Benjamin Blizz

Kalte Zukunft


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sich vor, wie der Sicherheitschef hier saß, die Arme verschränkt, die Beine auf den Schreibtisch gelegt, und seine Mitarbeiter überwachte.

      Shane ging ganz nah an die Glasscheibe heran und ließ seinen Blick schweifen. Was er sah, hätte einem Science Fiction-Film entsprungen sein können: Vor einer überdimensionierten Monitorwand, in der bestimmt mehr als vierzig Bildschirme verankert waren und von der ein einschläferndes, dunkelgrünes Leuchten ausging, saßen junge Männer und Frauen in einheitlichen schwarzgrauen T-Shirts und prüften die Anzeigen. Es sah aus wie auf der Brücke eines Raumschiffs.

      »Sie haben hier keine Kosten gescheut, was?«

      Der Sicherheitschef lächelte. »Sehen Sie den großen Tisch in der Mitte des Raums?«

      »Sie meinen dieses futuristische Gebilde?«

      »Ja. Das ist eine taktische Konsole, das Neueste, was die Sicherheitstechnik zu bieten hat.«

      Shane ließ sich seine Überraschung nicht zu sehr anmerken, aber damit hatte er in der Tat nicht gerechnet. »Darf ich?«, fragte er und deutete auf die Tür zur Zentrale.

      »Bitte, nur zu«, erwiderte Fritzsch. »Dafür sind wir ja jetzt hier.«

      Als Shane die Zentrale betrat, wurde er von einem unangenehmen monotonen Summen empfangen, das von den elektronischen Geräten herrührte und einem durch Mark und Bein ging. Wie konnten sich die Mitarbeiter bei dieser Geräuschkulisse nur konzentrieren? Er hätte es keine zehn Minuten hier drinnen ausgehalten.

      Fritzsch übernahm die Führung. Stolz schritt er an der Konsole entlang und fuhr mit den Fingern über den Rand. Der Bildschirm, ein Touchscreen mit selbstreinigender Oberfläche, maß ein Meter mal anderthalb Meter, hatte eine gestochen scharfe Auflösung und war horizontal auf einem Betonsockel montiert. Im Moment zeigte er eine topografische Darstellung des Geländes.

      »Das Besondere an dieser Station ist, dass wir über einen Uplink auf einen Satelliten des Bundesnachrichtendienstes zugreifen können«, erklärte Fritzsch. »Das erleichtert uns zum einen die Lokalisierung defekter Kollektoren, zum anderen das Aufspüren potentieller Gefahrenquellen. In Kombination mit den Infrarot- und Bewegungsmeldern im Außenbereich ist somit eine lückenlose Überwachung der Anlage möglich.«

      Shane war da skeptisch. »Korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre, aber wenn der Satellit vom Bundesnachrichtendienst genutzt wird, ist er doch nicht die ganze Zeit auf die Anlage ausgerichtet.«

      Fritzschs Miene verfinsterte sich. Er hatte offenbar nicht erwartet, dass Shane diesen misslichen Umstand erwähnen würde.

      »Nein, Sie irren sich nicht. Es ist in der Tat so, dass wir die Nutzung des Satelliten anmelden müssen. Jeder neue Verbindungsaufbau dauert dreißig Minuten.«

      Shane beließ es dabei und nickte freundlich. Er wollte es sich mit Fritzsch nicht verscherzen. Zumindest nicht, solange er Informationen aus ihm herausholen konnte.

      »Nehmen wir einmal an, es käme zu Handgreiflichkeiten: ein Ehepaar im Streit, eine eifersüchtige Freundin …«, deutete Shane schmunzelnd an. »Wie lange würde es dauern, bis Ihre Sicherheitskräfte eingreifen könnten?«

      »Das hängt davon ab, wo sie gebraucht werden. Spätestens aber nach 120 Sekunden. So lange brauchen meine Männer, um den entferntesten Sektor zu erreichen.«

      »Wie viele Sektoren gibt es insgesamt?«

      »Zwölf«, sagte Fritzsch. »Wollen Sie einen Blick auf die Überwachungskameras werfen?«

      Shane überging den diskreten Hinweis, er möge aufhören, sein Gegenüber mit Fragen zu löchern, und fuhr ungeniert fort.

      »Wie sieht es mit dem Wissenschaftskomplex aus? Dort herrschen doch sicherlich strengere Sicherheitsvorkehrungen.«

      »Tut mir leid«, wiegelte Fritzsch ab, »aber ich darf Ihnen diesbezüglich keine weiteren Auskünfte geben.«

      Shane, der bereits mehr erfahren hatte, als er sich jemals zu erträumen gewagt hätte, lenkte besänftigend ein. »Das verstehe ich natürlich. Fühlen Sie sich bitte nicht unter Druck gesetzt. Aus mir spricht nur meine journalistische Neugier.«

      Insgeheim überlegte er, wie er am besten auf sein eigentliches Interesse zu sprechen kommen könnte. Es war eine Gratwanderung, denn wenn er zu offenkundig vorging, würde Fritzsch misstrauisch werden und die Chance wäre vertan.

      In diesem Moment knackte ein Lautsprecher und die aufgeregte Stimme einer jungen Frau war zu hören. »Johnson an Fritzsch. Bitte melden Sie sich.«

      Der Sicherheitschef zückte sein Funkgerät und öffnete den Kanal. »Hier Fritzsch, sprechen Sie, Johnson.«

      »Wir … haben hier etwas gefunden, Sir. Es wäre besser, wenn Sie sich das ansehen.«

      Beunruhigung zeichnete sich auf Fritzschs Gesicht ab, und seinem Verhalten nach zu urteilen, erlebte er diese Situation nicht zum ersten Mal. »Verstanden, Johnson, ich bin auf dem Weg!« Der Hüne war bereits an der Tür, als er sich noch einmal umdrehte. »Entschuldigen Sie, Mr. O’Brien, aber die Pflicht ruft. Soll ich Sie hinausbegleiten?«

      »Keine Sorge, ich finde schon selbst raus.«

      Fritzsch nickte Shane kurz zu und stürmte aus dem Raum.

      Shanes Nackenhärchen stellten sich in freudiger Erwartung auf. Vorausgesetzt, er ging geschickt vor, bot sich ihm jetzt die einmalige Gelegenheit, nach Hinweisen zu suchen.

      In unmittelbarer Nähe hielten sich im Moment lediglich zwei Sicherheitskräfte auf. Einer von ihnen schaute kurz hoch, um Shane zu mustern. Dieser zweifelte nicht daran, dass sie ein Auge auf ihn haben würden, denn Fritzsch hatte ihn nur deshalb alleine zurückgelassen, weil er sich vollkommen auf seine Männer verließ. Doch Shane hatte vor, gerissener als sie zu sein.

      Beiläufig schlenderte er auf einen Kaffeeautomaten zu, der gegenüber von Fritzschs Schreibtisch stand. »Ich nehme mir nur einen Becher und dann bin ich weg«, rief er dem Mann zu, der ihn aufmerksam, aber nicht sonderlich interessiert beobachtete. Die Begründung schien ihm zu genügen und er wandte sich wieder dem Geschehen auf dem Monitor zu.

      Shane atmete erleichtert auf. Die erste Hürde war genommen, und während er die Liste der Heißgetränke überflog, legte er sich im Kopf die Orte zurecht, an denen er als Erstes suchen würde. Fritzschs Computer oder die akribisch sortierten Aktenordner im großen verglasten Wandschrank schieden von vornherein aus, das wäre zu auffällig, doch es gab noch andere Möglichkeiten. Aus Erfahrung wusste Shane, dass Telefonnotizen, Terminplaner und bekritzelte Schreibtischunterlagen wahre Fundgruben für Anhaltspunkte aller Art sein konnten.

      Er bestellte einen Latte Macchiato, damit das Gerät für eine Weile beschäftigt war, und ging unauffällig zum Schreibtisch, der noch penibler aufgeräumt war als der Aktenschrank. Bis auf einige Berichte und Materiallisten konnte Shane auf Anhieb keine weiteren Unterlagen entdecken, weshalb er sich gleich der Schreibtischunterlage zuwendete. Wie er gehofft hatte, war Fritzsch nicht nur ein ordnungsliebender Mensch, er ging auch auf Nummer sicher, indem er selbst unwesentliche Gedankengänge schriftlich festhielt.

      Shane verfügte über eine hohe Merkfähigkeit. Sein Gedächtnis galt als eidetisch, was sich auch mit zunehmendem Alter kaum geändert hatte und ihm hier und jetzt sehr von Nutzen war.

      Konzentriert blieb er für einen kurzen Moment an einer auf die Schnelle dahingekritzelten, aber nahezu perfekten Zeichnung hängen, die Fritzsch am Rand der Unterlage hinterlassen hatte. Sie zeigte ein kleines Mädchen in der Umgebung der Oase. Fritzschs Tochter? Jedenfalls hatte der äußerlich grobschlächtige Sicherheitschef Talent. Wie leicht man sich doch in den Menschen täuschen konnte!

      Neben der Zeichnung standen ein paar kurze Sätze:

      Trojaner wurde aus dem System entfernt. Nach Serverupdate wieder fehlerfrei. Stephen trotzdem besorgt: Server nicht am Internet. Woher Trojaner?

      Shane blickte nachdenklich auf die handgeschriebenen Zeilen. Ein Trojaner im Netzwerk der Anlage? Das war in der Tat besorgniserregend – wenn man bedachte, dass die Server höchstwahrscheinlich