch zu richtigen Ärzten hatte er nur bedingt Vertrauen.
Als er sich auszog, versuchte er, den obligatorischen Blick in den Spiegel zu vermeiden. Er wusste, wie gut er aussah und dass sich das harte Training auszahlte. Das Einzige, was ihm ein Blick in den Spiegel also gebracht hätte, wäre Bestätigung gewesen, und die führte nur dazu, dass er sich noch ungesünder ernährte. Nur weil er vor Jahren mit dem Joggen und anderen Ausdauersportarten angefangen hatte, lagerten die Folgen seines nicht unerheblichen Alkoholkonsums noch tief unter seiner Haut, wo sie bisher nur Ultraschalluntersuchungen zutage fördern konnten. 20 Prozent Aufhellungen an der Leber hatte ihm der Arzt bescheinigt und zu einer ausgeglicheneren Lebensweise geraten. Einen Whisky weniger am Tag hatte Shane daraus gemacht und sich sogar daran gehalten.
Er sprang unter die Dusche, das half ihm meistens, wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
Angenehm temperiertes Wasser schoss aus unzähligen Düsen in den Wänden und in der Decke und massierte seine Haut. Ein Prozessor errechnete mit Hilfe von optischen Sensoren die Körpergröße der duschenden Person und regulierte dementsprechend den Wasserdruck an empfindlichen Körperstellen wie den Augen oder dem Mund. Technik, die in ihrer Ausgereiftheit beeindruckte, der Dekadenz aber die Krone aufsetzte.
Dasselbe galt auch für den Rest der Suite. Sie ließ keine Wünsche offen. In dem Wohnbereich mit Flachbildfernseher, Eckcouchgarnitur und Minibar hätten wahrscheinlich zwanzig Kinder dieses armen Kontinents Platz gefunden, die sich stattdessen in winzigen Wellblechhütten zusammenquetschen mussten. Aber daran wollte Shane erst gar nicht denken. Er war hier, um den Aufenthalt zu genießen und nicht, um sich über Armutszustände in der Dritten Welt den Kopf zu zerbrechen.
Er trocknete sich ab und ging hinüber ins Schlafzimmer, das auf die Oase ausgerichtet war und eine umwerfende Aussicht auf die Seenlandschaft bot. Falls die Sonne tagsüber zu grell hereinschien, konnte man die Scheiben per Knopfdruck verdunkeln.
Shane legte seine Wertgegenstände in den Safe und warf noch einen raschen Blick auf sein Smartphone. Er hatte versucht, Chantal zu erreichen, aber es war niemand rangegangen – sie hatte auch keine Nachricht hinterlassen.
Es war schon eigenartig – nachdem sie ihn hintergangen hatte, hatte er erst nur Verachtung für sie übrig gehabt, doch jetzt, wo es endgültig vorbei war, ergriff eine Sehnsucht von ihm Besitz, die er selbst nicht für möglich gehalten hätte. Das Einzige, womit er sie in all den Jahren betrogen hatte, waren seine Arbeit und der Alkohol gewesen.
Shane verjagte abrupt seine Gedanken – das war ein ganz schlechtes Thema, vor allem dann, wenn er angetrunken war. Er musste unbedingt heraus aus der Einsamkeit dieses Zimmers.
In kurzer Hose und Polohemd machte er sich zurück auf den Weg in die Gesellschaft. Er konnte grundsätzlich nie lange an ein und demselben Ort verweilen, ein innerer Drang zog ihn beständig weiter.
Die Empfangshalle lag wie vor zwei Stunden leer und verlassen da, nur dass jetzt ein altmodischer Gepäckwagen vor der Rezeption stand, der in Shane nostalgische Gefühle aufkommen ließ. Er liebte diesen Charme der Vorkriegsjahre des vergangenen Jahrhunderts.
Als er sich dem Tresen näherte, schoss plötzlich eine junge Frau mit blonden Haaren und sanften, ebenen Gesichtszügen dahinter hervor. Shane war versucht, sich wie ein Gentlemen zu benehmen und sich ihr vorzustellen, doch wie so oft übernahm stattdessen die kindliche Seite in ihm die Kontrolle über sein Handeln. Er räusperte sich affektiert.
»Suchen Sie etwas Bestimmtes? Ich lasse den Sicherheitsdienst rufen, wenn Sie sich nicht erklären.«
Welcher Teufel ihn nur immer wieder ritt, wenn er solche albernen Bemerkungen machte!
Wie nicht anders zu erwarten, fuhr sie zu ihm herum und taxierte