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GegenStandpunkt 1-17


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ist, den die Arbeitnehmer an ihrem Arbeitsplatz erbringen. Denn wertvoll muss dieser Beitrag sein, und zwar für die Arbeitgeber, denen es schließlich die verbesserten Arbeitsbedingungen abzuringen gilt – Dienstbarkeit für die Stifter der Einkommen ist und bleibt eben das Lebenselixier der abhängig Beschäftigten.

      Gemäß der feststehenden Aufgabenstellung, die eigenen Forderungen im Interesse derselben Arbeitgeber unterzubringen, die mit ihren Ansprüchen an Lohn und Leistung ihre Angestellten traktieren, nehmen vorausschauende Gewerkschafter deren vorhersehbaren Konter selbst vorweg. ‚Finanzierbar‘ müssen ihre Forderungen selbstverständlich sein – für die Betriebs- bzw. die öffentliche Haushaltsführung, deren Rechnungen trotz der Abzüge aufgehen müssen, die die Geldansprüche ihrer Belegschaft natürlich darstellen. ‚Fair‘ sind deutsche Gewerkschaften als Tarifpartner darin, dass sie vorher prüfen und feststellen, ob sprudelnde Steuereinnahmen der öffentlichen Hand bzw. die aus der Belegschaft herausgewirtschaftete Ertragslage der Unternehmen auch wirklich den famosen ‚Schluck aus der Pulle‘ zulassen. Sie kennen einen ‚verteilungsneutralen Spielraum‘, innerhalb dessen ihre Forderungen die Kalkulation der Gegenseite nicht schädigen, also in Ordnung gehen; und der Umstand, dass die besagte Kalkulation umso besser aufgeht, je weniger die Arbeitnehmer von ihrer immer produktiver gemachten Arbeit haben, schlägt sich aus Sicht der Gewerkschaft als notorische Verteilungsungerechtigkeit nieder, der es mit einer ‚Umverteilungskomponente‘ entgegenzuwirken gilt; auch die steigenden Preise der Waren, die die Unternehmer flächendeckend teurer auf den Markt werfen, gehen in die gewerkschaftliche Rechnung ein: Ein ‚Inflationsausgleich‘ kostet die Unternehmer zwar Geld, wird ihnen aber in der Sicht der Gewerkschaft nicht wirklich weggenommen, weil es ohnehin direkt zu ihnen zurückfließt.

      Genau die von ihnen ins Spiel gebrachten Kriterien werden den Gewerkschaften in den Tarifverhandlungen von den Arbeitgebern wieder mit umgekehrten Vorzeichen entgegengehalten. Man nimmt die Gewerkschaften in ihrer verantwortungsvollen Dienstbereitschaft beim Wort, um ihre Forderungen als ‚überzogen‘, als Fall falschen Anspruchsdenkens zurückzuweisen. Gewiss sind die Leistungen der Belegschaften verdienstvoll, aber in € eben weniger wert. Denn um auch in Zukunft weiterhin Arbeitsplätze zur Verfügung stellen zu können, muss sich der Aufwand dafür in den Grenzen halten, die die wirklichen Herren der Kalkulation mit Kosten und Gewinnen und öffentlichen Haushaltsposten nun einmal besser kennen: Jedes halbe Lohnprozent addieren sie zu Millionensummen, die die kostbaren Arbeitsplätze endgültig unrentabel bzw. den Steuerzahler arm zu machen drohen. Jedes Zugeständnis in Sachen Arbeitszeit gefährdet die flexible Handhabung von ganz viel oder ganz wenig Arbeit, die deutsche Unternehmen für ihren Welterfolg genauso unbedingt brauchen wie staatliche Institutionen, die die Kinder der Betroffenen zu vertretbaren Kosten aufbewahren, etc. Und ob ein Inflationsausgleich bei der niedrigen Inflationsrate noch Sinn macht? Angesichts solcher von den Gewerkschaften nicht einfach von der Hand zu weisenden Einwände werden deren Forderungen zu der Verhandlungsmasse, als die sie ohnehin konzipiert waren; unter Verweis auf die jeweils passende Spielart von Gerechtigkeit werden dann die besonderen Leistungen und die Verantwortung des Führungspersonals gegen die besonderen sozialen Nöte der unteren Lohngruppen abgewogen, die Bedürfnisse der verbrauchten Frührentner gegen die Existenzunsicherheit der Azubis in Anschlag gebracht, Lohnprozente gegen Arbeitszeit verrechnet usf. Am Ende verdeutlicht eine simple, von beiden Seiten leicht abweichend bezifferte Prozentzahl den gemeinsamen Nenner, unter dem die für die Betroffenen so disparaten Größen negativ kommensurabel sind: Sie gibt die Gesamtwirkung auf die Kosten an, zu denen all die Arbeitsplätze wirklich ‚finanzierbar‘ bleiben, und damit ‚das Beste, was rauszuholen war‘.

      Für eine solche Einigung mit dem Arbeitgeberlager sind natürlich auch in Merkels Land mehr als gute Argumente und Verhandlungsgeschick nötig. Dass Unternehmen und öffentliche Arbeitgeber nicht wegen der erbrachten Leistungen einen ‚angemessenen‘ Lohn zahlen, sondern zu Zugeständnissen immer erst genötigt werden müssen, ist schließlich der Ausgangspunkt, der die Gewerkschaft als Macht auf den Plan ruft. Und der Inhalt dieser Macht besteht nun einmal darin, als Kollektiv der Arbeiter den Beweis antreten zu können, dass diejenigen, die die Arbeitskräfte gewinnbringend um Arbeitsplätze konkurrieren lassen, darin auch von denjenigen abhängig sind, die einen solchen unbedingt zum Leben brauchen. Den augenscheinlichen Widerspruch, dass die Lohnabhängigen ihr fair bemessenes und wohlverdientes Recht erstreiten und immer wieder erstreiken müssen; den bleibenden Gegensatz, der darin zum Ausdruck kommt, erledigt eine moderne Gewerkschaft theoretisch mit einem beeindruckenden Unterscheidungsvermögen. Am kapitalistischen Geschäftsgetriebe unterscheidet die Arbeitervertretung zwischen einem fürs Allgemeinwohl dienlichen Wirtschaftsfortschritt, für den sie sich stark macht, und einem moralisch verwerflichen, bloß privaten Bereicherungsinteresse: „Wir wollen Wachstum, sie wollen Profit.“ (IG Metall) Die kollektive Macht der Lohnarbeiter richtet sich zwar in der Praxis gegen ihre privaten oder staatlichen Dienstherren, ist aber im Interesse aller, wenn sie dem systematischen Charakterdefizit namens ‚Profitgier‘ exakt auf Höhe des grundvernünftigen marktwirtschaftlichen Wachstumsprinzips Grenzen setzt bzw. den ‚Sparwahn‘ öffentlicher Kassenwarte auf sein solides Normalmaß zurechtstutzt. Diesem widersprüchlichen Kampf darum, die Vereinbarkeit der Interessen von ‚Arbeitgebern‘ und ‚Arbeitnehmern‘ immerzu neu zu erzwingen, widmen sich deutsche Gewerkschaften mit einer klugen Handhabung des zweischneidigen Erpressungshebels namens Streik.

      Bei dessen wohl zu dosierendem Einsatz gilt es einiges zu beachten, schließlich unterzieht er die Einsicht der Mitglieder in die Notwendigkeit des gewerkschaftlichen Kollektivismus einem Härtetest: Für die Verbesserung ihrer Arbeits- und Entlohnungsbedingungen sollen sie temporär auf Lohn verzichten, obwohl und weil für die Lohnabhängigen – wie der Gattungsname besagt – alles darauf ankommt. In dieses reichlich widersprüchliche Kalkül geht ein, dass mit der zu erstreitenden Einigung in einer Hinsicht garantiert alles beim Alten bleibt: Hinterher muss wieder jeder als Einzelkämpfer an seinem Arbeitsplatz aus dem gemeinsam erstrittenen Ergebnis für sich das Beste machen. Um die ‚Mobilisierungsbereitschaft‘ ihrer Mitglieder kümmern sich deutsche Gewerkschaften daher erstens mit einer Streikkasse, die die Mobilisierung überhaupt aushaltbar machen soll; zweitens mit Streikzielen, die einen vagen Anhaltspunkt für die Frage geben, ob der ganze Aufwand es wert ist; drittens mit einem höheren Wert, nämlich der „Urtugend der Solidarität“. Mit der Berufung auf den guten Gemeinschaftsgeist ihrer Mitglieder wird die Einsicht in die Notwendigkeit eines kollektiven Kampfes, für den die Mitglieder einander brauchen, in eine Frage des Anstands überführt, den sie einander schulden und der der begrenzten Zielsetzung ihres Kampfes durchaus entspricht. Für die knifflige Frage, wann der Anstand Mobilisierung und wann er Zurückhaltung erfordert, hat eine solidarische gewerkschaftliche Basis ihre Führung, die auch fürs rechte Maß beim Streiken sorgt. Die Gegenseite soll schließlich unbedingt zu einer ‚fairen Einigung‘ hinmanipuliert werden, was sich aber in einem freiheitlichen Wirtschaftssystem definitionsgemäß nicht erzwingen lässt. Daher greifen verantwortungsvolle deutsche Gewerkschaften zur ‚Ultima Ratio‘ Streik nur dann, dann aber auch im Bewusstsein absoluter moralischer Legitimität, wenn die Arbeitgeber den Willen zur Einigung trotz aller wohlmeinenden Warnungen einfach nicht aufbringen und damit die Gewerkschaft ‚zwingen‘, sie zur Räson, dabei aber selbstverständlich nicht um ihren Erfolg zu bringen. Der tischt schließlich erst den Kuchen auf, von dem sich die organisierten Arbeitnehmer ihr gerechtes Stück erstreiten wollen.

      Was aus all dem konkret folgt, ist auch im Deutschland des frühen 21. Jahrhunderts nicht eindeutig entschieden. Der gewerkschaftliche Mainstream hat das Ideal zur Perfektion entwickelt, mit Warnstreiks bereits den Schaden, den man dem Arbeitgeber zufügen könnte, aber ersichtlich nicht zufügen will, so erzieherisch wirksam werden zu lassen, dass der echte Streik sich erübrigt. Angesichts der Resultate dieser Kunst können Zweifel an solcher Einvernehmlichkeit allerdings nicht ausbleiben – insbesondere bei ‚Spartengewerkschaften‘, die um die ‚Schlüsselstellung‘ und daher die Schlagkraft ihrer Mitglieder wissen und diese – etwa durch Lahmlegung von Bahn- und Flugverkehr – glatt einsetzen: Prompt ziehen sie sich von Seiten des DGB den Vorwurf zu, mit ihren überzogenen Forderungen und übertriebenen Kampfmaßnahmen die unabdingbare Voraussetzung der gewerkschaftlichen Verhandlungstätigkeit, ihre Anerkennung als konstruktive Kraft durch die Arbeitgeber, womöglich sogar den guten Ruf der Gewerkschaften in der Gesellschaft aufs Spiel zu setzen. Außerdem untergraben sie laut DGB