Liselotte Welskopf-Henrich

Zwei Freunde


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machen Sie nur weiter …«

      »Wir waren eben zu dem Beschluß gekommen, Herr Ministerialdirektor, zunächst an einem praktischen Fall, unter Mitarbeit des Landrats, das Schulbeispiel einer Reform zu versuchen, sozusagen einen Musterbetrieb vorzuführen, das Staatsministerium wird dabei mitwirken; wir bleiben laufend in Verbindung.«

      »Ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet, Herr Kollege. Die Praxis ist das Wichtigste, das Ausschlaggebende! Wir müssen sofort ein Ergebnis aufweisen können! Ich bin dafür, mit allen interessierten Stellen Fühlung aufzunehmen. Haben Sie das schon getan? Wir müssen Gutachten haben, wir müssen Staub aufwirbeln, es muß von der Sache gesprochen werden! Ich bin dafür, einiges wenige auch in die Presse einfließen zu lassen … Das hier darf keine Bürokratenarbeit hinter den Kulissen werden.«

      Die Herren rauchten.

      Boschhofer ließ sich von Nischan die drei Blätter mit den Notizen Grevenhagens reichen.

      Er schien sie noch nicht zu kennen.

      »Aha, da ist schon etwas zusammengestellt. Wer hat denn das gemacht? Ah Sie, Herr Kollege, und auch Herr Wichmann? Oh! Frau Lundheimer hat wohl versäumt, mir das rechtzeitig auszuhändigen … Ja, sehr gut … ich sehe eben, Sie kommen zu dem Ergebnis … Es muß ein einfacher Schlüssel gefunden werden, ein Maßstab … aber das ist ja meine Idee, sagte ich nicht kürzlich zu Ihnen, ganz meine Idee … was ich immer vertreten habe. Sie erinnern sich, Kollege Nischan, nicht wahr?«

      Endlich kam das erwartete eifrige Nicken, das sich aus Grevenhagens steifem Nacken durchaus nicht ergeben wollte.

      »… das ist es, genau das, worauf wir hinaus müssen. Können Sie mir in einigen Tagen so etwas vorlegen?«

      »In einigen Monaten, Herr Ministerialdirektor.«

      »Sie machen Scherze. Das kann doch nicht so schwierig sein. Alarmieren Sie die statistischen Büros, verlangen Sie, was Sie brauchen! Wir müssen bis zu den nächsten Etatverhandlungen etwas Derartiges vorweisen! Etwas Neues, eine Tat, eine Reform, Ideen, verstehen Sie? Sie haben zuviel schüchterne Hemmungen, Herr Kollege! Mit einiger Großzügigkeit geht alles! Meinen Sie nicht auch, Herr von Linck?«

      »Wir waren schon zum Schluß gekommen, Herr Boschhofer, ehe Sie eintraten. Es wird wohl das zweckmäßigste sein, daß unser Kollege Grevenhagen, wie er beabsichtigte, Ihnen das Protokoll der Besprechung übergeben läßt. Sie werden daraus ersehen, welcher Weg dem Staatsministerium zur Zeit als der gangbarste erscheint.«

      Boschhofers Gesicht konnte, so breit und offen es schien, doch viel verbergen. Er blieb ruhig und blies Rauch aus.

      »So, meinen Sie, Herr von Linck. Aber so … Wenn Sie schon zu einer gemeinsamen Entschließung gekommen sind, werde ich mich darüber orientieren.« Boschhofer sprach weiter.

      Die Zigarrenkiste wurde noch einmal herumgereicht.

      Grevenhagen saß in einer Haltung vollendeter sachlicher Aufmerksamkeit, ein wenig vorgebeugt, als lausche er Boschhofers nicht abreißenden Ausführungen. Seine Augen waren ins Unbestimmte gerichtet.

      Es wurde langsam Mittag. Kaum eine Äußerung, nicht einmal ein Widerspruch, regte sich mehr zu Boschhofers Meinungen. Das Schweigen wirkte allmählich peinlich, auch der Sprecher schien es endlich zu bemerken.

      »Meine Herren, es tut mir leid, daß ich Sie so lange aufgehalten habe. Ich bin überzeugt, daß die Bearbeitung der Sache bei Herrn Grävenhagen in den allerbesten Händen liegt, und zwar ganz in meinem Sinne.«

      Grevenhagens Schultern ließen etwas wie eine dankende Verbeugung ahnen.

      Der mächtige Boschhofer erhob sich von dem schmalen Stuhl. Noch einen Augenblick stand er in ganzer Größe vor dem, der ihn verachtete. Er hatte den Stummel der vierten Zigarre in den kupfernen Aschenbecher gelegt, und seine Hand machte eine Bewegung, als ob sie auf dem vorgewölbten Leib nach einer schweren goldenen Berlocke fassen wolle. In Ermangelung dieses Anhaltspunktes sank die Pranke ungeschickt herunter. Der breite Kopf mit der tonsurartigen Glatze grüßte noch einmal im Rund.

      Grevenhagen erhob sich und geleitete Boschhofer hinaus. Als er allein zurückkam, stöhnte von Linck auf. »Menschenskind! Gehen wir zusammen eine Flasche Wein trinken? Das war wieder einmal eine Sitzung. Fünfmal länger als nötig …«

      »Darf ich Sie zu mir bitten, Linck? Sie werden heute zufällig einen alten Bekannten bei mir treffen …«

      »Ich nehme mit Dank an. Wie befindet sich Ihre Frau Gemahlin? Wir haben uns lange nicht mehr außerhalb der Amtsmauern gesehen …«

      Die Herren sprachen weiter. Nischan verabschiedete sich mit einem spitzen Lächeln, und Wichmann erschrak, als ihm die Gegenwart dieses Menschen wieder bewußt wurde, der alles gehört und beobachtet hatte und Boschhofer alles hinterbringen konnte.

      »Grevenhagen ist guter Laune«, flüsterte Korts Wichmann im halbdunklen Korridor zu. »Es ist heraus, daß er Ministerialdirigent wird. Vielleicht hebt er den Boschhofer doch noch aus dem Sattel …«

      »Ein solches Geschwätz ist auch nur in Ihrer Parteibude hier möglich.«

      Die Bemerkung kam von dem einen der Regierungsräte mit den Schmissen im Gesicht.

      Korts lachte kurz, aber Wichmann wuchs in die Höhe. Er fühlte »sein« Ministerium als Ganzes angegriffen.

      »Bitte daran zu denken, daß Sie hier mit Bewohnern dieser Bude sprechen«, gab er scharf zurück. »Ich habe noch kein Urteil, wie es bei Ihnen zugeht.«

      Man kam an dem erleuchteten Meldezimmer vorbei. Der Schein der elektrischen Birnen fiel auf die Vorübergehenden, auf Wichmanns entschlossenes Gesicht.

      »Meine Bemerkung war nicht persönlich gemeint, Herr Assessor. Begreifliche schlechte Laune nach langatmiger Verhandlung.«

      »Danke für diese Richtigstellung. Sie genügt mir.«

      »Ha, was wolle die Herrn auch noch mehr verlange in unserem ›staatliche Schauspielhaus‹?«

      Die Spannung löste sich in Heiterkeit.

      Die beiden fremden Regierungsräte schlossen sich der Mittagsrunde in der ›Stillen Klause‹ an. Fräulein Hüsch hatte neues Jagdwild; ihre abgleitende Handtasche wurde mit Eifer und Übung zurückgereicht. Korts, der sich nie danach bückte, schwoll in nicht ausgesprochener innerer Wirrnis rot an.

      Die folgenden Tage wechselten vom Allegro der Arbeit hinüber zum Andante. Wichmann sah häufiger aus seinem Fenster hinauf zu den Ulmenspitzen, die der Wind bewegte, und fand sich mit Geduld auch in die laufende Verwaltungsarbeit und in die kleineren Eigenheiten seines Chefs hinein. Er wußte, daß die Briefe und Aktenstücke mit einem breiten freien Rand zu schreiben waren und daß das Wort »hinsichtlich« in der Hälfte der Fälle, in der es auftauchte, gestrichen wurde. In Nachmittagsstunden, in denen Wichmanns Arbeitslust den zweiten Höhepunkt am Tage erreichte, pflegte er die zahlreichen Blätter hervorzuziehen, die Material zu der Bezirksreform enthielten, verglich und grübelte und verlangte weitere Auskünfte von zuständigen Stellen. Die telefonische Verbindung mit dem Regierungsrat des Staatsministeriums erwies sich mehr persönlich als sachlich fruchtbar. Wichmann fand viel Entgegenkommen und eine Achtung für seine Tätigkeit, die ihn in wohltuendes Staunen versetzte.

      Allmählich hatte er sich an den Gedanken gewöhnt, daß seine Ernennung zum Regierungsrat in kurzer Frist nicht mehr als recht und billig sei. Ja, die Vorstellung, daß er noch zurückbleiben könne, währenddie anderen aufrückten, wurde ihm nicht nur unwahrscheinlich, sie erschien fast unerträglich. Tag für Tag besprach die mittägliche Tafelrunde die erstaunliche Langsamkeit, mit der vorgeschlagene Ernennungen geprüft wurden, sowie die Unzulänglichkeit von Beamtengehältern. Unkontrollierbare Nachrichten über Veränderungen der »Liste« waren plötzlich da, erregten die Gemüter und wurden auf demselben Flüsterweg, auf dem sie gekommen waren, auch wieder dementiert. Inspektor Baier machte von Zeit zu Zeit Besuch bei dem jungen Assessor, um ihm das Leid seines ordnungsliebenden und schwachen Herzens zu klagen und zugleich über den neuesten Fußballänderkampf zu berichten. Ein Strauß roter Astern, von unbekannter Hand gestiftet, hatte