sondern eine fixe Gewohnheit war, ein immanenter Zustand, der die ganze Welt und alle menschlichen Institutionen betreffen konnte, Königreiche, Zivilisationen und Familien, als eine grundlegende Eigenschaft der menschlichen Existenz.
Der Begriff „Melancholie” als solcher, wird durch eine große Unschärfe und Vieldeutigkeit charakterisiert. Heute neigen wir dazu, Melancholie mit Kummer oder Depression zu verwechseln. In der westlichen Kultur wurde sie jedoch immer sowohl in depressiven Zuständen als auch in Exzessen manischer Begeisterung gesehen. Bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts gab es auch eine Unterscheidung zwischen den Begriffen Melancholie und Melancholia. „Melancholie” bezog sich traditionell auf jede Störung, die durch ein Ungleichgewicht der Säfte oder den schädlichen Einfluss der schwarzen Galle verursacht wird, konnte aber auch alle natürlichen Zustände und Charakterzüge meinen. „Melancholia” umfasste einen weiten Bereich von medizinischen Störungen, insbesondere geistiger und emotionaler Art. In diesem Sinne wurde der Begriff in der aufstrebenden Psychiatrie und dem Studium der geistigen Krankheiten vom achtzehnten Jahrhundert an gebraucht. Oft wurden diese beiden Begriffe abwechselnd verwendet. Ich behalte die ursprüngliche Bedeutung von „Melancholie” als kultureller Idee, aber ich werde diesen Begriff auch in Bezug auf das ganze Phänomen verwenden, das alle Arten von geistigen, emotionalen und spirituellen Zuständen umfasst, ebenso wie körperliche Symptome: Die Krankheit des Fleisches und des Geistes.
Dieses Buch konzentriert sich auf die alten Konzepte der Melancholie und ihre Interpretationen in der modernen westlichen Kultur, im zeitgenössischen Kontext. Es zeigt sich, dass diese frühen Ideen nicht aus der modernen Esoterik verschwunden sind. Darum enthalten die folgenden Kapitel viele Bezüge zu ausgewählten Aspekten oder Phänomenen, die mit der esoterischen Weltanschauung assoziiert werden und nicht immer in direktem Zusammenhang mit der Melancholie stehen, aber notwendig sind zum Verständnis des Ursprungs, der Natur und des Einflusses, den diese mystische Idee auf die westliche Kultur ausübte. Dabei werde ich mich auf die philosophischen und praktischen Grundlagen der Tradition konzentrieren, die in der westlichen Esoterik als der linkshändige Pfad bekannt ist.
Die Melancholie war nie eindeutig philosophisch, religiös oder esoterisch einzuordnen. Traditionen, die Ordnung und perfekte Struktur im Universum anstreben, die die Welt in ein Idealschema von göttlicher Schöpfung einzupassen versuchen, konnten die Melancholie nicht vereinnahmen. Sie war immer ein mehrdeutiges, komplexes und stets veränderliches Prinzip, das unmöglich zu greifen war, weder im christlichen Schöpfungsplan noch in der Mystik der Kabbala und ihrem Lebensbaum noch in den gnostischen Lehren.
Melancholie bezeichnet die Dunkelheit, die außerhalb der Strukturen der Schöpfung existiert und wird mit der linken, unbewussten Seite der menschlichen Psyche assoziiert. Sie ist das dunkle Prinzip in der Natur, im mikrokosmischen wie im makrokosmischen Sinne. Sie wird auch mit dem Weiblichen, der lunaren Sphäre, der Nacht und dem Irrationalen assoziiert. Melancholie ist der innere Abgrund, vollkommen schwarz und bar des Lichts, das Ordnung und kosmische Harmonie bedeutet. Dieser Abgrund wird von den Dämonen des Unbewussten bewohnt – atavistischen Urinstinkten und Impulsen, die vom Bewusstsein im Schöpfungsprozess unterdrückt wurden. Sie liegen in den Tiefen des Unbewussten, schlafend, „tot, aber träumend”, Ungeheuer und schreckliche Geschöpfe des Urchaos. Gelegentlich steigen sie aus dem Abgrund auf und Eindrücke ihrer Natur schlüpfen in unser Bewusstsein. In diesen Momenten müssen wir unsere innere Dunkelheit konfrontieren, das schwarze Reich der vergessenen Archetypen. Es wird als Depression, Furcht, Wahnsinn, Obsessionen oder Selbstmordgedanken erlebt. Wenn wir auf diese Konfrontation nicht vorbereitet sind, können wir uns in den Labyrinthen des Irrationalen verlieren.
Melancholie kann aber auch ein Weg zu Selbsterkenntnis sein, zu tiefgehender Innenschau, zur Selbstinitiation in die Mysterien der Seele. Die Reise durch die Melancholie ist die sprituelle Pilgerfahrt in den schwarzen Abgrund des inneren Geistes. Dieser Pfad führt durch schmerzhafte Transmutation, die alchemistische Nigredo, die dunkle Nacht der Seele, in der das einzige Licht die geheimnisvolle Illumination der schwarzen Sonne ist. Es ist die Reise ohne Anfang und Ende, eine immerwährende Passage durch das Labyrinth von Düsternis und Wonne, Verzweiflung und Ekstase, Wahnsinn und Weisheit, Besessenheit und Leere, Trauer und Vergnügen, Chaos und ultimativer Stille.
Wir sollten uns dieser Reise nicht verweigern. Wir sollten sie genießen und den Abgrund unserer Psyche zu erforschen lernen, weil wir dort das Unerwartete, das Vergessene, das Irrationale finden können – die verborgene Kraft, die unser Leben und unsere Art, die Welt zu sehen, beständig ändern wird. Der Danse melancholique ist ein der menschlichen Existenz zugehöriges Element, und widersprüchliche Erfahrungen verweben sich beständig in dem mystischen Reich unserer Imagination.
Dieses Buch wurde fertiggestellt nach über zehn Jahren, die dem Studium der Melancholie, ihrer Ursprünge und Interpretationen in der westlichen okkulten Praxis gewidmet waren. Ich hoffe, dass dieses Werk den modernen Leser wieder in diese wunderschöne Vorstellungswelt einführt und dass jene, die vom schwarzen Abgrund der Melancholie verschlungen werden, es hilfreich finden beim Verständnis ihrer mystischen Bedeutung und den Zweifel und die Verzweiflung in eine lohnende innere Erfahrung umwandeln werden.
Asenath Mason im Frühling 2010
Mikrokosmos und Makrokosmos
„Alle Menschen haben das Potential, sich selbst zu erkennen.”1
Die ersten Zeilen der Tabula Smaragdina, des uralten Textes, der die philosophischen Grundlagen der traditionellen und modernen hermetischen Lehre liefert, enthalten das berühmte Motto „wie oben, so unten”. Es reflektiert die Erkenntnis, die im menschlichen Geist immer gegenwärtig war: Das ganze Universum ist eins und alle Dinge enthalten dieselben Prinzipien und Elemente. In den alten Schulen des Denkens wurde das menschliche Wesen als das wichtigste von allen lebenden Geschöpfen im Universum betrachtet, und man glaubte deshalb, dass der Mensch von den Göttern als ein lebendes Abbild des Kosmos und der ganzen Natur erschaffen wurde. So setzten diese Lehren den Menschen über alle anderen Lebewesen. Er war der Knotenpunkt der gesamten Schöpfung und ein Prinzip, das jedes Element enthielt, aus dem das Universum zusammengesetzt war. Erde, Feuer, Wasser und Luft – sie alle spiegelten sich im menschlichen Körper und Geist. Als Abbild der Götter war der Mensch der Vermittler zwischen der unteren (dem Reich der Pflanzen und Tiere) und der oberen Welt (der Domäne der Götter) und enthielt Aspekte von beiden, wodurch er die kosmische Kluft zwischen den gegensätzlichen Prinzipien Materie (der sterbliche Körper) und Geist (die unsterbliche Seele) überbrückte.
Die pythagoräische Lehre beschrieb den Menschen als eine „kleine Welt”, weil er die Fähigkeiten des Universums besaß: Die gottgleiche der Vernunft sowie die Natur der Elemente in den Prinzipien der Ernährung, des Wachstums und der Fortpflanzung. Gleichzeitig war der Mensch unvollkommen in jeder dieser Fähigkeiten, ganz so wie „der Wettkämpfer im Fünfkampf, der dem Athleten unterlegen ist, der sich auf nur einen Teil spezialisiert.”2 Und so wurde die Gabe der Vernunft weniger bedeutend gesehen als die heiligen Eigenschaften der Götter. Die Elemente waren im Menschen nicht so üppig vorhanden wie in den Elementen selbst, die menschlichen Energien und Wünsche waren schwächer als die der Tiere und die Kräfte der Ernährung und des Wachstums waren geringer als die der Pflanzen. Deshalb fand der Mensch als ein Gemisch aus vielen und verschiedenen Elementen sein Leben schwierig zu beherrschen:
Denn jedes andere Geschöpf wird von einem Prinzip geleitet, aber wir werden von unseren verschiedenen Fähigkeiten in unterschiedliche Richtungen gezogen. Zum Beispiel werden wir einmal vom gottgleichen Element zum Besseren hingezogen, und ein andermal von der Herrschaft des tierischen Anteils in uns zum Schlechten.3
Diese komplexe Natur des Menschen stellte von der frühesten