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GegenStandpunkt 4-16


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glatt 13 Mrd. Euro durch die Lappen gehen lässt.

      Für die europäischen Staaten ist das Ansinnen der Kommission, für die nachhaltige Prosperität Europas nationale Steuerpraktiken infrage zu stellen, unmittelbar eine Affäre ihrer Konkurrenz. Auch die Partnerstaaten werfen der irischen Regierung bereits seit Jahren mangelnde Fairness vor, und auch von ihrer Seite wird der Ton in letzter Zeit harscher: Seit der Krise des irischen Immobilien- und Finanzsektors ab 2007 und spätestens seit der Abwendung des drohenden irischen Banken- und Staatsbankrotts durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus 2010 gilt Irlands Steuermodell als unzumutbares ‚Steuerdumping‘. Der Vorwurf der unfairen Standortkonkurrenz, den die führenden Euro-Staaten nicht nur gegen Irland erheben, und ihre Intention, Irland sowie die Niederlande, Luxemburg und andere zur Aufgabe ihrer Wettbewerbspraxis zu bewegen, zeugt davon, dass die europäischen Partner diese Steuermodelle vom Standpunkt ihres je nationalen Standorts als einen Schaden betrachten, den sie nicht mehr hinnehmen wollen. Das hat einen handfesten Grund: Die Konkurrenz der Mitglieder innerhalb der EU steht seit der Finanz- und Staatsschuldenkrise Europas, den negativen Wachstumsraten und der immens steigenden Staatsverschuldung tatsächlich unter dem negativen Vorzeichen zu gewärtigender Schäden für die nationalen Kapitalstandorte und die staatliche Verschuldungsfähigkeit. Konkurriert wird nicht mehr um eine möglichst ertragreiche Teilhabe an einem allgemeinen Wachstum, sondern um die Attraktion dessen, was an Geschäften (überhaupt) noch stattfindet, also die Abwälzung der mit der Krise feststehenden ökonomischen Schäden auf die europäischen Partner.

      Umso entschlossener wird auch im Fall des ‚Steuerdumpings‘ ein Machtkampf um die rechtlichen Bedingungen des von Europa geregelten Binnenmarkts geführt. Auf der Ebene des europäischen Rechts bemühen sich die EU-Kommission und der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister um eine ‚Steuerharmonisierung‘: Die Kommission verfolgt dabei das weiterreichende Ideal, die steuerrechtliche Standortkonkurrenz zwischen den Mitgliedstaaten dadurch zu beseitigen, dass die bis dato nationale einer europäischen Zuständigkeit in Sachen Steuerrecht überantwortet wird. Am Fall Apple führt sie einen exemplarischen Kampf um die Souveränität der Steuererhebung. Indem sie unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbskontrolle einen unerlaubten Umgang mit EU-Beihilfevorschriften anklagt, greift sie in die bisher national gehandhabte Steuerhoheit ein. Praktisch vorangetrieben wird so die Durchsetzung eines europäischen Steuerregimes, dem sich Irland, aber im Prinzip alle europäischen Staaten unterordnen sollen. Damit rührt die EU-Kommission an den prinzipiellen Widerspruch zwischen der souveränen Verfügung über das nationale Steuerwesen – immerhin ein wesentliches Moment der staatlichen Organisation von Herrschaftsmitteln – und dem europäischen Supranationalismus.

      Noch vor offizieller Verkündung des Urteils durch die EU-Kommission meldet sich das US-Finanzministerium mit drastischen Anschuldigungen zu Wort:

      „Auf 25 Seiten nimmt das US-Finanzministerium die Steuerermittlungen der EU-Kommission gegen amerikanische Konzerne auseinander. Auch wenn manche Argumente nicht gerade neu sind, die Schärfe der Worte ist es allemal: Das Papier aus Washington wirft den Wettbewerbshütern in Brüssel vor, sich wie eine ‚supranationale Steuerbehörde‘ aufzuspielen, die internationale Vereinbarungen zur Bekämpfung von Steuerflucht gefährde. Das US-Ministerium prüfe ‚eventuelle Antworten, wenn die Kommission an ihrem aktuellen Kurs festhält‘. Konkreter wird es nicht. Und doch klingt es wie eine Drohung – so ist es auch gemeint. … Immerhin gibt das US-Finanzministerium offen zu, dass die Kritik an der EU-Kommission nicht ganz uneigennützig ist. Die Nachzahlungen könnten nämlich im Falle einer erwogenen Steuerreform die Steuerlast der Unternehmen in den USA entsprechend verringern, heißt es in dem Papier… In Washington ist man überzeugt, dass auch diese Aktion aus Brüssel [die Untersuchung gegen Amazon und Google] ein klares Ziel verfolgt: die ökonomische Macht der USA mit politischen Entscheidungen zu schwächen.“ (sz.de, 25.8.) „Lew droht der EU mit Vergeltungsmaßnahmen.“ (welt.de, 30.8.)

      Die USA beziehen das Dreiecksverhältnis zwischen der EU-Kommission, Irland und Apple also auf sich als das eigentliche von der EU angegriffene Ziel. Sie erklären den Fall zu einem Verstoß gegen ihr gutes Recht, was den Zugriff auf ‚eigene‘ Steuerquellen betrifft, aber nicht nur das. Die Steuermilliarden, die dem amerikanischen Staat durch die Lappen gehen, stehen ersichtlich für ein weiterreichendes Vergehen: Die Kommissionsentscheidungen werden als Angriff auf den berechtigten Erfolg amerikanischer Kapitale und als absichtsvoller Versuch der EU gewertet, die USA ökonomisch zu schädigen, womit Washington den Steuerstreit in den Rang eines prinzipielleren Anschlags erhebt. Wenn amerikanische Regierungsvertreter der EU-Kommission Kompetenzüberschreitung vorwerfen und deren Vorgehen gegen ‚Steuerdumping‘ im Fall Apple und in weiteren Fällen, in denen die Kommission Wettbewerbsverzerrungen nicht nur bei amerikanischen Unternehmen untersucht, nicht als einen Beitrag zum gemeinsamen Kampf gegen weltweite Steuervermeidung begrüßen, sondern umgekehrt als Unterwanderung dieser gemeinsamen Verantwortung geißeln, geben sie ihren eigenen, über ihre nationalen Grenzen hinausreichenden Zuständigkeitsanspruch zu Protokoll: Sie und nicht die EU haben zu entscheiden, was Steueroptimierung, was Steuerhinterziehung ist, welches Steuerrecht deswegen in Ordnung geht und welches als unfaire Wettbewerbsverzerrung bekämpft gehört. Damit ist klargestellt, was eine wirklich gemeinsame Verfolgung von Steuervermeidung, auf welche sich die EU mit den USA im Rahmen der G20 geeinigt hat, als unverrückbare Voraussetzung einschließt: die Anerkennung der amerikanischen Definitionshoheit über Recht und Unrecht der Weltmarktordnung. Entsprechend sieht die angekündigte Gegenwehr aus: „Potentielle Antworten“ anzudrohen, aber nicht weiter zu konkretisieren, heißt eben, dass die USA es sich vorbehalten, das, was als Steuerstreit zwischen einem amerikanischen Konzern und der EU-Kommission angefangen hat, ohne vorab festgelegte Einschränkung zu eskalieren.

      Regierungsvertreter der Führungsmacht Deutschland ebenso wie Vertreter der EU steigen ihrerseits auf diesem Niveau der Auseinandersetzung ein:

      „Nach den jüngsten Milliardenstrafen gegen Unternehmen in Europa und den USA wächst in der Union die Sorge vor einem transatlantischen Wirtschaftsstreit. ‚Was wir derzeit erleben, hat wirtschaftskriegsähnliche Züge‘, sagte der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Bundestag, Peter Ramsauer, der ‚Welt‘. In den USA gebe es eine lange Tradition, jeden Anlass für handelskriegsähnliche Scharmützel zu nutzen, wenn das der eigenen Wirtschaft nutze. Damit seien erpresserische Schadensersatzforderungen verbunden, wie das im Fall der Deutschen Bank zu sehen sei. Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber sagte, Konflikte zwischen den USA und der EU würden wegen der Überprüfung von Steuerdeals – etwa bei Apple, Amazon und McDonald’s – schon lange schwelen. Die Strafe gegen die Deutsche Bank mute wie eine Retourkutsche an.“ (deutsche-wirtschafts-nachrichten.de, 3.10.)

      „Der Handelsexperte im Europaparlament, Markus Ferber (CSU) … verlangte von den USA deshalb Mäßigung: ‚Ich kann die USA nur zu Zurückhaltung aufrufen.‘“ (tagesspiegel.de, 25.9.)

      Wenn amerikanische Gerichte die Deutsche Bank oder VW zu Strafzahlungen verurteilen, dann ist das vom Standpunkt europäischer Politiker eine „Retourkutsche“. Hier wird allerlei kommensurabel, was mit der Besteuerung von Unternehmen in der EU offenkundig nichts mehr zu tun hat – auf einen gemeinsamen Nenner gebracht durch die anspruchsvolle Perspektive, die dem Standpunkt der Weltmacht USA, zumindest im Prinzip, in nichts nachsteht: An der von Deutschland geführten EU führt kein Weg vorbei; von einer entscheidungsbefugten Macht, die in Europa ganz alleine dafür zuständig ist, ihren Binnenmarkt zu ordnen, und darüber hinaus dazu berufen ist, die Ordnung des grenzüberschreitenden Geschäftsverkehrs mitzudefinieren, muss sich die Weltmacht sagen lassen, wo und inwieweit sie sich aus ‚bloßem nationalem Egoismus‘ gegen ihre eigentliche weltwirtschaftspolitische Verantwortung vergeht. Insofern sind auch die Aufrufe zur „Mäßigung“ ein Zeugnis des imperialistischen Willens, sich im Kampf um die Durchsetzung von national dienlichen globalen Regeln für die Konkurrenz der Kapitale von der Weltordnungsmacht Nr. 1 nicht einschüchtern zu lassen.

      © 2016 GegenStandpunkt Verlag

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