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Die Wiener müssen indes mitansehen, wie sich ihre inflationsgeplagte Stadt ab 1920 zu einem Einkaufsparadies für reich gewordene Inländer und zahlungskräftige Ausländer entwickelt. Sogar arbeitslose Briten fahren scharenweise nach Wien und Salzburg, weil sie hier in den feinen Hotels mit ihrem Arbeitslosengeld fürstlich absteigen können. Wer damals als Tourist oder Spekulant nach Österreich kommt, erlebt schnell, „dass man ja in diesem armseligen Wien umsonst leben kann“.29
Durch den lächerlichen Umrechnungskurs der Krone gibt es auch Immobilien und Luxuswaren zum Diskontpreis. Hellmut Andics hat den Räumungsverkauf in den verarmten bürgerlichen Haushalten so beschrieben: „Man musste leben, musste essen – wozu noch Biedermeierkommoden, wozu noch echte Perser, wenn der Suppentopf leer war! Wahre Hyänen der Not überschwemmten Wien. Der große Ausverkauf lockte Interessenten aus aller Welt nach Österreich. Die Aufkäufer durchstreiften die Stadtpaläste der Aristokraten ebenso wie die Fünfzimmerwohnungen der pensionierten Hofräte.“30
Wien wird zu einem Durchhaus für Geschäfte zwischen Glanz und Elend. Viele geißeln den moralischen Verfall der Nachkriegsgesellschaft und mokieren sich wie Hugo Bettauer über den Geltungsdrang protziger Erfolgsmenschen am Pferderennplatz. „Schöne Frauen in Hülle und Fülle, rassig und schlank die jungen Weiber aus den uralten Familien, schön auch oft genug die Frauen und Töchter der Parvenus, die mit wienerischer Geschmeidigkeit rasch die Manieren der wirklich vornehmen Welt annahmen und kraft ihres Reichtums demnächst ihr rotes Blut mit dem blauen der enttitelten, depossedierten Hocharistokraten von 1918 mischen.“31
Wirklich gern gesehen sind die Neureichen nur in den Geschäften der Maßschneider, Luxuswarenhersteller und Schmuckhändler, die mithilfe der betuchten Kundschaft anstandslos durch die Krise kommen. Ansonsten stehen die Emporkömmlinge unter Pauschalverdacht, wie das der Komponist Ernst Krenek in seiner Autobiografie anklingen lässt. „Viele ehemals reiche oder wohlhabende Leute verarmten, oder stürzten gar ins Elend, und eine neue Schicht von Profitjägern und Gaunern wurde nach oben geschwemmt.“32
Die Bevölkerung war freilich mitverantwortlich für die Situation, die allseits verflucht worden ist. Wo immer möglich, haben die Österreicher ihr Geld in ausländische Banknoten umgewechselt. Die Währungskrise machte aus kreuzbraven Bürgern notgedrungen „Valuten-Hamsterer“. Viele Kleinanleger wurden so zu Mini-Spekulanten, die Fremdwährungen gehortet haben, um sie später bei erhöhten Kursen wieder abzustoßen. Was viele Otto-Normalverbraucher damals im Kleinen tun, machen die Banken und Spekulanten in großem Stil. Die Finanzbranche versucht, vom Niedergang der österreichischen Krone zu profitieren.33
Wie hat man aber damit Geld verdienen können, wenn so viele das gleiche Ziel hatten? Die Antwort ist, dass es beim Wechselkursverfall der Krone mehrfach Ansätze zu einer Trendumkehr gegeben hat. Und zwar immer dann, wenn eine ausländische Finanzhilfe durch den Völkerbund oder die Siegermächte greifbar schien.34
Weil aber letztlich bis Herbst 1922 nichts daraus wird, können die Wiener Geldhäuser lange Zeit Spekulationsgewinne einstreifen. Die Bankenkenner Egon Scheffer und Paul Ufermann berichten, dass auch Sigmund Bosel auf den Niedergang der Krone gesetzt hat. „Während die gemütlichen ‚Weaner‘ traurig bei einer Tasse schlechten Tees hockten und der guten Zeit gedachten, handelte Bosel Devisen gegen österreichische Kronen.“35
Bosel ist damit im Fahrwasser der Wiener Großbanken unterwegs, die nicht nur selbst spekulieren, sondern munter Kredite für Währungsspekulationen hergeben. Zwischen 1920 und 1922 sind solche Devisengeschäfte ganz legal möglich gewesen. Schluss mit den Spekulationen gegen die Krone ist erst im Juli 1922. Die Regierung errichtet die staatliche Devisenzentrale. Die Republik reglementiert damit den Devisenhandel aufs Neue und nimmt den Baisse-Spekulanten die Luft aus den Segeln – was aber viel zu spät war, wie kritische Beobachter gemeint haben.
Emporkömmlinge am gesellschaftlichen Firmament
Im Vergleich zu den anderen Inflationsgrößen seiner Zeit ist Sigmund Bosel eher ein Spätzünder gewesen. Anfänglich steht Bosel komplett im Schatten von Camillo Castiglioni, der sich schon im Ersten Weltkrieg als Auto-, Flugzeug- und Motorenhersteller einen Namen gemacht hat. Derweil Bosel noch ein kleiner Kaufmann ist, macht der Industrielle Castiglioni als k. u. k. Kriegsgerätelieferant bereits das große Geschäft. Die Firmen des Technikpioniers fertigen mehrere tausend Flugzeuge für den Luftkampf der kaiserlichen Doppeldecker-Maschinen. Als der Krieg zu Ende geht, ist Castiglioni ein schwerreicher Mann. Noch reicher wird er dadurch, dass er auch beim Abverkauf der Rüstungsgüter nach Kriegsende mitmischt. Nachdem Castiglioni die k. u. k. Armee zuerst aufgerüstet hat, verdient er nun an ihrer Demontage. Schnell schlägt sich der aus Triest stammende Castiglioni auf die Seite der Sieger. Der umstrittene Industrie-Tycoon wird italienischer Staatsbürger und kann sich als Geldgeber der Regierung von Benito Mussolini später in Österreich auch krumme Geschäfte erlauben, weil die heimischen Behörden gegenüber dem Mussolini-Protegé an auffälliger Beißhemmung leiden.36
Während Sigmund Bosel seine Engagements noch ganz im Stillen anhäuft, ist Castiglioni ein wirtschaftlicher Trendsetter. Auch Bosel eifert ihm mit zeitlicher Verzögerung nach. Castiglioni war schon vor dem Ersten Weltkrieg ein Kommerzialrat. Bosel bekommt den Titel erst 1921. Beide hatten ein Faible für Bahnfahrten im Salonwagen. Den imperialen Eisenbahnwaggon von Kaiser Franz Joseph schnappt sich aber Castiglioni. Dieser setzt auch früher zu einem aufsehenerregenden Immobiliencoup an: Bereits im Sommer 1918 kauft Castiglioni vom 83-jährigen Eugen von Miller zu Aichholz ein feudales Palais inklusive einer riesigen Kunstsammlung. Bosel bezieht seine schlossartige Villa erst 1920. Man sieht: Beim Anhäufen der für Inflationskönige typischen Insignien war Bosel ein Nachzügler. Dennoch hat es nicht lange gedauert, bis Bosel in einem Atemzug mit Castiglioni genannt wurde und davon die Rede war, dass neben den beiden Ausnahmeerscheinungen alle übrigen neureichen Finanzjongleure verblassen würden.37
Eine gemeinsame Anekdote über Bosel und Castiglioni unterstreicht ihre Ausnahmestellung im Klub der Glücksritter. Das heitere Lexikon der Österreicher führt dazu folgende Begebenheit an: „Castiglioni spazierte einmal mit dem Bankier Sigmund Bosel über die Wiener Ringstraße. In der Nähe der Staatsoper packte ein junger Mann Bosels Aktenkoffer und eilte mit schnellem Schritt davon. Bosel wollte ihm nachlaufen, doch Castiglioni hielt ihn zurück: ‚Was wollen Sie?‘, sagte er. ‚Wir haben doch alle einmal klein angefangen.‘“38
Auch mit der Gründung seiner Privatbank ist Sigmund Bosel kein Vorreiter gewesen. Bevor er im April 1922 das „Bankhaus S. Bosel“ mit 27 Mitarbeitern aufmacht, sind in Wien schon hunderte Geldinstitute wie Schwammerln aus dem Boden geschossen. Zum Devisenhandel an der Wiener Börse waren im September 1921 bereits 360 Banken zugelassen. Bosel ist nur einer von vielen, die in der Finanzbranche Fuß fassen wollen. Das Bankhaus Bosel schlägt seine Zelte im Rathausviertel auf, und zwar in genau dem Haus, wo bereits die „Handelsgesellschaft Omnia“ ihre Büros hat. Bosel gründet seine Privatbank deshalb, weil er einen professionellen Apparat zur Verwaltung seines Vermögens braucht und große Aktiengesellschaften unter seine Kontrolle bringen möchte. Nachdem er die Gewinne aus seinen Devisengeschäften und den Handelsaktivitäten der Omnia schon seit geraumer Zeit in Aktien gesteckt und sein Wertpapier-Portfolio auf Pump erweitert hat, zieht es Sigmund Bosel an die Börse. Wahrscheinlich rechnet er damit, dass früher oder später eine