Roman Sandgruber

Traumzeit für Millionäre


Скачать книгу

Als er 1913 im Alter von 91 Jahren starb, galt er als deren verkörperte Tradition und als Symbol des wirtschaftlichen Aufstiegs Österreichs im letzten Jahrhundert.66 Der Sektionschef Richard Schüller bezeichnete ihn nicht nur als den erfahrensten, sondern auch als den besterzogenen der Wiener Bankiers. Von ihm wie von Taussig und Sándor Hatvan habe er manches gelernt.67 Seine vorsichtig abwägende Klugheit war sprichwörtlich: „Als die Regierung und die Direktoren der Credit-Anstalt sich an einer chinesischen Anleihe beteiligen wollten, sagten sie: Österreich muss auch einen Platz an der Sonne haben. Gomperz dazu: Mir genügt ein guter Platz im Schatten.“68 Er wohnte im Palais Todesco, wo seine Schwester Sophie, verheiratet mit dem Bankier und Baron Eduard Todesco, den berühmten Salon führte, in welchem die bekanntesten Wirtschaftsführer, Politiker und Künstler verkehrten. Sein Vermögen wurde bei seinem Ableben im Jahr 1913 auf 11,2 Millionen Kronen geschätzt.69 1857 hatte ihm Philipp Gomperz ein Vermögen von 309.265 fl CM vererbt, nur 7 Prozent dessen, was Max 1913 hinterließ.

      Gleich zwei Brüder Blum besetzten Leitungspositionen bei der Credit-Anstalt und bei der Rothschild-Bank. Julius Blum, auch „Blum-Pascha“ genannt, war im Jahr 1910 Vizepräsident der Anstalt. Mit einem Einkommen von 312.747 Kronen hatte der konfessionslose Weltmann eine bewegte Karriere hinter sich: Nach Lehrjahren in der Triester Filiale der Creditanstalt, dann als Direktor der neugegründeten Austro-Egyptian Bank, wechselte er von 1879 bis 1890 in den ägyptischen Staatsdienst als Unterstaatssekretär für Finanzen, von wo sein Pascha-Titel herrührte. 1890 kehrte er in die Direktion der CA zurück. 1913, nach dem Tode von Gomperz, übernahm er die Funktion des Anstaltspräsidenten.70 James Joyce führt ihn im Ulysses als Cousin seiner gleichnamigen Hauptfigur, des Zahnarztes Dr. Bloom, ein. Dieser benutzt den berühmten Namen, um sich Zutritt in die elitären Geldkreise zu verschaffen, und trägt dabei ordentlich dick auf: „Dr. Bloom, Leopold, dental surgeon. You have heard of von Blum Pasha. Umpteen millions. Donnerwetter! Owns half Austria. Egypt. Cousin.“71 Blum auf gleiche Ebene mit Rothschild, Guggenheim, Hirsch, Montefiore, Morgan oder Rockefeller zu stellen, die Vermögen in sechsstelliger Höhe besaßen, ist natürlich nur im Roman möglich, belegt aber seine Bekanntheit im angelsächsischen Raum. Blums Bruder Moriz (Maurice) war ebenfalls im Ägyptischen Finanzministerium tätig gewesen, arbeitete lang am Pariser Bankplatz, bereiste den Fernen Osten, war 1891 vom Haus Rothschild mit der Liquidation seiner Triestiner Interessen beauftragt worden und war seit 1907 Prokurist des Wiener Hauses Rothschild.

      Julius Nossal, ein weiterer CA-Manager, hatte ebenfalls eine spektakuläre Karriere durchlaufen, die durch seinen frühen Tod im Alter von 47 Jahren jäh beendet wurde. Er entstammte einer aus Moldauthein (Týn na Vltavou/​Böhmen) nach Linz zugewanderten jüdischen Kaufmannsfamilie. Sein Vater, der Kaufmann Simon Nossal, seine Mutter Marie, eine geborene Koschierer, und mehrere Geschwister und Verwandte liegen auf dem Linzer jüdischen Friedhof begraben. Nossal versteuerte zuletzt ein Jahreseinkommen von 198.496 Kronen. Neunzehn Jahre war er im Dienst der CA gestanden, nachdem er im Dienst des Bankhauses Thorsch und der Anglo-Österreichischen Bank seine Lehrerfahrungen gesammelt hatte. Von der Leitung der Triester Filiale der Anglo-Bank wechselte er in die Wiener Zentrale der Credit-Anstalt, war 1893 Direktorstellvertreter und 1902, nach dem Tod von Gustav v. Mauthner, Direktor. Seine spektakuläre Karriere und seinen Einstieg in den Geldadel Wiens verdankte er neben seiner fraglosen Tüchtigkeit auch seiner 1892 erfolgten Heirat mit Lori Koritschoner, der Tochter des ehemaligen Direktors der Österreichischen Länderbank Moritz Koritschoner. Diese Verbindung katapultierte ihn nicht nur in die höchsten Bankenkreise Wiens, sondern verschaffte ihm auch Zutritt in die Wiener Kulturelite. Koritschoners drei Töchter Stefanie, Lili und Lori verkehrten mit den künstlerischen Eliten des Landes. Stefanie, verheiratet mit dem Chefadministrator und Redakteur der Neuen Freien Presse Dr. Heinrich Glogau, war eine bekannte Kochbuchautorin. Lili, verheiratet mit dem Sohn des berühmten Schauspielers Sonnenthal, war ihrerseits die Schwiegermutter des Komponisten Erich Wolfgang Korngold und mit Arthur Schnitzler eng verbunden. Nossal hinterließ bei seinem frühen Tod neben der jungen Witwe zwei minderjährige Söhne, die 1939 nach Australien emigrieren konnten. Lori Nossal-Koritschoner hingegen wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und starb dort am 5. Dezember 1942.72

       Der umstrittene Gouverneur der Boden-Credit-Anstalt: Rudolf Sieghart. Foto von Ferdinand Schmutzer, 1918.

      Der Präsident der Anglobank Karl Morawitz gehörte ebenfalls zu den prägendsten Persönlichkeiten des österreichischen Bankwesens: Als Kettenraucher (sein 1904 von Philipp de Lászlo gemaltes Porträt zeigt ihn mit Zigarette), Workaholic und scharfzüngiger Kritiker gefürchtet, hatte auch er eine bemerkenswerte internationale Karriere hinter sich, bevor er an die Spitze der Anglobank aufrückte. Nach der Handelsschule war er nach Dresden gegangen, dann weiter nach Paris, zur Banque Imperiale Ottomane, war Sekretär bei Maurice Hirsch, dem „Türkenhirsch“, und später dessen Direktor der Orientbahnen. 1885 übersiedelte er endgültig nach Wien, wurde 1893 Generalrat und 1906 Präsident der Anglobank. 1913 folgte die Nobilitierung. Er hatte Wohnsitze in Wien, London, Paris und Brüssel und unterhielt enge Beziehungen zu englischen und französischen Banken und zu den Mächtigen des Osmanischen Reichs.73

      Wilhelm Kux war Präsident, Max Feilchenfeld Vizepräsident und Felix Stransky Direktor der Niederösterreichischen Escompte-Gesellschaft. Kux, dem Freundeskreis von Karl Wittgenstein zurechenbar, hat seinen Namen aufs Innigste mit dem Aufstieg des von ihm geleiteten Instituts von der gediegenen Mittelbank zur Großbank verknüpft. Noch stärker mit Wittgenstein verbunden war Feilchenfeld. Aus Frankfurt an der Oder gebürtig, war er zum typischen Österreicher geworden und zum Katholizismus übergetreten. Carl Fürstenberg stellte ihn in seinen Erinnerungen als das Musterbeispiel der Verschmelzung norddeutscher Schärfe und Gründlichkeit mit dem weicheren und phantasievolleren Wiener Temperament zu einer Melange ganz besonderer Art hin. „Er trug einen Spitzbart, war klein von Figur und wurde mit dem Alter noch etwas kleiner. Er und sein Busenfreund, der Hüne Kestranek, bildeten ein merkwürdiges Paar … Don Quichotte und Sancho Pansa konnten keine würdigere Verkörperung finden.“74 Seine zwischen 1906 und 1909 in St. Gilgen errichtete Villa Feilchenfeld, aus Haupthaus, Pförtnerhaus, Glashaus, Boots- und Badehaus, Gartenpavillon, Kegelbahn, Eiskelleranlage und Tennisplatz bestehend, beeindruckt noch heute als Hotel Billroth durch die riesigen Dimensionen. Die im nahen Brunnwinkel seit mehreren Jahrzehnten in schlichten Bauernhäusern urlaubenden, der Wissenschaft verbundenen Familien Exner und Frisch, der auch der Nobelpreisträger Karl von Frisch zugehörte, waren entsetzt über solch neureiches Protzertum. Auch Feilchenfeld galt wie alle diese Manager als rastlos tätig, bis zum abrupten Ende. Im Juni 1922 stürzte er als Siebzigjähriger auf dem Heimweg von der Bank in einen nicht ordnungsgemäß abgesicherten Schacht zu Tode.

      Maximilian Krassny Edler von Krassien, Direktor der Niederösterreichischen Escomptegesellschaft, begann seine Karriere beim Bankhaus Finali & Co in Florenz, später in Paris bei Horace Landau, bis er zum stellvertretenden Generaldirektor der Escomptegesellschaft aufrückte. 1911 in den erblichen Adelsstand erhoben, war er einer der großen Gegenspieler des Hauses Rothschild. Von seinem Branchenkollegen Richard Kola wird er als „persönlich von ausgesuchter Eleganz und großer Liebenswürdigkeit“ beschrieben, „geschäftlich aber von rücksichtsloser Energie und jedem Kompromiss abhold … “75 Laut Compass 1911 hatte er insgesamt 23 Verwaltungsratsposten.

      Die Länderbank, die als Exponent katholisch-konservativer Interessen galt und mit den Christlichsozialen eng vernetzt war, war 1898 von Bürgermeister Karl Lueger zur Hausbank der Gemeinde Wien gemacht geworden und finanzierte deren Kommunalprogramm. Nichtsdestotrotz hatte sie nahezu ausschließlich jüdische Direktoren: Der in Ungarisch Ostrau in ärmlichsten Verhältnissen geborene Samuel Hahn war um die Jahrhundertmitte in die Haupt- und Residenzstadt Wien gekommen, wo er zuerst in der Leopoldstadt wohnte und es mit Zähigkeit und Fleiß zum Oberinspektor der Südbahn brachte. Dort lernte er Paul-Eugène Bontoux kennen. Bei der Gründung der Länderbank machte ihn dieser zum Generaldirektor, ein Amt, das er siebzehn Jahre bis zu seiner Demissionierung im Jahre 1897 innehaben sollte.76 Hahn zog – dies verdeutlicht seinen sozialen Aufstieg – von der Leopoldstadt in die Innere Stadt, wo er zunächst in der Elisabethstraße, später in der Walfischgasse wohnte. Seine von Otto Wagner 1885 in Baden errichtete Villa beeindruckt bis heute durch ihre