Liselotte Welskopf-Henrich

Zwei Freunde


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des verstorbenen Geheimrats. Der Tee-Extrakt, war gebraut, der Samowar summte. Eine Nacht war lang.

      Morgens um sechs Uhr sank der Arbeitende angekleidet auf das nicht benutzte Bett. Er hatte den Maßstab nicht, aber den Weg, auf dem man ihn suchen mußte. Eine Darstellung von zwei Seiten, handschriftlich festgehalten, war das Ergebnis der durchwachten Nacht.

      Um acht verließ der Assessor das Haus und begab sich zum Dienst. Seine leichten Kopfschmerzen störten ihn nicht. Er nahm nur den Hut ab und ließ sich die Morgenkälte um die gespannten Nerven wehen. Der Wind pfiff aus Westen und trieb faule Wolken zur Eile; die ihm nicht schnell genug folgten, wurden in Fetzen gerissen. Ein mattes, gebrochenes Sonnenlicht leuchtete zu diesem Spiel. Gefallene Blätter versuchten sich noch einmal zu erheben und sanken raschelnd wieder zu Boden. In der Residenzstraße lief Anneli Schmock ihrem Hut nach, der auf der Kante davonrollte; ihre künstlich gewellten Haare flatterten wirr im anwachsenden Sturm. Die Luft kam von rollenden Wogen der Meere und roch nach Schaumkronen und Tang, aber der Assessor dachte an die Bezirkseinteilung. Ohne selbst gewußt zu haben, wie er seine Schritte lenkte, stand er in dem Augenblick, in dem er aus seinen Arbeitsträumen erwachte, vor dem Haupteingang des Ministeriums am Königsplatz.

      Hinter ihm hielt leise ein Wagen; eine Autotür klappte, und ehe Wichmann die Schritte des Aussteigenden recht vernommen hatte, hörte er eine Stimme.

      »Herr Dr. Wichmann … guten Morgen … Kommen Sie gleich mit mir hinauf?«

      »Jawohl, Herr Ministerialrat.«

      Der Pförtner mit den weißen Schläfen im blauen Rock grüßte mit betonter Achtung.

      Grevenhagen dankte. Der Ministerialrat hatte eine besondere Art, den Gruß Untergebener zu erwidern, in der sich Höflichkeit mit einem Abstand-Halten verband. Er grüßte … wie?

      Wie ein Offizier.

      Zum erstenmal ging Wichmann an der Seite seines Vorgesetzten die Prunktreppe hinauf.

      Der Assessor legte bei Fräulein du Prel ab und folgte Grevenhagen in dessen großes Arbeitszimmer. Das Heulen des Windes, der sich nach dem Überbrausen des weiten Platzes an Häuserfronten stieß, war durch die Fenster zu hören.

      »Nehmen Sie Platz. Ich wollte rasch noch ein Ergebnis unserer Arbeit mit Ihnen durchsprechen. Fräulein du Prel wird das Blatt gleich bringen.«

      Wichmann zog die beiden mit Handschrift bedeckten Seiten aus der schweinsledernen Mappe, die über seinen Knien lag.

      »Ah, Sie haben auch noch etwas?«

      Grevenhagen vertiefte sich in die Ausarbeitung und fing an zu nicken. Er sah heute frisch aus.

      »Gut, Herr Wichmann! Das ist der springende Punkt. Sie sind also von selbst noch darauf gekommen.«

      Die Sekretärin trat ein und brachte eine Mappe, der Grevenhagen wenige Seiten eines Durchschlags entnahm, um sie seinem ›Hilfsarbeiter‹ im Referat zu überreichen.

      »Lesen Sie, bitte.«

      Der erste Blick genügte, um zu wissen, daß es sich um einen Auszug aus der Arbeit des Trios handelte, der die Hauptergebnisse übersichtlich machte. Die Anordnung war so getroffen, der Ausdruck in einer Weise gewählt, daß der Gedanke, den sich Wichmann in der vergangenen Nacht erkämpft hatte, jedem in die Augen sprang. Der Assessor schwankte in Enttäuschung und Bewunderung.

      »Ich wollte Ihnen das zeigen. In dieser Richtung werden Sie weiterarbeiten müssen. Es freut mich, daß Sie die Erkenntnis auch gefunden haben.«

      Wichmann grollte mit sich selbst, daß er sie nicht früher gefunden hatte.

      »Sie können den Durchschlag mitnehmen. Um zehn Uhr sind Sie dann hier, bitte.«

      Grevenhagen schlug die Mappe mit dem schweren Deckel auf und begann, seine Unterschriften zu leisten.

      Wichmann zog sich zurück.

      In seinem Zimmer fand er Lotte Hüsch vor. Sie saß auf seinem Schreibtisch und hatte die zierlichen Füße auf die Lehne des Stuhls gestellt; die Hände waren um die seidenstrumpfglänzenden Knie geschlungen. Ihr Lachen lud ein.

      »Hi-hä. Wo waren Sie denn so lange? Ich hab’ Sie doch vorhin kommen sehen?«

      »Mich kommen sehen? Was hat Ihnen denn den Schlaf geraubt, gnädiges Fräulein?«

      Wichmann legte die Aktentasche auf den Aktenbock und blieb mit dem Rücken gegen die Tür stehen. »Heut war doch Kontrolle! Das wissen Sie nicht? Baier hat mir’s gestern verraten, ist doch ein anständiger Kerl. Natürlich so eine Idee von dem Pöschko! Wahrscheinlich … na, der wird sich ärgern … Ich denke, Sie kommen auch deshalb so früh?«

      »Vielleicht gab’s auch noch andere Gründe, gnädiges Fräulein. Darf ich Ihnen eine Zigarette anbieten?«

      »Danke.« Die Hände lösten sich von den Knien.

      »Und vielleicht einen etwas bequemeren Sitz?«

      »Danke, ich sitze ganz gut. Oder wollen Sie wirklich arbeiten? Sie sind ja seit vierzehn Tagen reineweg verrückt, Korts und Casparius und Sie. Übrigens Ihre hundert Mark …«

      »Bitte, wenn Sie sie noch brauchen?«

      »Nee, nee, jetzt nicht mehr, ein andres Mal wieder. Da ham Sie sie … nehmen Sie nur.«

      Die Krokodilledertasche, die neben der Dame auf der Schreibtischplatte lag, gab einen Schein her.

      Fräulein Hüsch betrachtete den Assessor sichtlich amüsiert.

      »Warum stehen Sie denn so an der Tür?«

      »In Bewunderung versunken!«

      »Nehmen Sie nur Platz. Um die Zeit kommt niemand. Der Bote ist schon durch.«

      Wichmann setzte sich in eine entfernte Ecke und betrachtete seinen Schreibtisch mit dem ungewohnten Aufsatz. Die zierlichen Finger, an denen der Brillantring funkelte, hielten die Zigarette sehr graziös; der Dunst stieg in die Aktenluft. Unaufhörlich spielten die Augen.

      »Rauchen Sie nicht?«

      Der Assessor steckte eine Zigarette an.

      »Halten Sie’s noch aus in Ihrem Geheimratsviertel? Ich bin vor ein paar Tagen umgezogen. Furchtbar teuer, aber schönes Zimmer, ganz modern. Sie müssen mich mal besuchen! Zum Abendessen mit Korts und Nathan und Borowski. Nathan ist widerlich, aber er soll herauskriegen, ob ich auf der Beförderungsliste stehe. Loeb ist ein Mann, aber er kommt leider nicht. Welche Marke trinken Sie denn gern?«

      »Ich bin nicht anspruchsvoll.«

      »Na, hören Sie! Sie sollen in unseren Weinrestaurants besser bekannt sein als die Eingeborenen. Mit Ihnen kennt man sich nicht aus. Hi – hä – Wie finden Sie die Frauen hier?«

      »Keine Zeit, keine Zeit, um mir wirklich ein Urteil zu bilden.«

      »Na, Sie sind wenigstens nicht so wie der Nischan, dem die Schmock gut genug ist zum Poussieren. Sie ham noch Ehrgeiz. Wissen Sie schon von dem Ball?«

      »Nichts … was für ein Ball?«

      »Eine ausgesprochene Schnapsidee! Das Ministerium veranstaltet einen Ball im ›Hotel de l’Europe‹! Also stellen Sie sich das vor, die Banausen, der Pöschko und der Baier, diese schlecht angezogenen Philister, und die kleinen Mädchen dazu vom Stil der Sauberzweig. Es ist ja blöd. Gehn Sie da hin?«

      »Ich werde mich nach den andern richten.«

      »Na ja, das ist noch das Beste, was man tun kann. Glauben Sie, daß Grevenhagen zu so was kommt? Mit dem möcht’ ich mal tanzen … einen Tango … Ich hab’ ein neues Ballkleid … Spitze mit Unterkleid … vielleicht bring ich’s mal her … Sie ham sicher Geschmack …«

      »Danke für Ihr Zutrauen. Aber vergessen Sie Herrn Korts nicht. Er interessiert sich garantiert für Spitze und Unterkleid.«

      »Interessiert sich für das Kleid? Der versteht gar nichts. Für mich? Glaub’n Sie?«

      »Ich