Reinhard Habeck

Ungelöste Rätsel


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zieht Magnete an, misst 24 cm in der Länge, 18 cm in der Breite und ist 6 cm dick. Die Vorderseite zeigt unterschiedliche miteinander verschmolzene Gesteinsformen, die die Konturen eines bärtigen Gesichtes bilden. Manche Betrachter erinnert das Antlitz an das Aussehen jenes Mannes, das auf dem Turiner Grabtuch wiedergegeben ist. Für Gläubige ist es ja das Leichentuch, in dem Jesus von Nazareth nach der Kreuzigung begraben wurde. Die Rückseite des Steinfundes gibt ebenfalls Rätsel auf: Im Gestein ist eine linienförmige Einlegearbeit zu sehen, die in gewundener Schlangenform in die Spitze eines Dreiecks mündet. In den 1980er-Jahren wurde das Relikt gemeinsam mit rund 300 anderen grotesken Kunstobjekten unbekannten Ursprungs in einer verlassenen Goldmine entdeckt und befindet sich heute in Privatbesitz (siehe Farbabbildung S. 57).

       Antlitz auf dem Turiner Grabtuch.

      DAS SEEFELDER ALTARGEHEIMNIS

      Es gibt Legenden mit sichtbaren Spuren, wo Menschen unvermittelt im weich gewordenen Steinboden versanken. Ein Vorfall hat sich als Altargeheimnis im österreichischen Wallfahrtsort Seefeld (17 Kilometer westlich von Innsbruck) erhalten. Die Chronik erzählt, dass am 25. März 1384 ein Ritter namens Oswald Milser sich nicht mit einer kleinen Hostie begnügen wollte, wie sie fürs arme Volk üblich war, sondern das „große Sakrament“ forderte. Aus heutiger Sicht ein lächerliches Ansinnen, damals jedoch ein unverzeihlicher Frevel. Der Pfarrer hatte eine Heidenangst vor dem Rüpel, reichte ihm widerwillig die große Hostie, und dann soll der Sage nach das Unfassbare passiert sein: Die Oblate begann zu bluten und Milser versank einen halben Meter tief in der Erde. In Panik hielt er sich am ebenfalls butterweich gewordenen Altarstein fest. Dort wurden Finger und Handfläche als steinerner Abdruck verewigt. Erst als der Priester die blutige, mit Bisszeichen versehene Hostie aus dem Mund des Ritters nahm, festigte sich der Boden wieder. In der Seefelder Pfarrkirche St. Oswald wird diese Wunderhostie in der Blutskapelle aufbewahrt. Wer dem Autor folgt und sich beim Schatzhüter Pfarrer Egon Pfeifer höflich nach dem Steinrätsel erkundigt, dem wird das Geheimnis enthüllt. Das Tuch wird vom Hochaltar entfernt und zum Vorschein kommen, an einer Kante Spuren der Vertiefung, in die Finger und Handfläche passen. Daneben am Kirchenboden hinter Gittern geschützt: jene Stelle, wo – der Legende nach – Oswald Milser knöcheltief im Erdreich versunken sein soll. Die Abdrücke seiner Schuhsohlen sind noch heute sichtbar.

       Der Legende nach versank 1384 Ritter Oswald Milser knietief im plötzlich weich gewordenen Stein. Spuren seiner Hand- und Fußabdrücke sind am Fußboden und an der Altarkante der Pfarrkirche Seefeld in Tirol sichtbar.

      NOCH MEHR HAND- UND FUSSSPUREN

       Schwarzer Tritt am Boden der Eingangshalle der Münchner Frauenkirche. Der Sage nach stammt er vom Teufel.

      Weniger spektakulär, aber genauso merkwürdig sind der „Teufelstritt“ im Boden der Liebfrauenkirche in München, die Abdrücke der angeblichen Hände der Jungfrau Maria in der Tiroler Erscheinungsstätte „Maria Tax“ in Stans, der wie ein Polstersessel geformte „Hemmastein“ im Dom von Gurk in Kärnten, der fußförmige „Teigstein“ in der Kirche von St. Wolfgang bei Altenmarkt an der Alz in Bayern oder der „Gallusstein“ bei der Pfarrkirche zu Arbon im Schweizer Kanton Thurgau. Dort befindet sich auf der Westseite der Galluskapelle eine unscheinbare Nische mit einer eingemauerten Steinplatte. Auf ihr sind zwei fußartige Vertiefungen hinterlassen, die vom heiligen Gallus stammen sollen. Die Sage erzählt, der Namenspatron der Stadt St. Gallen habe im Jahr 637 in Arbon gegen den leibhaftigen Höllenfürst gekämpft. Dabei hätte sich Beelzebub in einen Bären verwandelt und beim hitzigen Gefecht sei dann der Boden weich geworden. Als sichtbares Andenken für diese heilige Prügelei wären die Fußabdrücke des Gottesmannes zurückgeblieben.

      NATÜRLICHE UND KÜNSTLICHE ZEICHEN

      Der fromme Glaube an märchenhafte Episoden aus dem Heiligenlexikon hat an Überzeugungskraft eingebüßt. Wir wissen längst, dass versteinerte Wunder meist eine natürliche Ursache haben. Dazu zählen Schalen, Wannen und Mulden, die von Naturfreunden gerne als „Opfersteine“ oder „Altarsteine“ bezeichnet werden. Es gibt ebenso sonderbare Höhlungen mit flachen und tiefen Lösungsrinnen, die durch fließendes Niederschlagswasser entstehen. Der Fachmann nennt diesen Ablauf „Karren“. Beim Phänomen der Schalensteine reicht diese Erklärung aber nicht aus. Natürliche Auswaschungen können solche Mulden zwar entstehen lassen, doch die meisten der bizarren Steinformen sind künstlich geschaffene Vertiefungen. Sie sind in unterschiedlicher Größe und Form (von winzigen Näpfchen bis zu einem halben Meter im Durchmesser) auf Felsplatten, Steinwänden und bei Megalithgräbern von Menschen hinterlassen worden. Der Ursprung der Schalensteine reicht zurück bis in eiszeitliche Epochen.

      Schalenstein in Kautzen, Niederösterreich

      Archäologen rätseln über Sinn und Zweck dieser Mulden, die mitunter durch Linien oder geometrische Muster miteinander verbunden sind. Die häufigsten Erklärungsversuche reichen von Kalender, Fruchtbarkeitssymbolik und Wegweiser bis zu Darstellungen von Sternbildern. Es gibt prähistorische Schalensteine, manche künstlich geschaffen, andere natürlichen Ursprungs, die später zu Fußabdrücken christlicher Heiliger erklärt wurden. Beispiele dafür sind der Magnustritt im bayerischen Füssen oder der Christophorus-Stein bei Harmannstein im nördlichen Waldviertel. Dort markiert er auf dem 836 Meter hohen Johannesberg den Eingang zur Johanneskapelle.

       Schalenstein-Rätsel aus Sonnenberg/​Südtirol: Wozu dienten die künstlichen Vertiefungen?

      Die Herkunft und Bedeutung vieler alter Kultsteine ist umstritten. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es bei einigen Relikten tatsächlich einen Zusammenhang mit der Missionstätigkeit heiliger Männer und Frauen gibt. Viele dieser merkwürdigen Gebilde verbindet eine Gemeinsamkeit: Sie sollen wundersame Heilkräfte besitzen und hatten offenbar bereits in vorchristlicher Zeit eine besondere Bedeutung. Andere wurden wegen ihrer „heidnischen“ Vergangenheit verteufelt. Es gibt viele Belege dafür, dass erstarrte Steinwunder einst auf prähistorischen Kultstätten standen, lange bevor sie im Zuge der Christianisierung eine neue Deutung erhielten.

      Ein solch ungewöhnlicher Platz ist der „Hängende Stein“ bei Unterkirchbach im nördlichen Wienerwald, drei Kilometer südöstlich von Königstetten. Der mächtige Sandsteinblock liegt etwas versteckt im Dickicht und scheint über einem Steilhang förmlich in der Luft zu schweben. Strahlenforscher verspüren an diesem energiereichen „Kraftplatz“ verstärktes Pendel- und Rutenzucken. Geologen nehmen an, dass die Erosion durch Wind und Wasser zur Entstehung der grotesken Form geführt hat. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass unsere Urahnen bei der Bearbeitung etwas mitgeholfen haben. Heißt es doch, dass der „Hängende Stein“ einst ein heidnischer Opferstein gewesen sein soll. Was wurde geopfert und wie? Beachtenswert sind auf der felsigen Oberfläche zahlreiche menschliche „Visitenkarten“. Dazu zählen Sitzmulde, Schalenstein und Näpfchen aus archaischer Zeit. Daneben sind aber ebenso „Verschönerungen“ aus jüngeren Epochen erkennbar: Umrisse einer Taube, eine Herzform, Initialen, Jahreszahlen und ein Hakenkreuz. Dem Bergsteiger, Vielschreiber und Amateurarchäologen Karl Lukan (1923 – 2014) blieb zeitlebens kein sonderbarer Kultplatz der Alpenregion verborgen. Die kulturhistorische Forschung verdankt seiner Pionierarbeit viel. Ohne Karl Lukans Neugier und Wissbegier wären viele alte Kunst- und Kulturrelikte längst in Vergessenheit geraten. Über