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GegenStandpunkt 1-17


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Arbeitsbedingungen. Existenz sichernde Einkommen sind ein Zeichen des Respekts für getane Arbeit.“ Das ist sie also, die aktuell-zeitlose Elementarfassung des marktwirtschaftlichen Lohninteresses, für dessen Vertretung die Gewerkschaft zuständig ist und für dessen Erfüllung es der Staatsgewalt bedarf: Die materielle Wertschätzung der Arbeit muss dem Kriterium genügen, die moralische Wertschätzung zu belegen, die die Arbeit verdient.

      Wie hoch der Lohn dafür sein muss, ist natürlich nicht eindeutig zu beantworten, mit dem Kriterium des gesetzlichen Existenzminimums, an dem sich der Mindestlohn, hochgerechnet auf eine Vollzeitstelle, bemisst, aber ziemlich treffend auf den Begriff gebracht. Dass er – im wohlverstandenen Interesse derjenigen, für die der Verlust eines nicht mehr rentablen Arbeitsplatzes allemal ein größeres Übel darstellt als ein Hungerlohn – nicht zu hoch sein darf, weiß auch die Gewerkschaft, deren Vertreter der Staat deswegen beruhigt in die zuständige Mindestlohnkommission berufen kann. Und die gute Nachricht lautet: Die 8,50 € haben keine Arbeitsplätze vernichtet und können getrost auf 8,84 € angehoben werden.

      Dabei gilt für das Mindestlohngesetz natürlich wie für alle Beschränkungen der unternehmerischen Freiheit: Bloß weil sie Gesetz sind, gelten sie nicht einfach – da kennen sich deutsche Gewerkschaften, durch 125 Jahre Erfahrung geschult, aus. Jederzeit ist damit zu rechnen, dass findige Unternehmer den Mindestlohn nur auf dem Papier bezahlen und ihre Beschäftigten falsche Stundenzettel unterschreiben, weil sie um ihren Job fürchten. Das Interesse, mit dem es die Gewerkschaften zu tun haben, ist schließlich so sehr das gesellschaftlich herrschende, dass die von ihm benötigten ‚Grauzonen‘ bisweilen ziemlich flächendeckend ausfallen. Genau diese Praktiken des Unterlaufens von Mindestlohn, Entsendegesetz etc. beweisen der Gewerkschaft umgekehrt die Notwendigkeit und Nützlichkeit der staatlichen Gewalt, also des eigenen Kampfs um ‚soziale Sicherheit‘: Sie macht sich praktisch – ob ausdrücklich berufen oder nicht – zum Anwalt von Niedriglöhnern, ausländischen Billigarbeitern und wie auch immer sonst noch Benachteiligten, denen nur mit einem kollektiven Rückhalt überhaupt zu dem Recht zu verhelfen ist, das sie als Individuen nur auf dem Papier haben. In deren Namen übernimmt sie die Rolle des Wächters über die Einhaltung der staatlichen Reglementierungen des Billiglohnsektors.

      Um soziale Sicherheit für alle Arbeit zu gewährleisten und speziell die der Zukunft in Richtung ‚Gute Arbeit‘ zu steuern, reicht es heute aber nicht mehr aus, auf Mindestrechten und ihrer Einhaltung zu bestehen. Denn „die Digitalisierung bedeutet einen revolutionären Umbruch – zurück zu einer Individualisierung und Vereinzelung der Arbeitnehmerschaft. Die Arbeiter von heute, das sind immer mehr Soloselbstständige, Click- und Crowdworker, oft ohne jede Rechte. Mit diesen Umwälzungen in der Arbeitswelt verändert sich auch die Rolle der Gewerkschaften. Gerade ihnen kommt eine Schlüsselfunktion bei der Gestaltung der Arbeitswelt von morgen zu.“ Um einen tieferen Einblick in die Umwälzungen zu bekommen, die „die Digitalisierung“ in Gestalt tätiger Unternehmensleitungen so mit sich bringt, erhebt die Gewerkschaft eigens Fakten zum ‚digitalen Prekariat‘ und stellt fest: Es gibt weder feste Arbeitszeiten noch Urlaubsanspruch oder Kündigungsschutz; mit bis zu 80 Stunden Arbeit 4.0 in der Woche kommt man auf durchschnittlich 1500 € im Monat, und in Bezug auf „unser Sozialversicherungssystem“ ist ein Totalausfall namens „Schutzlücke“ zu vermelden. Erwartungsgemäß herrscht auch in dieser Sphäre der Arbeitswelt alles andere als Zufriedenheit, was aber noch lange keinen Ruf nach der Gewerkschaft erschallen lässt. Dem stehen nicht nur die individualisierten Beschäftigungsformen entgegen, sondern auch die Beschäftigten selbst, die es sich als persönliche Freiheit zurechtlegen, das vorgegebene Arbeitspensum individuell um die sonstigen Notwendigkeiten des Alltags herum gruppieren zu können.

      Durch diesen repräsentativen Vorgeschmack auf die „Arbeitswelt von morgen“ sehen sich die Gewerkschaften als ordnungspolitische Kraft im Land herausgefordert. Den neuen Gegebenheiten gilt es mit „anspruchsvollen neuen Formen von Regulierung“ zu begegnen, mittels derer der Staat nicht weniger als den „Arbeitnehmer-, Arbeitgeber- und Betriebsbegriff“ neu zu definieren hat – i.e. den Fortschritten der Unternehmenspraktiken anzupassen, die diese Begriffe im Sinne eines arbeitsrechts- und gewerkschaftsfreien Umgangs mit der Arbeit längst umdefiniert haben. Die Soloselbständigen müssen als moderne Ausprägung der Spezies Arbeitnehmer definiert werden, wenn das Arbeitszeitgesetz und der Kündigungsschutz überhaupt für sie gelten sollen; die Auftraggeber von zahllosen Mini-Sub-Unternehmern müssen als Arbeitgeber definiert werden, um auf Fürsorgepflichten wie Sozialversicherungsbeiträge festgelegt werden zu können; die verschiedenen Beschäftigungsverhältnisse müssen als eine Sorte Betrieb definiert werden, wenn die betriebliche Mitbestimmung als Element einer wirksamen Arbeitnehmervertretung greifen soll. Kurzum: Was den Arbeitnehmern fehlt, sind die elementaren Voraussetzungen der Schutzrechte, die sie unbedingt brauchen.

      Gleichzeitig fehlen der Gewerkschaft die Voraussetzungen, ihre beanspruchte Schlüsselfunktion bei der Gestaltung dieser schönen neuen Arbeitswelt auch tatsächlich ausüben zu können. Wie gut, dass der Adressat ihrer Bewerbung um diese Gestaltungsrolle ein offenes Ohr hat: Auch die Kollegin Nahles (IGM) ist schließlich schwer für den „Erhalt und Ausbau Guter Arbeit“, von der der deutsche Staat so gut lebt. Wenn sie in ihrer Funktion als Arbeitsministerin zu diesem Zweck in ihrem „Grünbuch Arbeiten 4.0“ die Frage stellt: „Wie wollen wir in Zukunft arbeiten?“ und den DGB dazu ausdrücklich konsultiert, lässt man sich dort nicht zweimal bitten: „Die Digitalisierung braucht Regeln, damit die Technik dem Menschen dient und nicht der Mensch der Technik.“ Das heißt allerdings, dass Technik und Mensch als Erstes dem Profit dienen müssen, für dessen Produktion beide überhaupt nur zum Einsatz kommen. Als selbstverständliche Bedingung der „fairen Teilhabe an den Vorteilen der Digitalisierung“ müssen die Unternehmen die Chancen voll ausnutzen können, die für sie aus einem flexibleren Einsatz der Arbeitskräfte gemäß ihren Geschäftsbedürfnissen in Produktion, Forschung und Entwicklung sowie Verwaltung entstehen. Ganz folgerichtig ist es diese und keine andere Flexibilität, aus der man beim DGB Chancen für die Beschäftigten zu verfertigen gedenkt: ein selbstbestimmter Arbeitsbeginn am Morgen, damit der Nachwuchs noch in die Kita gebracht werden kann, das Aufhäufen von unbezahlten Überstunden zu einem Sabbatical, Home-Office am Abend, wenn die Familie Ruhe gibt, und was der arbeitnehmerfreundlichen Ideen mehr sind, die sich an die Auflösung fester Arbeitszeiten knüpfen. Geradezu beispielhaft, was dem obersten Gewerkschafter unter der Rubrik „neues Verständnis der Arbeitszeit“ als gewerkschaftlicher Beitrag einfällt, um „tarifvertraglich gesichert ... mehr persönliche Wahlfreiheit“ zu schaffen: „Warum sollte es für Schichtarbeiter beispielsweise nicht auch Teilzeit geben?“ Ja, warum eigentlich nicht? Eine andere als die vorfindliche Arbeitswelt 4.0 gibt es nun einmal nicht, um in ihr den „Menschen in den Mittelpunkt“ zu stellen. Und um ihn dorthin zu stellen, um aus einem „einseitigen Instrument im Sinne der Unternehmen“ „Arbeitszeitsouveränität“ im Sinne der Beschäftigten zu machen, liegt mit der betrieblichen Mitbestimmung schon ein maßgeschneidertes Instrument vor. Mit dessen Erweiterung auf die Arbeitswelt 4.0 ist die demokratisch-selbstbestimmte Berücksichtigung der Belange der Mitbestimmenden schließlich definitionsgemäß gewährleistet und für eine moderne Arbeitervertretung das Aufgabenfeld präpariert, dessen Bewirtschaftung ein Gutteil ihrer „veränderten Rolle“ ausmacht: Wenn heutzutage die „Flexibilitätskompromisse“ nun einmal vor Ort im z.T. erst noch zu definierenden Betrieb und nach dessen Notwendigkeiten geschlossen werden, gilt es eben die Interessen der Betroffenen so zu wahren, wie sie da hineinpassen. Für die fällige gesetzliche Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung braucht es natürlich wieder gute Gründe, nämlich einen Nutzen der entscheidenden gesellschaftlichen Instanzen aus der „Innovationskraft“ ihrer Belegschaften: „Wer mitbestimmt, ernst genommen und wertgeschätzt wird, ist motiviert und nutzt mit seinen Ideen, die er in den Betrieb einbringt, auch dem Unternehmen.“ So billig, mit ideellem Lohn für ihre Beschäftigten, wäre materieller Nutzen für die deutschen Unternehmen zu haben. Falls das nicht überzeugt: Mit dem mitbestimmten, also sozialfriedlich organisierten Lohnverzicht ist Deutschland bekanntlich mit ganz vielen geretteten Arbeitsplätzen gestärkt aus der Krise gekommen!

      In solchen Zukunftsfragen verzeichnet der DGB aktuell