der Geschäftspartner anmeldet oder unliebsame Kunden hinauskomplimentiert. Mit Hilfe der Verkehrsbank, die zu den führenden Wiener Finanzhäusern gehört, und dem Buchhalter Karl Rosenberg hat Bosel auch seine Buchführung in Ordnung gebracht, die lange Zeit recht salopp geführt wurde.20 So etwas kann sich der angehende Finanzkrösus nicht mehr leisten. Er ist im Big Business angekommen.
Bosel spürt jedoch, dass er für seinen Expansionsdrang mehr Knowhow und Kontakte braucht. Der nimmermüde Geschäftsmann wirbt daher von staatlichen Einrichtungen wie der Volksbekleidungsstelle oder der Devisenzentrale Mitarbeiter ab. Diese Leute versprechen sich im Windschatten des Aufsteigers höhere Gehälter als im karg entlohnten Staatsdienst. Neben dem Diplomaten Richard Oppenheimer-Marnholm holt Bosel auch zwei Sektionschefs in seinen wachsenden „Hofstaat“. Einer der beiden Herren wird der Majordomus für alle Diener, Referenten und Sekretäre in der Bosel’schen Firmenkanzlei. Der andere Sektionschef wird als Spezialberater und Deutschlehrer eingestellt. Er soll Bosel, der Hemmungen hat, in einem größeren Kreis vor anderen zu sprechen, den rhetorischen Schliff verpassen.21
Seinen wichtigsten Vertrauensmann hat Bosel bereits 1917 kennengelernt. Es ist dies der Anwalt Wolfgang Dawid, den es als Kriegsflüchtling aus der ukrainischen Stadt Czernowitz nach Wien verschlagen hat. Dawid wird Bosels engster Rechtsberater, sein Generalbevollmächtigter in Firmen und Aufsichtsräten sowie sein Mittelsmann bei heiklen Verhandlungen. Dass sein Kumpan mit dem christlich-sozialen Handelsminister Eduard Heinl befreundet ist, hat Bosel bei der Erlangung des Kommerzialratstitels geholfen. Zwei Jahrzehnte lang werden Bosel und Dawid beruflich durch dick und dünn gehen.22
Nach seinem Rückzug aus den Versorgungsbetrieben der Polizei baut Bosel still und leise seine Geschäfte aus. Mitte 1919 tritt der Kronen-Milliardär erneut als Unternehmensgründer in Erscheinung. Die Firma, die er bis dahin hatte, war noch der Gemischtwaren-Großhandel aus Kriegszeiten. Nun macht Bosel ein richtiges Handelshaus auf – mit dem vielsagenden Namen „Omnia“. Geschäftszweck des Unternehmens sind Import-Export-Geschäfte aller Art mit Waren quer durch den Gemüsegarten. Geschäftsführer und Mitgesellschafter ist der Wiener Karl Landeis, der viele Jahre später im Leben von Bosels Freundin Ilona Schulz noch eine wichtige Rolle spielen wird.
Bosel bringt mit der Omnia einträgliche Deals im staatsnahen Bereich zustande, indem er bei der Verwertung übrig gebliebener Armeebestände mitmischt und gehortete Textilien verkauft. Als das erste Geschäftsjahr vorbei ist, steigt Bosel von der Verkehrsbank auf die Länderbank als Kreditgeber um, bevor sein Handelshaus in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wird. Kritische Beobachter sagen später, dass Bosel nicht als „Schieber“ gelten wollte und sich daher hinter der Omnia versteckt hätte.23
Über das Handelsunternehmen, das sich am Friedrich-Schmidt-Platz Nummer 5 unweit vom Wiener Rathaus einquartiert, dringt nur wenig nach außen. Länderbank-Generaldirektor Markus Rotter und der christlich-soziale Minister Heinrich Mataja mischen im Hintergrund mit. Gehandelt wird nicht nur mit Textilien, sondern auch mit Nahrungsmitteln, Kohle und Naphtalin. Dieser Stoff wird damals zur Herstellung von Treibstoffzusätzen und Mottenkugeln verwendet.24
Zu einer unheimlichen Geldmaschine entwickelt sich die Omnia aber durch ihre Tabakimporte. Ende 1921 sichert sich Bosel Lieferverträge mit der staatlichen österreichischen Tabakregie, dem Vorläuferunternehmen der Austria Tabak. Es geht um die Einfuhr von 2.000 Tonnen bulgarischem Rohtabak. Zur Relation: Österreich verbraucht damals in etwa 14.000 Tonnen Rohtabak pro Jahr. Die Omnia fädelt einen großangelegten Vertrag ein, wodurch andere Tabakhändler das Nachsehen haben. Österreich wird für Bulgarien der wichtigste Tabak-Abnehmer. Bosel bekommt dafür 1923 einen bulgarischen Orden verliehen – das Komturkreuz mit dem Stern.25
Die Affäre um das „Hortensia-Diadem“
Schon früh reichen die wirtschaftlichen Verbindungen der Omnia weit über die Staatsgrenzen hinaus. Bei einem Deal mit spanischen Geschäftspartnern verstrickt sich Bosel in einen Kriminalfall um ein mysteriöses Schmuckstück. Diese Affäre wird ihn schwer in Bedrängnis bringen und 17 Jahre später sogar ein Fall für den Staatsanwalt sein. Die Rede ist vom geheimnisvollen „Hortensia-Diadem“, das 1920 unter merkwürdigen Umständen im Wiener Auktionshaus „Dorotheum“ versteigert worden ist.
Das Hortensia-Diadem war ein legendäres Schmuckstück, das der französische Kaiser Napoleon Bonaparte in einer Pariser Juwelierwerkstätte als Hochzeitsgeschenk für seine Stieftochter Hortense de Beauharnais anfertigen ließ. Hortense war die Tochter des auf der Guillotine hingerichteten französischen Revolutionsgenerals Alexandre de Beauharnais. Dieser hatte sich schon relativ früh von seiner Frau Joséphine getrennt, die 1796 in zweiter Ehe Napoleon heiratete und acht Jahre später neben ihrem Mann in Paris zur Kaiserin gekrönt wurde. Auch nach seiner Scheidung von Joséphine hatte Napoleon viel für seine Stieftochter übrig. Hortense heiratete Bonapartes Bruder Ludwig und wurde so von 1806 bis 1810 Königin von Holland. Damit erlangte das Hortensia-Diadem in Holland Kronjuwelen-Status.26
Nachdem Hortense 1837 in der Schweiz gestorben war, kam das berühmte Diadem in den Besitz der italienischen Linie des Hauses Habsburg-Lothringen. Das prächtige Geschmeide bestand aus 300 Karat schweren Brillanten, die in Goldblätter und Hortensia-Blumen eingefasst waren. Vor dem Ersten Weltkrieg gehörte das Diadem Erzherzog Leopold Salvator von Österreich-Toskana, der mit der spanischen Prinzessin Blanca de Borbón verheiratet war.
1919 verlagert Leopold Salvator seinen Wohnsitz nach Barcelona. Weil das Hortensia-Diadem bei einem Hauslehrer in Österreich versteckt war, damit es nicht von der Republik konfisziert werden konnte, sollte es der ehemalige Marineoffizier Josef Korwin unbemerkt nach Spanien holen. Korwin und ein Geschäftspartner kommen dabei auf die Idee, sich den Familienschmuck zur Finanzierung von Export-Import-Geschäften mit Sigmund Bosels Omnia „auszuborgen“. Das Diadem wird für einen Kredit im Wiener Dorotheum verpfändet, die Omnia bekommt den Pfandschein in die Hand.27 Als der Schwindel auffliegt, schrillen bei den rechtmäßigen Eigentümern des Diadems in Spanien die Alarmglocken. Der Familienschmuck liegt schutzlos in einem Pfandleihhaus in Österreich. Nun zählt jeder Tag. Leopold Salvators Sohn Rainer schaltet Polizeipräsident Schober ein und macht ihm klar, dass sich das Diadem unrechtmäßigerweise im Dorotheum befindet. Schober sorgt dafür, dass das Schmuckstück gesperrt wird und nicht versteigert werden darf. In der Zwischenzeit versucht die Adelsfamilie, das nötige Geld zusammenzukratzen, um das Diadem auszulösen. Als der damalige Dorotheum-Direktor Hallama aber auf Sommerurlaub geht, wird das Diadem am 7. Juli 1920 „unabsichtlich“ in eine Versteigerung eingebracht und günstig einem Unbekannten zugewiesen. Die Polizei leitet Ermittlungen ein, die zur Vermutung führen, dass Bosel das Schmuckstück über einen Strohmann ersteigert hat. Den Beweis dafür findet man aber nicht, die Affäre verschwindet in der Versenkung. Das Hortensia-Diadem bleibt wie vom Erdboden verschluckt.
Die große Stunde der Schnäppchenjäger
Die Omnia ist für Sigmund Bosel während der Inflationszeit nicht nur ein Gewinnbringer, sondern eine sprudelnde Devisenquelle. Das ausländische Geld verschafft ihm eine immer größere Hebelwirkung bei Krediten, mit denen er in verschiedenen Wiener Stadtteilen Zinshäuser in guten Lagen erwirbt. Bosel hat auch Übernahmegelüste am österreichischen Kaufhaus-Sektor. Man kann sich gut vorstellen, dass er innerlich darauf brennt, sich eines der großen Modehäuser einzuverleiben, zu denen er einst als unbedeutender Wäschehändler neidvoll aufgeblickt hat. Die Traditionsfirmen, die er aufkaufen will, sind das Modehaus Zwieback und das Warenhaus Gerngroß, das vor dem Ersten Weltkrieg der größte Shoppingtempel der Monarchie