Kai Riedemann

Advent, Advent, die Alster brennt


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Stefan vor.

      Ich gehe nicht darauf ein. »Warum tust du das?«, frage ich dann.

      Stefan zuckt die Schultern. »Es ist leicht, und es macht Spaß. Niemand ist aufmerksam am Heiligen Abend, und überall liegen Geschenke herum, meist auch irgendwo Bargeld.« Er macht eine kurze Kopfbewegung nach hinten. »Du hast gesehen, wer diese Leute sind, die einen Weihnachtsmann bestellen und bereit sind, dafür zu bezahlen. Sie merken es nicht einmal, wenn am nächsten Morgen etwas fehlt.«

      »Woher willst du das wissen?«, frage ich müde.

      »Ich mache das schon ein paar Jahre. Es hat sich noch nie jemand bei der Weihnachtsmannvermittlung beschwert oder auch nur gemeldet«, antwortet er nüchtern. »Man darf es eben nicht übertreiben, nie das ganze Geld nehmen, wenn irgendwo ein Umschlag herumliegt.« Er neigt den Kopf. »Ich sehe nicht ein, warum ausgerechnet der Weihnachtsmann am Heiligen Abend leer ausgehen sollte.«

      Ich weiß nicht, was ich denken soll. »Warum wolltest du mich dabeihaben?«, frage ich, geradeaus starrend.

      »Ich weiß es auch nicht«, sagt Stefan ehrlich. »Ich glaube, ich dachte, dass es dir genauso geht wie mir, dass du den Abend so etwas netter verbringen könntest als allein zu Hause. Wahrscheinlich wollte ich dir auch ein Geschenk machen.«

      Ich bin für einen Moment sprachlos.

      »Du warst großartig darin, sie abzulenken«, sagt Stefan auf mein Schweigen hin. »Zwei Familien haben wir noch. Wir sollten zusammenarbeiten.«

      »Ich fürchte, daraus wird nichts«, sage ich knapp. »Steig’ aus.«

      »Was?«, fragt Stefan verdutzt zurück, ehe er wieder in seinen ruhigen Tonfall verfällt. »Was willst du machen? Du kannst nicht zur Polizei gehen. Dann bekommst du genauso viele Schwierigkeiten wie ich. Niemand wird dir glauben, dass du für einen Freund, den du kaum kennst, den Weihnachtsengel spielst und es nicht merkst, wenn er etwas mitgehen lässt.« Seine Stimme wird noch ruhiger. »Eigentlich bist du mir doch dankbar, dass ich dich mitgenommen habe. Wenn ich es vorhin nicht übertrieben hätte, hättest du nicht einmal etwas geahnt. Du hättest dich gefreut, dass wir so vielen Kindern eine Freude machen.«

      Ich weiß, dass er recht hat, aber ich sehe weiter starr nach vorne. »Steig’ aus«, wiederhole ich.

      Ich finde nicht, dass ich sehr entschlossen klinge, aber Stefan steigt tatsächlich mit langsamen Bewegungen aus. In dem Pullover, unter dem ordentlich der Hemdkragen hervorsieht, sieht er fast so aus, als würde er selbst irgendwo hier in einer Villa Weihnachten feiern, nur, dass es eine regnerische Nacht ist und sein Pullover ziemlich dünn. Ich beuge mich zur Tür der Beifahrerseite hinüber, ziehe sie mit einer schnellen Bewegung zu und drücke den Knopf der Verriegelung herunter, ehe ich das Fenster einen Spalt weit öffne. Stefan sieht immer noch ganz verwundert aus, als er die Finger auf die obere Kante der Scheibe legt. »Was willst du machen?«, fragt er.

      »Ich weiß es nicht«, antworte ich ehrlich. »Aber ich werde nicht zur Polizei gehen. Mein Weihnachtsgeschenk an dich.«

      »Willst du mich wirklich hier stehen lassen?«, fragt Stefan ungläubig. »Ich habe nicht einmal Geld für den Bus.«

      »Du kannst ja versuchen, an eine Tür zu klopfen«, antworte ich. »Lasst mich ein, ihr Kinder, ist so kalt der Winter …« Ich bin mir nicht ganz sicher, wie das Lied weitergeht, deshalb starte ich den Motor. Stefan kann seine Finger gerade noch aus dem Fensterspalt ziehen, als ich anfahre.

      Ich kenne die kleine Kirche in Wandsbek vom Vorbeifahren, ein schlichter Backsteinbau aus den sechziger Jahren, zwischen den eintönigen Wohnblocks. Manchmal sieht man ein paar abgerissene Gestalten vor der Kirche herumlungern, ich weiß, dass sie eine Suppenküche oder einen Aufenthaltsraum für Obdachlose haben. Eigentlich habe ich die Kirche noch nie anders als still und leer gesehen, doch heute Abend ist Mitternachtsmesse. Ich höre die Orgelmusik bis auf die Straße hinaus, als ich langsam auf das Portal zugehe.

      Der Jutesack liegt noch im Auto, aber er ist leer. Zum einen sind die eingepackten Geschenke verschwunden, denn ich bin der Weihnachtsengel und habe sie noch zu den braven Kindern gebracht, für die sie bestimmt waren, zu zwei jungen Familien in einer Neubausiedlung. Den Ring habe ich am S-Bahnhof Bahrenfeld in eine Fensternische gelegt, ein Geschenk für jemanden, den ich nicht kenne. Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte, aber es fühlte sich nicht falsch an. Am Hauptbahnhof habe ich die Herrenuhr einem Obdachlosen gegeben, ganz eilig, im bunten Licht der kitschigen Weihnachtsbeleuchtung habe ich nicht einmal richtig sein Gesicht gesehen, auch das scheint mir auf seltsame Weise gerecht. Nun habe ich nur noch das Bargeld, ich habe es nicht gezählt, aber wenn man es glatt streicht und bündelt, sieht es eigentlich nicht mehr nach viel aus.

      Die Kirchentüren sind weit offen, im hinteren Teil drängen sich die Stehenden. Der Geruch von feuchten Jacken und zu vielen Menschen schlägt mir entgegen. Ich bleibe zögernd stehen.

      Auf der Stufe des Portals sitzt ein kleiner, grauhaariger Mann und raucht. Er hat keine Mühe, in mir den Weihnachtsengel zu sehen, auch wenn ich die Flügel und den Umhang im Auto gelassen habe.

      »Das ist gleich vorbei, da drin«, sagt er und schenkt mir ein zahnloses Lächeln. »Bisschen spät gekommen, das Engelchen.«

      »Viel zu tun«, antworte ich, erst überrascht, dann amüsiert. »Und dann ist mir auch noch mein Weihnachtsmann abhanden gekommen.«

      »Nie ist Verlass auf die Kerle, was?«

      Ich muss lachen und nicke, dann strecke ich ihm einfach das kleine Bündel Geldscheine entgegen. »Können Sie mir einen Gefallen tun und das nachher für die Kollekte geben?«

      Er streckt die Hand nur halb aus und sieht mich dann an, halb ungläubig, halb misstrauisch. »Wirklich?«, fragt er zurück. »Und wenn ich’s behalten würde?«

      Ich zucke die Schultern.

      »Weihnachten ist ja auch die Zeit der Vergebung.«

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