im Falle einer Gerichtsverhandlung einen Anwalt leisten zu können, dem also Prozesskostenhilfe genehmigt wird. Aber schon Feuerbach verwendet den Begriff des »Armutszeugnisses« in unserem umgangssprachlichen Sinn; jemandem wird ein »Armutszeugnis« ausgestellt, wenn er sich als unfähig erweist, etwas zu tun, was ihm eigentlich leicht fallen sollte.
Was hat das »moderne Christentum« noch aufzuweisen, wenn es das, was es repräsentiert, nicht mehr »aus sich« hat? Feuerbach meint, dass das »moderne Christentum« sich auf etwas berufe, was es nicht selbst hervorgebracht habe (vermutlich auf eine Kraft, die es in vergangenen Jahrhunderten hatte). Es habe sich gleichsam selbst schon so sehr »kritisiert«, dass eine »philosophische Kritik« gar nicht mehr nötig sei. Was natürlich nicht heißt, dass Feuerbachs Ausführungen etwa nicht als »kritisch« wahrgenommen wurden. Feuerbach bekam es natürlich nach der Veröffentlichung mit der Zensur zu tun (das Werk wurde allerdings keineswegs verboten).
Kritik ist hier zu verstehen im Sinne des Trennens, Scheidens (krínein heißt trennen, ur-teilen etc.). Die Theologie hat in ihrer Geschichte selber eine Trennung, Differenzierung vollzogen, in der klar wurde, was sie in Wahrheit ist: das »Geheimnis« der »Theologie«, so Feuerbach, sei die »Anthropologie«. Diese »Anthropologie« sei das »Wesen des Christentums« »an sich«. Diese Erkenntnis habe sich in der »Geschichte realisiert«, sie habe sich der Vernunft also erst nach einer gewissen Zeit gezeigt. Wenn Feuerbach hier Hegels »Methode« lobt, dann meint er diesen Hegel’schen Gedanken, dass die Geschichte der Entwicklungsraum der Wahrheit ist, dass sich erst am Ende ganz entfaltet zeigt, was an ihrem Anfang erst in nuce vorhanden war.
Doch was soll das heißen, dass die Theologie in Wahrheit »Anthropologie« sei oder, wie Feuerbach unmittelbar nach dem Zitierten schreibt: »daß der Unterschied zwischen dem produzierenden heiligen Geist der göttlichen Offenbarung und dem konsumierenden menschlichen Geist längst aufgehoben, der einst übernatürliche und übermenschliche Inhalt des Christentums längst völlig naturalisiert und anthropomorphisiert ist«?13 Um das weiter zu erläutern, beziehe ich mich auf eine Stelle aus dem Vorwort zur zweiten Ausgabe von »Das Wesen des Christentums«. Die Stelle ist etwas länger:
»Im ersten Teile [von Das Wesen des Christentums] also zeige ich, daß der wahre Sinn der Theologie die Anthropologie ist, daß zwischen den Prädikaten des göttlichen und menschlichen Wesens, folglich […] auch zwischen dem göttlichen und menschlichen Subjekt oder Wesen kein Unterschied ist, daß sie identisch sind; im zweiten zeige ich dagegen, daß der Unterschied, der zwischen den theologischen und anthropologischen Prädikaten gemacht wird oder vielmehr gemacht werden soll, sich in Nichts, in Unsinn auflöst. Ein sinnfälliges Beispiel. Im ersten Teile beweise ich, daß der Sohn Gottes in der Religion wirklicher Sohn ist, Sohn Gottes in demselben Sinne, in welchem der Mensch Sohn des Menschen ist, und finde darin die Wahrheit, das Wesen der Religion, daß sie ein tiefmenschliches Verhältnis als ein göttliches Verhältnis erfaßt und bejaht; im zweiten dagegen, daß der Sohn Gottes – allerdings nicht unmittelbar in der Religion selbst, sondern in der Reflexion derselben über sich – nicht Sohn im natürlichen, menschlichen Sinn, sondern auf eine ganz andre, der Natur und Vernunft widersprechende, folglich sinn- und verstandlose Weise Sohn sei, und finde in dieser Verneinung des menschlichen Sinnes und Verstandes die Unwahrheit, das Negative der Religion. Der erste Teil ist demnach der direkte, der zweite der indirekte Beweis, daß die Theologie Anthropologie ist; der zweite führt daher notwendig auf den ersten zurück; er hat keine selbständige Bedeutung; er hat nur den Zweck zu beweisen, daß der Sinn, in welchem die Religion dort genommen worden ist, der richtige sein muß, weil der entgegengesetzte Sinn Unsinn ist.«14
Das klingt ziemlich kompliziert, ist es aber nicht. Ich beziehe mich sogleich auf den Hauptgedanken und die Beispiele. Es gibt für Feuerbach zwischen den göttlichen und menschlichen »Prädikaten« und »folglich« zwischen dem göttlichen und menschlichen »Subjekt oder Wesen« keinen Unterschied. Ein »Prädikat des göttlichen und menschlichen Wesens« ist für Feuerbach hier »Sohn«. Ich spreche dem göttlichen und menschlichen Wesen« das »Prädikat« zu, dass es »Sohn« ist (es gibt Gottes Sohn wie es einen Sohn des Menschen gibt). (Anmerkung zum Unterschied von Prädikat und Subjekt: Die Sonne ist heiß. S est P. Die Sonne ist Subjekt (das Unterliegende), das Heiß-Sein ist Prädikat (das Zu-gesprochene). Gott / Mensch ist Subjekt, Sohn ist Prädikat.) Nun sagt Feuerbach: was im Christentum zwischen Jesus und seinem Vater thematisiert ist, enthält die menschliche Wahrheit des Sohnseins. Es offenbart ein »tiefmenschliches Verhältnis«.
Das, so füge ich hinzu, kann Feuerbach mit allen christlichen Wahrheiten machen. Er kann zeigen (oder versucht zumindest zu zeigen), dass das Christentum sozusagen ein tiefes Wissen vom Menschlichen besitzt und dieses auf spezifische Weise darstellt. Das müsse aber nun getrennt werden von den bewusst übersinnlichen und daher gleichsam über-menschlichen Seiten des Christentums. Wer behaupte, dass die Gottessohnschaft »nicht Sohn im natürlichen, menschlichen Sinn« meine, »sondern auf eine ganz andre, der Natur und Vernunft widersprechende, folglich sinn- und verstandlose Weise« verstanden werden müsse, der vertrete die »Unwahrheit, das Negative der Religion«.
Die »Anthropologie« im Christentum ist demnach, dass das, wovon in ihm die Rede ist, den Menschen selbst in seiner kreatürlichen, sinnlich-materialistischen Weise betrifft. Wenn »der einst übernatürliche und übermenschliche Inhalt des Christentums längst völlig naturalisiert und anthropomorphosiert ist«, dann ist er das nur deshalb, weil nach Feuerbach von Anfang an das Natürliche und Menschliche die Wahrheit des Christentums sei.
Eine andere Bemerkung lautet:
»Die Methode der reformatorischen Kritik der spekulativen Philosophie überhaupt unterscheidet sich nicht von der bereits in der Religionsphilosophie angewandten. Wir dürfen immer nur das Prädikat zum Subjekt … machen – also die spekulative Philosophie nur umkehren, so haben wir die unverhüllte, die pure, die blanke Wahrheit.«15
Diese Bemerkung aus dem Umkreis der schon erwähnten Schrift Grundsätze der Philosophie der Zukunft ist besonders interessant. Wieder argumentiert Feuerbach mit dem logischen Unterschied von Prädikat und Subjekt. Diesen Unterschied bezieht er hier auf die »spekulative Philosophie«, und das ist für Feuerbach – und natürlich nicht nur für ihn – zu dieser Zeit die Philosophie Hegels. Nun dürfen Sie sich unter »Spekulation« hier nichts Negatives vorstellen, im Gegenteil. Das »Spekulative oder Vernünftige und Wahre besteht in der Einheit des Begriffs, oder des Subjektiven und Objektiven«,16 sagt Hegel in der schon erwähnten Enzyklopädie – was bedeutet das aber? Das Denken vollzieht sich in einem spekulativen Verhältnis. Ich unterscheide z. B. den Vater vom Sohn, ich kann diesen Unterschied aber nur machen, wenn ich das eine auf das andere so beziehe, dass sich das Eine im Anderen spiegelt (der Vater sieht sich erst im Sohn als Vater und vice versa). Der Spiegel aber, der die ideelle Mitte oder das Medium dieser Denk-Beziehungen ist, ist im Lateinischen das speculum. Der letzte Schritt in der Spekulation ist der, zu zeigen, dass alle Unterschiede sich schließlich in einem Ganzen spiegeln, d. h. sich zu einem Ganzen (»Einheit«, »System«) vereinigen bzw. immer schon vereinigt haben Das leistet zu jener Zeit und vielleicht zu allen Zeiten das Denken Hegels.
Mit dieser »spekulativen Philosophie« muss aber etwas geschehen. Das Verhältnis von Prädikat und Subjekt muss »umgekehrt« werden. Das Verb »umkehren« muss ich hier betonen, weil viele spätere Denker dieses Wort ebenso verwenden und ihm beinahe dieselbe Bedeutung geben, unter ihnen auch Heidegger. Um Ihnen das Problem etwas genauer zu erklären, werde ich einen berühmten Satz von Hegel zitieren, der aus der Vorrede der Grundlinien der Philosophie des Rechts stammt: »Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.«17 Dieser Satz hat Geschichte gemacht.
Er will sagen, dass zwischen der Vernunft und der Wirklichkeit kein Unterschied mehr besteht. Einen solchen Unterschied aber hatte z. B. ein Kant stets angenommen. Er hätte nie gedacht, dass die Welt eine vernünftige sei; im Gegenteil, Kant hielt die Welt für aufklärungsbedürftig, aber nicht für schon aufgeklärt. Hegel hat aber genau diesen Gedanken bei Kant als Schwäche ausgemacht. Die Vernunft könne im eigentlichen Sinne gar keine Vernunft sein, wenn sie