die kleinste Schraube nur mit Arbeitshandschuhen anfassen konnte. Die Monteure am Boden stöhnten bereits bei dieser Hitze, aber auf dem Dach war sie noch wesentlich gnadenloser, denn die Dachplatten reflektierte die Sonneneinstrahlung und verstärkte sie ungemein.
Um die Temperatur zu testen, schlugen wir auf einer Dachplatte einmal ein Ei auf und siehe da, es wurde tatsächlich ein Spiegelei daraus.
Der Sonnenbrand war mein täglicher Begleiter und ich war froh, dass ich mich so reichlich mit Sonnenschutzmitteln und heilendem Panthenolspray versorgt hatte. Nur langsam gewöhnte ich mich an die sengende Hitze und an das gleißende Sonnenlicht.
Vernünftiger wäre es natürlich gewesen, in langer Arbeitskleidung zu arbeiten, aber das war mir lästig und unangenehm. Ich musste mir deshalb im Verlauf meiner Montagetätigkeit im Irak von unserem Tropenarzt so manche Standpauke gefallen lassen.
Für die Hilfsarbeiten hatte unsere Firma Ägypter, Bengalen oder Chinesen angemietet. Die kamen mit der Hitze besser zurecht als die deutschen Monteure, trugen lange Arbeitskleidung und darüber oft noch eine Weste oder eine zusätzliche Jacke.
Um den Flüssigkeitshaushalt stabil zu halten, trank ich an einem Arbeitstag bis zu acht Liter Wasser, Saft oder Cola. Doch je mehr man trank, umso größer wurde der Durst. Eine Alternative war der gekühlte Tee, der nicht so süß war, wie die von den Arabern überaus beliebte Cola.
Mittags wurde unsere Baustelle mit warmem Essen versorgt, welches etwa vierzig Kilometer von der Baustelle entfernt im Zentrallager gekocht und in Thermokübeln auf die Baustelle geliefert wurde.
Mein erstes Essen auf der Baustelle „Muthana“ waren weiße Bohnen mit Samunen, kleine, aus Weißbrotteig gebackene Brote, die wie deutsche Brötchen schmeckten. Kartoffeln waren zu dieser Jahreszeit ein Engpass und wenn es mal welche gab, dann waren sie sehr teuer. Da wir für das Essen pro Tag nur dreihundert Fils bezahlten, war es für den Koch gar nicht so einfach, kostendeckend und für alle zufriedenstellend zu kochen.
Das Rindfleisch war ebenfalls sehr teuer und kostete pro Kilogramm auf dem Basar drei Dinare und achthundert Fils, also mehr als ein Drittel des monatlichen Beitrages eines Kollegen. Es war deshalb nötig, dass die Monteure aus Deutschland Fleisch mitbrachten, um die Küche zu unterstützen. Und so gab es eine betriebliche Anweisung, dass erstens die Teilnahme am Mittagessen Pflicht war und zweitens jeder Kollege drei Kilogramm Fleisch mitzubringen hatte.
Obwohl ich bei der Hitze nicht den größten Hunger verspürte, war es doch gut, ein warmes Essen zu bekommen, da man abends oft keine Lust hatte, sich selbst etwas zu kochen, und außerdem war das Mittagessen ein täglicher Meilenstein. Man wusste, wenn das Essen auf die Baustelle kam, erwartete uns eine Stunde Pause und bis zum Feierabend war es dann nicht mehr sehr lang.
Das Essen lieferte ein Kollege, ein Oberlausitzer, der mir vom ersten Augenblick an sympathisch war. Er war stets gut gelaunt und machte täglich seine Späßchen.
Dass er Klaus hieß, erfuhr ich erst sehr viel später, denn jeder Kollege sprach ihn nur mit seinem Spitznamen „Finger“ an.
Das kam daher, dass der Mann zwei Lieblingsaussprüche hatte.
Der Erste war: „Nu zieh’ock amol ään Finger“.
Das war lupenreiner Oberlausitzer Dialekt und bedeutete „Beeile dich mal“, oder er sagte: „Dir fehlt wohl an Finger“, was bedeuten sollte „Du spinnst wohl“.
Der Finger war ein prima Typ, freundlich und bei allen beliebt. Seine Haare waren immer zerzaust, als könnte kein Kamm sie bewältigen, und er hatte einen Schnauzbart, der ihm an den Mundwinkeln weit herunter hing und an einen verschmitzten Bauern aus der ungarischen Puszta erinnerte.
Wenn das Essen einmal nicht so toll war und die Kollegen maulten, dann hatte er stets ein paar lustige Sprüche zur Hand, mit denen er die erhitzten Gemüter besänftigte. Sein Vorrat an Witzen schien unerschöpflich zu sein und sein Erscheinen auf der Baustelle löste bei den Kollegen stets gute Laune aus. Klaus gehörte zu den Glücklichen, die im Zentrallager wohnten und einen besonderen Status genossen.
Außer unsere Baustelle versorgte er mit seinem kleinen Lkw Toyota „Dyna“ noch zwei weitere Baustellen und so war er immer in Eile.
Nach der Mittagspause ging es dann wieder auf das Dach und man war froh, wenn man es ab und zu verlassen konnte, um etwas zu trinken oder um Material zu holen und sich dabei ein wenig zu akklimatisieren.
So ein Arbeitstag war hart und man sehnte nach acht Stunden den Feierabend herbei.
Zu Hause angekommen, erfrischten wir uns unter einer Gartendusche. Unser zweites Haus, das sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand, besaß sogar einen Swimmingpool, der allerdings immer überfüllt war und mich deshalb nicht sehr reizte.
Gegen Abend gingen mein Zimmerkollege Richard und ich oft zur Bushaltestelle, in unmittelbarer Nähe unserer Siedlung, und fuhren mit dem Bus nach Bagdad City.
Die Busse gefielen mir auf Anhieb. Es waren rote Doppelstockbusse vom Typ „Vanhool“, wie man sie ähnlich auch durch Londons Straßen fahren sieht. Die Eingangs- und Ausgangstüren fehlten allerdings.
Über eine Wendeltreppe gelangte man auf das Oberdeck, von dem aus man natürlich den besten Überblick hatte und ein wenig Fahrtwind abbekam, und ich genoss jede Fahrt.
Kurz vor dem Ortsausgang von Abu Ghraib bogen wir nach rechts ab und fuhren an einer hunderte Meter langen, braunen, etwa sechs Meter hohen Mauer entlang und obwohl ich bei der ersten Fahrt noch nicht wusste, was sich hinter dieser Mauer verbarg, hatte ich ein eigenartiges, beklemmendes Gefühl.
Von Richard erfuhr ich dann, dass sich hinter dieser Mauer die größte Strafanstalt des Landes befand, das Kasr Al Nihaya Gefängnis. Dieses Gefängnis spielte in der Geschichte des Landes eine überaus unrühmliche Rolle. Das galt für die Vergangenheit, änderte sich in der Gegenwart nicht und sollte Jahre nach meinem Aufenthalt im Irak den schmählichen Höhepunkt erfahren.
Von meinem ersten irakischen Geld kaufte ich mir in Bagdad am nächsten Stand natürlich erst einmal eine Sonnenbrille. Anschließend gingen wir auf dem Rashid entlang, der geschichtsträchtigsten Straße von Bagdad und der zugleich ältesten Handelsstraße der Welt, und ich spürte sehr stark das orientalische Flair, das mich an jeder Stelle umgab.
Der Rashid ist über drei Kilometer lang und entlang dieser Straße spendeten Säulengänge Schatten und etwas Kühle. Die entstand, indem die Gehwege von den Händlern immer wieder mit Wasser benetzt wurden. Durch den anschließenden Verdunstungsvorgang wurde eine angenehme Temperatur erzeugt.
Ein Geschäft reihte sich an das andere und auf dem Rashid war der Orient noch so, wie man ihn sich aus Reiseberichten und Büchern vorstellte – farbig, laut, nach tausend Gerüchen duftend und voller Autos und Menschen, die sich durch dieses Chaos drängelten.
Bei meinem ersten Besuch, als alles noch neu für mich war, nahm ich alle Eindrücke mit Verwunderung und Erstaunen wahr.
Nachdem ich diesen Ort öfter besucht hatte, ließ ich mich einfach von dem Geschehen treiben, tauchte in das bunte Gedränge der vielen Menschen ein und genoss das unbeschreibliche Gefühl, auf historischem Boden zu schlendern, die verschiedenen Schaufenster zu bestaunen oder einfach nur planlos umher zu bummeln und bei einem der zahlreichen Limonadenhändler eine gekühlte Limonade oder einen eiskalten Fruchtsaft zu trinken. An jenem Tag hatten wir mit Richard jedoch ein bestimmtes Ziel.
Ich wollte mir eine schöne Armbanduhr kaufen, hatte allerdings noch keine rechte Vorstellung, wie sie aussehen sollte. Schließlich blieben wir an einem Uhrengeschäft stehen und bewunderten die übergroße Auswahl.
Ich hatte bis zu jenem Zeitpunkt noch nie ein Uhrengeschäft mit einem so überwältigenden Angebot an Armbanduhren gesehen. Der Händler saß in seinem Geschäft hinter der Ladentheke, bei weit geöffneter Ladentür.
Richard und ich standen davor und unterhielten uns über die verschiedenen Uhrenmodelle. Währenddessen war uns nicht aufgefallen, dass uns der Händler die ganze Zeit beobachtet und uns offenbar bei unserem Gespräch zugehört hatte, obwohl es in deutscher