Christian Hartmann

Gedanken zu A.T.Stills Philosophie der Osteopathie


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ursprünglicher Philosophie der Osteopathie, die tatsächlich die ursprüngliche Philosophie als ihren Kern beinhaltet, hin zu einer ausschließlich auf praktische Aspekte bezogenen Osteopathie.iii Auffällig ist dabei, dass diese Neuausrichtung zwar in gewissem Maß marktpolitisch erfolgreich war, die Osteopathie aber quasi als Nebenwirkung in eine ernste Identitätskrise gestürzt hat. Eine ähnliche Entwicklung ist gegenwärtig in Kontinentaleuropa zu beobachten. Fragt man hier nämlich einen Osteopathen danach, was denn die Alleinstellungsmerkmale der Osteopathie gegenüber der regulären Medizin (USA) bzw. der Chiropraktik (England) seien, fallen die Antworten höchst unterschiedlich aus. Wie auch in den angelsächsischen Ländern halten die dabei vorgebrachten Argumente, die eine Eigenständigkeit der Osteopathie begründen sollen, einer kritischen Überprüfung nicht wirklich stand. Ich werde dies in Kapitel 1.3. noch ausführlicher darlegen.

      Nicht nur diese durch die Ausklammerung der ursprünglich im Mittelpunkt stehenden philosophischen Aspekte der Osteopathie verursachte Identitätskrise der Osteopathie hat mich aber bewogen, das Projekt Philosophische Osteopathie zu beginnen. Nach nunmehr 20 Jahren des Studiums der Texte Stills und einer durchaus relevanten Erfahrung als Therapeut bin ich auch zu der festen Überzeugung gelangt, dass die kritische Auseinandersetzung mit der philosophischen Dimension in Stills Schriften ein enormes Erkenntnispotenzial in Bezug auf das eigene therapeutische Selbstverständnis in sich trägt. Verbunden damit ist eine völlig neue und wesentlich bewusstere Betrachtungsweise des eigenen therapeutischen Seins und Wirkens – mit allen damit verbundenen Vorteilen. Da in den aktuellen berufspolitischen Aktivitäten aber die von Still immer und immer wieder angemahnte philosophische Dimension innerhalb der Osteopathie keine wirklich ernsthafte Berücksichtigung findet, wird allen an der Osteopathie interessierten Menschen, vor allem aber den Studierenden der Osteopathie und den ausgebildeten Osteopathen selbst ebenjenes so bedeutende Erkenntnispotenzial vorenthalten. Um diesem Phänomen entgegenzuwirken, wurde das Projekt Philosophische Osteopathie ins Leben gerufen.

      PROJEKT ‚PHILOSOPHISCHE OSTEOPATHIE‘

      Der Ausdruck Philosophische Osteopathie umfasst die Osteopathie als medizinische Richtung, den Osteopathen in seinem therapeutischen Kontext, aber auch beide Aspekte bezogen auf alle Fragen des Menschen in seinem Verhältnis zu sich und der Welt als Ganzes. Diese Bezugnahme auf einen größeren Kontext, sowie die Einbeziehung des Osteopathen als eigenständig denkendes und handelndes Zentrum in ihm, begründet das Attribut philosophisch und beschreibt damit jene Dimension, auf die Still allergrößten Wert gelegt hat. Er selbst verwendet in diesem Zusammenhang den Ausdruck Philosophie der Osteopathie. Da dieser jedoch regelhaft allein auf den therapeutischen Handlungsbereich bezogen wird, hielten die an dem Projekt mitbeteiligten Philosophen Andreas Grimm, Martin Ingenfeld und ich die Schaffung eines neuen Ausdrucks für gut begründet.

      Das Buch Philosophische Osteopathie stellt innerhalb dieses Projekts den erstmaligen Versuch dar, Stills Ausdruck der Philosophie der Osteopathie nicht nur anhand von seinen Schriften, sondern auch im Kontext der medizin- und philosophiehistorischen Zusammenhänge und unter Berücksichtigung der Person Still selbst zu erforschen. Die so erarbeiteten Ergebnisse sollen den Vertretern der Osteopathie aber auch alle anderen an der Osteopathie interessierten Menschen die Möglichkeit geben, sich ernsthaft und kritisch mit dem Thema auseinandersetzen zu können. Um diesen Anspruch zu erfüllen, habe ich das Buch in sechs Kapitel eingeteilt.

      In der Einführung erhalten Sie dabei zunächst einmal einige Informationen rund um meinen eigenen Werdegang innerhalb der Osteopathie, jenes Osteopathie-Chaos, welches sich mir hier bezüglich der Iedntität der Osteopathie offenbahrt hat und wie hier für mich die philosophischen Aspekte in Stills Ansatz ins Spiel kommen. Um diese Aspekte und vor allem ihre enorme Bedeutung weit über die Osteopathie hinaus destillieren zu können, bedarf es allerdings einiger Vorkenntnis bezüglich der heutigen Prägung unseres therapeutischen Selbstverständnisses, sowie einige Informationen rund um Still selbst. Hierum geht es in den Kapiteln zwei und drei. Mit diesem Rüstzeug im Gepäck erfolgt im vierten Kapitel anhand von repräsentativen Auszügen eine kritische Analyse von Stills Schriften in Hinblick auf den philosophischen Aspekt. Die daraus im fünften Kapitel abgeleiteten und kurz formulierten Kernhypothesen werden im sechsten Kapitel in ihrer möglichen Bedeutung für die heutige Osteopathie gedanklich gefüllt. Zuletzt erlaube ich mir noch im siebten Kapitel einen sehr weiten Blick über den Tellerrand, der Ihnen einen kleinen Eindruck davon geben soll, welche reizvolle Inspirationen auf jene Menschen warten, die bereit sind, sich wissenschaftlich mit Stills Philosophie der Osteopathie zu beschäftigen.

      Als Projekt verstehen die Beteiligten Philosophische Osteopathie, weil das vorliegende Buch sich nicht als Lehrwerk versteht, in dem absolute Wahrheiten verkündet werden. Vielmehr ist es als erster Bestandteil eines begrifflichen Schutzraums namens Philosophische Osteopathie gedacht. Die im vorliegenden Werk erarbeiteten Erkenntnisse über Stills Gedankenwelt bilden dabei lediglich Ausgangspunkte, an die eine dynamische Auseinandersetzung mit dem Themenbereich der Bedeutung von Philosophie für die therapeutische Welt der Osteopathie einschließlich der in ihr handelnden Vertreter anknüpfen könnte. Alle lebensintelligenten und wissbegierigen Menschen sind jederzeit und herzlich dazu eingeladen, sich an dieser Diskussion kritisch, konstruktiv und transdisziplinäriiv beteiligen, um damit den Schutzraum beständig zu füllen und zu erweitern. Dabei spielt es keine Rolle, in welcher Form dies geschieht, sei es im stillen Nachdenken ganz für sich, im privaten Austausch, in Veröffentlichungen bzw. öffentlichen Diskussionen oder in sonst einer Form. Letztendlich sollen daraus aber im Sinne guter angewandter Philosophie stets handhabbare und pragmatische Handlungskonzepte erarbeitet werden, die unmittelbar für das Gemeinwohl nützlich sind. Eine akademische Verbrämung ist also nicht erwünscht.

      KEIN MEISTERWERK

      Nicht wenige Interessierte innerhalb der deutschsprachigen Osteopathie-Szene erwarten dieses Buch schon mit einiger Vorfreude und Spannung. Ihnen möchte ich einleitend sagen, dass sie ihre Erwartungen aus mehreren Gründen nicht allzu hoch hängen sollten. Einerseits ist die wirklich kritische Auseinandersetzung mit Stills Texten, auf die sich dieses Buch vorrangig stützt, noch sehr jung. Gerade in den letzten drei Jahren ergaben sich hierzu geradezu sintflutartig neue Erkenntnisse, weshalb eine umfassende Aufarbeitung des Themas zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht wirklich möglich ist. Das vorliegende Werk kann hier gerade einmal einen ersten Eindruck vermitteln. Weiterhin steht der Begriff Philosophie immer wieder im Mittelpunkt der Betrachtung. Zwar tausche ich mich seit nunmehr 15 Jahren mehr oder weniger intensiv mit Martin Pöttner (2004 – 2011) und Andreas Grimm (seit 2014), zwei gelehrten Philosophen und zugleich hervorragenden Kennern der Still-Texte, aus, dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich selbst kein studierter Philosoph bin. Für die aufgrund meines Laienwissens in Bezug auf die Ausführungen zur Philosophie im Zusammenhang mit Stills Ansatz auftauchenden ‚Unschärfen‘ bitte ich daher um Nachsicht. Dies gilt auch für Vereinfachungen, die bei jedem Versuch, eine komplexe Thematik sowohl sprachlich wie auch inhaltlich auch für Laien verständlich zu machen, unweigerlich auftreten.

      Im Zusammenhang mit den eben genannten Philosophen möchte ich zugleich darauf hinweisen, dass ich zwar wesentliche Einsichten in Bezug auf die enorme Bedeutung der philosophischen Lebenshaltung in Stills Ansatz bereits fragmentarisch erahnt hatte, erst aber der gegenseitig völlig offene und aneinander interessierte Austausch vor allem mit Andreas Grimm dazu geführt hat, dass ich diese Fragmente zu einem Ganzen zusammenfügen konnte. Erst dadurch wurde mir auch voll bewusst, welch hervorragende und weitreichende Gedanken Martin Pöttner bereits 2005 in seinem bemerkenswerten Vorwort zu Das große Still-Kompendium der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt hat. Auf diesem in gemeinsamer Arbeit errichteten Fundament gründen die im vorliegenden Werk vorgebrachten Hypothesen und ihre Ausdeutung in Hinsicht auf den Alltag der Osteopathie und für das therapeutische Dasein. Dass Andreas Grimm nicht ausdrücklich als Koautor erwähnt wird, liegt schlichtweg an der Tatsache, dass ich den Text allein verfasst habe; inhaltlich bitte ich das Buch als geistige Koproduktion zu betrachten. Einen wichtigen Beitrag zu diesem Buch hat zudem der junge Wissenschaftler und ebenfalls Kenner der Still-Texte