sei sogar größer als der von Hugo Stinnes, dem legendären deutschen Industrietycoon, der Anfang der 1920er Jahre ein gigantisches weltweites Firmen-Imperium kontrollierte. Diesen Vergleich kann Kraus nicht ernst gemeint haben, denn an Stinnes kommt damals niemand heran. Der Jahrhundert-Unternehmer ist der Chef von über 1500 Firmen-Beteiligungen im In- und Ausland gewesen, unter denen Bergwerke, Erzgruben, Fabriken, E-Werke von Deutschland bis Kuba, Ölgesellschaften, Eisenbahnen und sogar Kokosplantagen in Neuguinea hervorstechen.49 Nachdem aber Castiglioni mit Stinnes bei BMW gemeinsame Sache gemacht hat und Bosel im August 1923 mit Stinnes über Möglichkeiten der Zusammenarbeit verhandelt, bekommt die Öffentlichkeit das Gefühl, dass die Austro-Glücksritter international mitspielen.
Die drei Inflationskapazunder entfalten auch eine ähnliche Außenwirkung. Stinnes sei „umweht“ gewesen von einer „Aura des Geheimnisvollen und Unergründlichen“, schreibt der Historiker Gerald Feldman in seiner großen Stinnes-Biografie. Bei Sigmund Bosel war es nicht viel anders. Ihm ist nachgesagt worden, dass er Menschen in seinen Bann ziehen und auch durch „aufsässige Unterwürfigkeit“ beeinflussen konnte. Dass der echte Stinnes wenig Wert auf seine Garderobe gelegt hat und sich angeblich geistesgegenwärtig in ein menschliches Kraftfeld verwandeln konnte, erinnert an Porträts, die über Sigmund Bosel geschrieben worden sind. Auch ihm, dem „Panther im Schaffell“, wurde eine „geniale Spürnase“ zugeschrieben, die „immer die richtigen Dinge bei den richtigen Menschen wittert“. Wenig überraschend ist Bosel daher bisweilen als der „österreichische Stinnes“ bezeichnet worden.50
Es lässt sich freilich nicht jeder vom unorthodoxen Managementstil der Selfmade-Milliardäre beeindrucken, die mit scheinbar genialer Schaffenskraft ihrer Zeit den Stempel aufgedrückt haben. Alle „Kometen des Geldes“, wie der deutsche Journalist Paul Elbogen die großen Spekulanten genannt hat, seien letztlich in gleicher Weise dem Geld verfallen gewesen. „Sie schillern in oft rätselhaft gleichartigen Farben“ und auch „ihre Balance am Rande des Abgrundes ist sonderbar ähnlich. Und dennoch ist jedes einzelne Dasein dieser Bewunderten voll einer abenteuerlichen Romantik, deren Ursachen oft nicht in der Persönlichkeit, sondern in der durch das Geld bedingten Macht allein verborgen sind.“ Schon Machiavelli hat den Herrschenden von Florenz das Rezept vorgekaut, das zum Nimbus überdimensionaler Erfolgsmenschen führt: Die Kraft der Macht liegt im Geheimnis.51
Anmerkungen
Habe, Ich stelle mich, 60.
Bettauer, Der Kampf um Wien, 201.
Sandgruber, Ökonomie und Politik, 360 f.; Meixner, Aspekte zur Mentalität eines öst. Unternehmertums im 19. und frühen 20. Jhdt., http://www.iv-wien.at/iv-all/dokumente/518.html (2. 2. 2015).
ÖStA, AdR HBbBuT BMfHuV Präs, Auszeichnungsanträge Bosel, 2664/1920, Brief d. Wr. Polizei, 21. 6. 1920.
ÖStA, Auszeichnungsanträge Bosel, 2664/1920: Schreiben Matthias Eldersch, 27. 6. 1920. Von 1918 bis 1920 hießen Minister vorübergehend „Staatssekretäre“.
ÖStA, Auszeichnungsanträge Bosel, 2664/1920, St.A.f.Hu.G., I.u.B. an die Polizeidirektion, 7. 11. 1920.
ÖStA, Auszeichnungsanträge Bosel, 2664/1921: Präsidentschaftskanzlei an Handelsministerium, 7. 3. 1921.
Sandgruber, Traumzeit für Millionäre, 177 f.; Franz, Bosel, 8.
Zweig, Rausch der Verwandlung, 31.
Walré de Bordes, The Austrian Crown, 163 u. 240; Matis, „Notleidende Millionäre bevölkerten damals Österreich“, in: Konrad/Maderthaner (Hrsg.), … der Rest ist Österreich, 34 f.
Weber, Zusammenbruch, Inflation und Hyperinflation, in: Konrad/Maderthaner, 8.
Matis, „Notleidende Millionäre bevölkerten damals Österreich“, in: Konrad/Maderthaner, 44; Sandgruber, Ökonomie und Politik, 354; www.zitate.eu/autor/8560/anton-kuh.
Zollinger, Geschichte des Glücksspiels, 260 ff.; Zollinger, Banquiers und Pointeurs, 223 ff.
Andics, Der Staat, den keiner wollte, 120; Weber, Hauptprobleme der … Entwicklung Österreichs in der Zwischenkriegszeit, in: Kadrnoska (Hrsg.), Aufbruch und Untergang, 602 ff.; Rabl, Hugo Bettauers Wien, 44 ff.
Stekl, Bürgertumsforschung und Familiengeschichte, in: Stekl (Hrsg.), Bürgerliche Familien, 19; Scheffer, Bankwesen, 354 ff.
Sandgruber, Ökonomie und Politik, 357; Berger, Zur Situation des öster. Bürgertums, in: Konrad/Maderthaner (Hrsg.), … der Rest ist Österreich, 75.
Walré de Bordes, The Austrian Crown, 19 ff.; Weber, Hauptprobleme, 593.
Kostolanys Börse-Seminar, gutzitiert.de.
Weber, Hauptprobleme, 605; Die Börse, 11. 11. 1926.
Scheffer, Bankwesen in Österreich, 354 f.
Franz, Bosel, 38; Die Börse, 17.